Big Brother Award: Positivpreis für Edward Snowden

Der NSA-Whistleblower Edward Snowden erhält den ersten Positiv-Preis der Big Brother Awards. Auch an anderen Stellen ist die NSA-Überwachung Thema auf der Preisverleihung an die größten Datenkraken u.a. wurde das Bundeskanzleramt ausgezeichnet.

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Erstmals ist bei den Big Brother Awards in Bielefeld ein Positiv-Preis verliehen worden. Er geht – wenig überraschend – an den NSA-Whistleblower Edward Snowden. Dieser erhält 1 Million, jedoch nicht in Euro, sondern in Aufklebern, die versendet werden, "um der Forderung nach Asyl und sicheren Aufenthalt von Edward Snowden in Deutschland Nachdruck zu verleihen". Die Veranstaltung von Digitalcourage wird im Stream übertragen.

Der Big Brother Award

(Bild: Thorsten Möller )

Edward Snowden habe den Preis verdient und noch mehr: Freies Geleit und ein stabiler Aufenthaltstitel sei das Mindeste, was Deutschland dem mutigen Menschen geben könne, meint Laudator Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung. Eigentlich wäre ein Negatvipreis fällig, der alle Politiker der Großen Koalition schmücken müsste: Sie tun so, als seien die USA die obersten Richter nach dem deutschen Gesetz. "Deutschland braucht Aufklärung über die umfassenden Lauschangriffe der USA. Aufklärung ist der Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Snowdens Handeln mag in den USA strafbar sein, weil er US-Gesetze verletzt hat; wirklich kriminell sind aber die Zustände und die Machenschaften, die er anprangert."

In seiner Laudatio prangert Prantl die Haltung der Großen Koalition an, die so tue, als habe Snowden schon alles gesagt, was er wisse und daraus feige schlussfolgere, dass man ihn nicht mehr anhören müsse. Dies sei eine vorweggenommene Beweisführung, die nach deutschem Recht verboten sei, erläuterte der ausgebildete Jurist Prantl. Snowden habe eine Diskussion in Gang gesetzt, die hoffentlich dazu führe, dass sich der vor den Machenschaften der Geheimdienste Rechtsstaat schützen wird. "Einen deutschen Orden braucht er nicht unbedingt; davon kann er nicht abbeißen. Aber er braucht Schutz und Hilfe."

"Im Jahr nach Snowden" erwischte es zahlreiche Firmen, aber nur eine Behörde, das Bundeskanzleramt. Dort hatte seinerzeit Ronald Pofalla die NSA-Affäre für beendet erklärt. Oder auch nicht. Das Amt hat die Fachaufsicht über den Bundesnachrichtendienst, der auf nunmehr 50 Jahre erfolgreicher Zusammenarbeit mit der NSA zurückblickt, wenn es heißt: "Der BND arbeitet seit über 50 Jahren mit der NSA zusammen, insbesondere bei der Aufklärung der Lage in Krisengebieten, zum Schutz der dort stationierten deutschen Soldatinnen und Soldaten und zum Schutz und zur Rettung entführter deutscher Staatsangehöriger."

Nach den Erkenntnissen von Edward Snowden sieht die Sache etwas anders aus. Sie gehen "miteinander ins Bett", sagte er im ARD-Interview. Gemeinsame Projekte wie das geheime Projekt 6, das zur "Entwicklung der heutigen deutschen nachrichtendienstlichen Informationssysteme" beigetragen hat, sind dabei nur die Spitze des Eisberges. "Diese enge Kooperation und intensive Datenübermittlungspraxis, die weitgehend ohne Datenschutzkontrolle abläuft, basiert auch auf Geheimverträgen mit den Westalliierten. Diese Verträge räumen den Vertragspartnern Sonderrechte ein, die weite Handlungsfelder eröffnen und stark in Grundrechte der Bundesbürger eingreifen – ohne jede parlamentarisch-demokratische Beteiligung oder Kontrolle. Und sie beschränken die Souveränität Deutschlands bis heute", heißt es in der Preisbegründung der Jury.

Das Bundeskanzleramt und der derzeit die Geschäfte führende Minister Peter Altmeier seien "Komplizen, Gehilfen und Mittäter" bei der Überwachung der Bundesbürger. Deshalb habe Digitalcourage im Verein mit weiteren Organsationen eine Strafanzeige gegen die Regierung und Sicherheitsbehörden gestellt, deshalb sei das Bundeskanzleramt ein würdiger Preisträger in der Kategorie "Politik".

In der Kategorie "Verkehr" erhält das Busunternehmen MeinFernbus eine Auszeichnung als Datenkrake. Wie die Unternehmen Deinbus, Flixbus und ADAC Postbus verlangt Meinfernbus, dass der Reisende nicht nur ein PDF seines Tickets auf Papier oder Smartphone vorlegt, sondern auch, dass er sich entweder Personalausweis, Reisepass, Führerschein oder Bundeswehrausweis ausweisen kann. Diese kontrovers diskutierte Bestimmung ermöglicht ein anonymes Busreisen nur dann, wenn der Passagier unmittelbar vor Fahrtantritt beim Fahrer Tickets kauft. Verschärfend wertet die Jury, dass MeinFernbus nach den Datenschutzbestimmungen "zahlreiche Möglichkeiten für fragwürdige Datenweitergaben an Dritte verstecken".

In der Kategorie "Technik" bekommt kein einzelnes Unternehmen einen Big Brother Award, sondern es werden alle zusammen geehrt für die verschiedensten Anstrengungen, "Spione im Auto" einzubauen, die bei jedem Kilometer mitspeichern und mitunter sogar Daten in die Cloud schieben. Geehrt wird damit "eine bedenkliche Tendenz", an der viele Firmen beteiligt sind. So nennt die Preisbegründung keine Namen: "Einen Schuldigen dafür zu benennen ist schwierig: Die Autohersteller verweisen einerseits auf gesetzliche Vorgaben, andererseits auf Drittanbieter, die z.B. Ortungs- oder Navigationsdienstleistungen im Auftrag des Fahrers erbringen."

Ein möglicher Schuldiger wurde aber doch gefunden. Pars pro toto wird der gerade vom EU-Parlament und EU-Rat abgesegnete Notruf eCall aufgeführt. Der Dienst könnte ein Datenkrake sein, wenn die im Auto verbaute M2M-Kommunikationstechnik so arbeitet, dass die SIM-Karte ständig in einem Netz eingebucht ist. Das ist nach den EU-Vorgaben nicht der Fall, da diese es dem Hersteller freistellen, mehr als nur eCall anzubieten.

Problematisch ist für die Jury außerdem, dass im Auto ohnehin schon eine ganze Reihe von Datensammlern eingebaut sind. Neben den Leistungsdaten, die bei einer Inspektion ausgelesen werden, sollen die Airbag-Systeme die Parameter speichern, die für eine Auslosung des Sicherheitssystems verantwortlich sind. Damit seien die Airbags eine Art Black Box im Sinne der diskutierten Unfallschreiber, die das Aussageverweigerungsrecht des Fahrers aushebelten. Schließlich ist da noch die Unterhaltungselektronik, die eine Überwachung möglich macht. Bei dem von Audi angebotenen Internet-Zugang Audi Connect laufen sämtliche Daten "aus Sicherheitsgründen" über Audi-Server. "Auf Nachfrage war Audi nicht in der Lage, für diesen Dienst eine in Deutschland gültige Datenschutzerklärung zur Verfügung zu stellen", bemängelt die Jury.

Im Zuge des von Edward Snowden aufgedeckten NSA-Skandal ist es wenig überraschend, dass die Firma CSC als "outgesourcte IT-Abteilung der amerikanischen Geheimdienste CIA und NSA" einen Big Brother Award bekommt. Nach Angaben des Rechercheprojektes geheimer Krieg ist CSC in vielen Fällen als Dienstleister der NSA unterwegs gewesen. Aus der Sicht der Datenschützer sind Aufträge ein Problem, die die Bundesregierung mit der CSC Deutschland SolutionsGmbH (vormals CSC Ploenzke AG) abgeschlossen hat. So hat dieser Firmenteil des CSC-Konzerns die vom Bundeskriminalamt gekaufte Trojaner-Software von Gamma International einer Typmusterprüfung unterzogen und arbeitete überdies als Dienstleister für das Kompetenzzentrum Informationstechnische Überwachung.

Problematisch findet die Jury außerdem, dass die Firma an "sicherheitsrelevanten Projekten" wie dem neuen Personalausweis, De-Mail und dem bundesweiten Waffenregister mitgearbeitet hat. Hier fordert sie, geheime Rahmenverträge offenzulegen, mit denen sich die Bundesregierung absichert, dass die hiesige GmbH organisatorisch und personell völlig getrennt von der Mutterfirma CSC operiert. Dies sei schon deswegen nicht glaubhaft, weil alle Mailadressen der deutschen Mitarbeiter als xy@csc.com ausgewiesen seien: "Sämtliche Firmen-E-Mails laufen über den amerikanischen Server des Mutterkonzerns", meint die Jury. Und dieser Konzern hat es in sich: Entführungen und Lufttransporte von Terrorverdächtigen als Geschäftsfeld einer ehemaligen Tochterfirma gehören dazu. So ergeht der Big Brother Award an den Gesamtkonzern: "Die Private Intelligence Contractors müssen ins Licht der Öffentlichkeit, raus aus der organisierten Verantwortungslosigkeit", meint die Jury.

Die Kategorie Arbeitswelt hat in den vergangenen Jahren immer wieder Preisträger gehabt, die ungeniert die eigenen Mitarbeiter überwachten. Diesmal liegt der Fall etwas komplizierter, denn die RWE Vertrieb AG, die den Preis bekommt, beschäftigt ein Subunternehmen mit der Überwachung ihrer Callcenter-Agenten. Auch hier sind die Juroren auf eine "organisierte Verantwortungslosigkeit" gestoßen: "Die Geheimdienstler haben ja bloß eine ausgefuchste Technik geliefert. Der Konzern ist für die konkreten Kontrollmaßnahmen den Callcenter-Mitarbeitern gegenüber arbeitsrechtlich nicht verantwortlich, denn die telefonieren ja im Sold eines Subunternehmers. Und dieser Subunternehmer erfüllt ja nur einen besonderen Kundenwunsch, wenn der Auftraggeber mit der Leistung seines Mitarbeiters nicht zufrieden ist."

Das Ganze läuft unter dem Stichwort Workforce-Optimierung und setzt auf einer Software namens Impact 360 auf, die von der US-amerikanischen Firma Verint hergestellt wird, die in Europa auch als Teletrain-Verint auftritt. "Diese Software kann ohne das Wissen der Mitarbeiter im Einzelfall sowohl das Telefonat als auch Bildschirmaktionen lückenlos aufzeichnen", ergab die Recherche der Jury. Das Instrument zur Qualitätskontrolle sei damit "so etwas wie die Cousine der Überwachungstechnik der Geheimdienste", was kein Zufall sei, denn Verint arbeite mit Geheimdiensten zusammen. Zu den Tochtergesellschaften von Verint gehört in Deutschland die Firma Syborg, Lieferant eines Lawdul Interception Systems für die Schweizer Überwachungsbehörden.

In der Kategorie Verbraucherschutz darf sich LG Electronics über einen Preis freuen. Einem englischen Blogger fiel auf, dass sich sein smarter Fernseher trotz per Menü abgeschalteter "Sammelfunktion" mit einem Server in Korea in Verbindung setzte und ausplauderte, was so eingeschaltet wird. "Anhand dieser Informationen, so genannter Metadaten, lassen sich intime Details über einzelne Menschen erfahren. Die LG-Geräte sind so in den privaten Lebensbereich argloser Menschen eingedrungen", meint die Jury. Wohl nie zuvor ist damit ein Preisträger so nah an das Big Brother-Vorbild "1984" von Orwell bekommen, in dem der Zwei-Wege-Fernseher den "Helden" bei der sportlichen Ertüchtigung überwacht. Neben LG Electronics rügt die Jury weitere Technik aus der schönen smarten Fernsehwelt, etwa den Datendienst HbbTV, der nach c't-Recherchen dafür verantwortlich ist, dass Daten über Nutzungsverhalten ins Netz wandern. Und Lob gibt es für Microsoft, wo der gesprochene Befehl "Schalte dich ab" jedweder Schnüffelei ein Ende setzt. (anw)