Ölbohrungen: Immer tiefer, immer riskanter

Vier Jahre nach der Havarie der Bohrplattform Deepwater Horizon beschleunigt sich der Run auf die Tiefsee-Lagerstätten. Das Unglücksunternehmen Transocean ist vorne mit dabei.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 71 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Die Folgen der Katastrophe im Golf von Mexiko waren elf Tote und eine der größten Ölkatastrophen der Geschichte. Nun zeigt sich: Den Boom bei Ölförderungen tausende Meter unter dem Meeresspiegel hat das Unglück keineswegs gestoppt. Er beschleunigt sich sogar. Die Unternehmen wollen eine Region erschließen, in der sich über die Hälfte aller seit 2006 neu entdeckten Ölvorkommen befinden. "Die Schwerpunkte der weltweiten Offshore-Aktivitäten liegen im sogenannten ,Goldenen Dreieck' zwischen dem Golf von Mexiko, vor den Küsten Brasiliens und von Westafrika", sagt Peter Reichetseder, Professor für Erdöl- und Erdgastechnik an der TU Clausthal, in der aktuellen April-Ausgabe von Technology Review (hier online zu bestellen).

Vorne mit dabei ist das US-Unternehmen Transocean. Es war der Betreiber der havarierten Deepwater Horizon. Seiner Stellung als Weltmarktführer für Tiefsee-Bohrschiffe konnte das Unglück nichts anhaben. Schon heute stellt Transocean 27 Schiffe für Probe- und Förderbohrungen in bis zu 3700 Meter Wassertiefe für Tagesraten von mindestens einer Million Dollar zur Verfügung. Wegen der großen Nachfrage seitens der Ölkonzerne werden bis 2017 weitere sieben Schiffe folgen.

Die über 250 Meter aufragenden schwimmenden Bohrtürme, "rig" genannt, sollen Bohrtiefen von insgesamt zwölf Kilometern erreichen können. Weil die Rigs nicht wie bei geringen Wassertiefen üblich am Meeresgrund verankert werden können, müssen sie mit riesigen Motoren auf Position gehalten werden. Satellitenortung kontrolliert permanent ihren Standort. Der Bohrbetrieb soll sogar bei bis zu zehn Meter hohem Wellengang möglich sein. Selbst bei Stürmen mit 15 Meter hohen Wellen sollen sie ihre Position halten können. Erst bei stärkeren Unwettern müsste der Kontakt zwischen Bohrgestänge und Schiff gekappt werden.

Ebenfalls für den Tiefsee-Einsatz weiterentwickeln müssen Ingenieure die Kompressoren oder Pumpen am Meeresgrund. Eine der großen Aufgaben ist, sie mit Elektrizität zu versorgen. Siemens entwirft daher derzeit ein Stromnetz extra für die Tiefsee. Im Forschungslabor in Trondheim suchen sie nach geeigneten Komponenten. "Bis zu 460 Bar muss die Technik aushalten, so viel wie in 4600 Meter Tiefe", sagt Jan Erik Lystad, Leiter des Siemens-Tiefseelabors. Ab 2020 könnte die neue Technik zur Verfügung stehen.

Die wohl radikalste Neuerung im Offshore-Bereich plant das Unternehmen WeST Drilling Products. Es entwickelt ein "Robotic Rig". Mit ihm soll sich das Bohrgestänge erstmals automatisch verlängern lassen, ohne dass Arbeiter dafür den Bohrkopf anhalten müssen. Auch die Stahlröhren zum Auskleiden des Bohrlochs sollen ohne Unterbrechung in die Tiefe gebracht werden. "Unser Rig wird der weltweit erste Bohrroboter sein", sagt WeST-Vorstand Odd Skjærseth. Sein Unternehmen verspricht mehr Sicherheit und – was die Rohstoffkonzerne mindestens ebenso freuen dürfte – eine Halbierung der Bohrzeit. Mit Statoil, ConocoPhilips and Norske Shell kann WeST bereits große Partner vorweisen. Noch allerdings ist unklar, ob die Versprechen zu halten sind: Ein Prototyp, der sein Können in der Praxis unter Beweis stellen könnte, fehlt.

Unklar ist daher ebenfalls, ob die neuen Technologien geeignet sind, eine Katastrophe wie bei Deepwater Horizon zu verhindern. Skepsis bleibt angebracht. Lord Douglas Cullen beispielsweise fürchtet, dass Firmen die steigenden Bohrkosten durch Sparmaßnahmen bei der Sicherheit ausgleichen wollen. Cullen hatte das "Piper Alpha"-Desaster in der Nordsee von 1988 untersucht, bei dem 167 Menschen starben. "Wenn Manager immer darauf drängen, dass der Zeitplan eingehalten und die Kosten gesenkt werden, merken die Arbeiter, was wirklich zählt, und verhalten sich entsprechend", mahnte er kürzlich auf einer Offshore-Konferenz in Schottland.

Das dürfte insbesondere dann akut werden, wenn die erhofften Vorkommen in der Tiefsee geringer sind als erhofft und die Gewinne nicht so hoch ausfallen wie geplant. Denn wie viel Öl und Gas die neu entdeckten Lagerstätten tatsächlich hergeben, weiß derzeit niemand. "Es gibt keine Möglichkeit, genau zu wissen, was sich unter dem Meeresboden befindet", gesteht BP-Sprecher Robert Wine.

Siehe auch:

(bsc)