4W

Was war. Was wird.

Von Obama zu Schäfer-Gümbel ist es ein weiter Weg, nicht nur geografisch. Hal Faber nimmt die Abkürzung über Marx und Hegel. Auf einem Zwischenstopp in Köln vermisst er Frauen und den Rock'n'Roll.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 80 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Obama! Leider ist das WWWW nicht die New York Times, die eine Seite für diesen Sieger-Namen brauchte. Aber es ist auch nicht die Süddeutsche Zeitung, die den Sieg Obamas frei nach Hegel als List der historischen Vernunft feierte. Der Philosoph des Handstands, der erst von Karl Marx auf die Füße gestellt wurde, hätte wenig Freude an Obama gehabt und sich mehr mit Ypsilanti beschäftigt. Die gute Frau wurde von vier Weltgeistern überrascht, deren interne E-Mail prompt kurzzeitig auf der Homepage der SPD Hessen landete. Eine wunderbare Partei, die sich ganz im Sinne Hegels bemüht, das Projekt 18 in die Wirklichkeit treten zu lassen. Ja, ja, der aufrechte Gang will gelernt sein, wußten schon die Klassiker des Sozialismus. Honda oder Hegel, das ist die Frage. Wobei die SPD von Schäfer-Gümbel neben einer Ganghilfe auch noch eine Denkhilfe braucht. Und etwas Melissengeist.

*** Die Antwort von Obama auf die Logelei heißt übrigens Varney, Christine Varney. Die Gründerin der Online Privacy Alliance soll sich im Transition Team um den Datenschutz wie um die korrekte Datenspeicherung kümmern. Ein netter Zug beim Open Government, wobei die berühmte Probe des Pudding sofort ansteht. Erinnert sei daran, dass der Obama-Fan Colin Powell zusammen mit Oliver North und John Poindexter die größte Datenlöschaktion einer scheidenden Regierung durchführte. Die Begründung dafür lieferte der saubere Jurist John Bolton mit einer eigenwilligen Interpretation, wie ein sauberes System auszusehen hat. "When the new people come into the White House at noon tomorrow, they need to have access to the system and they need to be able to do whatever they are going to do with it. And it would impair that ability, that is to say the ability of the new President of the United States, on his first day in office, to get his administration up and running."

*** Ob sich der gesamteuropäische Datenschützer Peter Hustinx viel Freunde mit seiner eigenwilligen Interpretation gemacht hat, dass die IP-Adresse ein Teil der Privatsphäre ist? Dass sie womöglich gar zum Kernbereich der privaten Lebensführung gehört? Denn dass die Nummer wechseln kann, tut nichts zur Sache, schließlich wechselt man auch die Unterhose regelmäßig, um einen anderen Kernbereich zu nennen. Hustinxens Auslegung eines Münchener Urteils könnte Folgen haben, macht es zumindest darauf aufmerksam, dass es ganz andere Positionen zur Meinung von BKA-Chef Jörg Ziercke gibt. Ohne IP-Adresse hat Deutschlands oberster Polizist bekanntlich furchtbare Angst, dass seine tolle Truppe blind ist. Darum wird beispielsweise diese Nummer beim Besuch der Website des Bundeskriminalamtes sorgfältig notiert, während die nach Terroristen fahndenden Netcrawler des BKA die polizeiliche Einheitsadresse 172.23.22.199 führen. Für seine Fixierung auf die IP-Adresse nimmt er lieber den Vorwurf in Kauf, Deutschland in ein zentral überwachtes Glashaus zu verwandeln.

*** Na, dann schmeißen wir mal ein bisschen mit den Steinen: Alle Nachrichten vom Tod der Privatsphäre sind maßlos übertrieben, meint Security-Guru Bruce Schneier. Keine Angst vor den Gesetzen, denn sie werden auch Opfer von Moores Law, weil sie sich zu sehr auf eine Technologie fokussieren, siehe IP-Adresse: "We're living in a world where a lot of laws are written to be technically specific, and are becoming obsolete when technology changes so fast. Better laws are technologically invariant." Was logischerweise auch für schlechte Gesetze gelten muss. Oder sollte man lieber diese List der Vernunft beatmen?

*** In Köln fand in dieser Woche eine Mammut-Sportveranstaltung statt: 78 Nationen, 800 Athleten, keine Frauen. Aber keine Bange, die Sportschau wird nicht berichten: Es geht nur um die Klick-Sportler, die sich mit virtuellem Fußball, virtuellen Autorennen und virtuellen Bomben die Zeit und Jugend vertreiben. Wenig populär: Wettbewerbe beim virtuellen Klampfen. Wer die weltbesten "Guitar Hero"-Spieler nahezu bewegungslos auf der Bühne gesehen hat, hätte sie am liebsten mit einer Luftgitarre verprügeln wollen. Highway to Hell, und das mit der Motorik einer Salzsäule, das geht einfach nicht. Dennoch bleibt die Erkenntnis hängen: E-Sport ist tatsächlich ein echter Sport mit allem Doping und dran – die Sponsoren bürgen ja dafür. Das wurde spätestens bei der Pressekonferenz klar: Wonsuk Oh – sozusagen der virtuelle Jacques Rogge – verspricht keine sportlichen Höchstleistungen, sondern mediengerechte Darbietungen. Nächster Stopp ist Zukunftsmarkt China.

*** Aus eben diesem Land des Lächelns hatte der freie Sportreporter Jens Weinreich zu den Olympischen Spielen mit seinem Blog eine virtuelle Goldmedaille in der Disziplin Hintergrundweitwurf erzielt. Nun sorgt ein bizarrer Rechtsstreit dafür, dass auch mal Deutschland als Land sein Lächeln zeigen kann. Jens Weinreich ist der Beklagte, sein Gegner ist der Präsident des Deutschen Fußballbundes, der große Probleme hat, die Bedeutung des Wortes Demagoge zu verstehen. Korrekt der griechischen Herkunft nach (demagogos) ist der Staatsmann gemeint, im abwertenden Sinne schlägt der Duden Volksverführer vor, doch Herr Zwanziger hat in Yad Vashem studiert und besteht höchst eigenwillig auf der Interpretation des Demagogen als "Volksverhetzer". Weil er Journalisten schon mal vorwirft demagogische Fragen zu stellen, will Zwanziger partout kein Demagoge sein. Vielleicht lieber Dermatologe oder – wenn es gegen das Vergessen geht – Polditologe oder so. Der Kampf um Worte nimmt bisweilen bizarre Formen an, nicht nur in der Bestimmung des Ku-Klux-Klans beim Datenschutz.

*** Vor 25 Jahren startete in der norddeutschen Tiefebene ein einzigartiges Projekt, das in der letzten Woche gebührend begossen wurde. Beinahe wäre auch eine kleine Löschungsaktion gestartet worden, doch rechtzeitig setzte die Ernüchterung ein und man erkannte den bleibenden Wert der Forenkultur: Wer die Gepardenforelle lobt, darf von den Fische-rüber-Reichern oder vom ersten deutschen Forenkrieg nicht schweigen. Auch die jungen Leser werden einmal steinalt wie die Redakteure sein und ihren Kindern zeigen wollen, was für ein Blödsinn damals möglich war, vor Web 2.0 und anderen Kümmernissen.

*** Vor 25 Jahren erschien aber nicht nur die erste c't, sondern auch "Electronic Life", ein Buch, das Anfängern den Umgang mit BASIC im Besonderen und die Schönheit des Programmierens im Allgemeinen erklären sollte. Geschrieben hatte es der Arzt und Computerfan Michael Crichton, der Mann, der Saurier zu neuem Leben erwecken wollte. 10 Jahre vor diesem Buch führte Crichton bei Westworld Regie und schuf dabei die ersten computergenerierten Effekte in einem größeren Spielfilm. Die erste Beschreibung, wie ein Einbruch in eine Datenbank mit einem virtuellen Handschuh funktionieren kann, findet sich in seinem Buch "Enthüllung". Als größte Leistung von Crichton gilt die publikumsträchtige Vermittlung der Erkenntnis, dass Wissenschaft nicht rational funktioniert. Neue Geschichten von der Überlistung der Vernunft wird er nicht mehr schreiben können.

*** Spät habe ich sie gehört, als Ataypura im Film "Der große Lebowski" erklang, die peruanische Sängerin Yma Sumac, die Königin der vier Oktaven. Ob sie wirklich eine Inka-Prinzessin oder nur eine rückwärtsgelesene Amerikanerin namens Amy Camus war, ist ziemlich egal, wenn man "Voice of the Xtaby" hören und auch so Gedenken und Zuversicht finden kann: Hannover ist nicht nur wegen der c't eine Reise wert.

Was wird.

Der dritte nationale IT-Gipfel steht vor der Tür. Hochrangige Experten eilen nach Darmstadt in das endlich fertiggestellte Darmstadtium, über dessen Architektur man saukontrovers reden kann. Blogger sind Kulisse. Wer braucht schon die Narren des Web 2.0, die Statisten unter den meinungsstarken Pundits und Multiplikatoren die Hofnarren der partizipativen Demokratie? Schließlich ist unsere Kanzlerin unbestritten die Podcasterin der Nation. Aber vielleicht brauchen große Koalitionen kleine Narren, Personen "mit leichtfertigen und geilhaftigen Gebärden", wie sie im Mittelalter definiert wurden: Ich habe mit Obama die Wochenschau begonnen, der schwer zu toppen ist. Sie kann nur mit Philipp Mißfelder enden, ganz ohne ein Statement von ihm zu den alten Säcken in der Redaktion. (Hal Faber) / (vbr)