Wie sich Verschwörungstheorien auf Facebook verbreiten

Das weltgrößte soziale Netzwerk ist nicht selten Ausgangspunkt unglaublicher Geschichten. Wie die sich fortpflanzen, zeigt eine aktuelle Studie.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 5 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • TR Online

Das weltgrößte soziale Netzwerk ist nicht selten Ausgangspunkt unglaublicher Geschichten. Wie die sich fortpflanzen, zeigt eine aktuelle Studie.

Während der italienischen Wahlen im vergangenen Jahr geisterte ein virales Facebook-Posting durchs Netz, das sich als schwerwiegende Ente erwies. Der Inhalt: "Der italienische Senat nahm mit 257 zu 165 Stimmen ein von Senator Cirenga vorgeschlagenes Gesetz an, das Politikern 134 Milliarden Euro zukommen lassen soll, damit sie im Falle einer Wahlniederlage neue Jobs finden."

Das Posting kam von einer Seite, die für ihre satirischen Inhalte bekannt ist und das die italienische Politik verballhornt. Mitgeliefert wurden mindestens vier falsche Behauptungen: Der Senator, um den es ging, war fiktiv und die Zahl der Stimmen war höher, als dies im italienischen Senat möglich wäre. Die Summe, um die es ging, entsprach zehn Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts und das Gesetz selbst war eine schlichte Erfindung. Trotzdem wurde die Satire von den frustrierten Wählern gut angenommen, die sie in weniger als einem Monat mehr als 35.000 Mal mit anderen Nutzern teilten.

Doch dann bekam die Sache eine surreale Note. Das Mem wurde zusammen mit einigen Anmerkungen von einer Facebook-Seite wiederholt, die für ernsthafte politische Kommentare bekannt war. Die Satire breitete sich dadurch erneut aus, nur dass sie nun mit einem Anstrich der Seriosität versehen war. Und siehe da: Auch heute noch wird das "Gesetz" in unregelmäßigen Abständen zitiert, wenn es Aktivisten darum geht, die Korruption in der italienischen Politik anzuprangern.

Willkommen in der Welt der düsteren Verschwörungstheorien. Die Verbreitung von Fehlinformationen über das Internet ist ein allgemein bekanntes Phänomen. Nutzer schnappen Dinge auf, die schlicht falsch sind – und tragen sie weiter.

Doch wie verbreiten sich solche Enten und warum glauben die Menschen an sie? Der Forscher Walter Quattrociocchi von der Northeastern University in Boston untersucht diese Phänomene insbesondere im Hinblick auf soziale Netzwerke, schon seit längerem. In seiner jüngsten Studie hat er erfasst, wie Menschen mit falschen Postings auf Facebook umgehen.

Dazu untersuchte er, wie mehr als eine Million Menschen mit politischen Informationen umgingen, die während der besagten italienischen Wahlen auf Facebook gepostet wurden. Insbesondere achtete Quattrociocchis Gruppe darauf, wie die Nutzer diese Informationen mit "Likes" versahen und wie sie kommentiert wurden. Die Postings stammten von Mainstream-Nachrichtenorganisationen, Alternativmedien sowie von Seiten, die sich politischen Kommentaren verschrieben hatten.

Das Forscherteam untersuchte dann, wie dieser Personenkreis auf falsche Nachrichten reagierte, die aus satirischen Quellen stammten, von Trollen gepostet wurden oder einfach fehlerhaft waren.

Quattrociocchi analysierte, wie lange die Debatte zu einem Posting dauerte, in dem er die Zeit zwischen erstem und letztem Kommentar überprüfte. Die Länge der Diskussion blieb dabei im Durchschnitt gleich, egal, um welche Inhalte es ging. Mit anderen Worten: Die Menschen tendieren dazu, Nachrichten aus der Mainstreampresse, aus alternativen Medien und von Anbietern politischer Kommentare ähnlich intensiv zu debattieren.

Die Forscher untersuchten dann, wie die Nutzer, die sich an diesen Gesprächen beteiligten, mit bekannt fiktiven Postings umgingen – etwa dem zum nicht vorhandenen Gesetz. Dabei ergab sich: Falschinformationen werden insgesamt intensiver debattiert.

Und: Wer häufig Nachrichten aus alternativen Quellen kommentiert, spricht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch über Enten. "Wir fanden heraus, dass ein dominierender Anteil der Nutzer, die mit Troll-Memen interagierten, zu einer Gruppe gehört, die vor allem mit alternativen Informationsquellen umgeht, was sie wiederum häufiger mit unbelegten Behauptungen konfrontiert."

Quattrociocchi und sein Team zeigten auch, dass viele Nutzer, die traditionellen Medien nicht mehr vertrauen, von alternativen Anbietern angezogen werden – auch deshalb, weil sie zu spüren glauben, dass Politik und Lobby Einfluss auf die Mainstreamnachrichten haben.

Doch die Suche nach verlässlichen Nachrichtenquellen erweist sich als schwierig. "Überraschenderweise sind diejenigen, die alternative Nachrichten konsumieren, weil sie die "Massenmanipulation" des Mainstreams umgehen wollen, für falsche Behauptungen am zugänglichsten", sagt Quattrociocchi.

Das zeigt auch, wie sich Verschwörungstheorien verbreiten können. Diese beginnen nicht selten in einer satirischen Ecke, erhalten dann auf die ein oder andere Art Respektabilität und überspringen die Glaubwürdigkeitshürde. Und das klappt besonders gut über Gruppen, die den Mainstream lieber meiden. ()