"Mietrebellen"

Wie man sich gegen Zwangsumzüge, hohe Mietpreise u.a. wehren kann - das Bild der Senioren, die demütig auf Fürsorge hoffend ihren Lebensabend verbringen, könnte der Vergangenheit angehören

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Wie soll man die Menschen nennen, die sich gegen Mieterhöhungen wehren, Initiativen gegen Vertreibung in ihrer Nachbarschaft gründen oder sogar bereit sind, sich einer Zwangsräumung zu widersetzen?

Jetzt muss man nicht immer den Containerbegriff Aktivisten verwenden. Die Regisseure Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers haben mit "Mietrebellen" einen neuen Begriff kreiert. So heißt ihr Film, in dem die Menschen im Mittelpunkt stehen, die in den letzten beiden Jahren in Berlin den Mietprotest getragen haben. Die verrentete Gewerkschafterin ist ebenso vertreten wie der autonome Fahrradkurier, erklärt der Regisseur Matthias Coers gegenüber Telepolis.

Der Film porträtiert Menschen, die vielleicht noch vor einigen Jahren selber nicht geglaubt hätten, sich an Protesten zu beteiligen Die Besetzer der Seniorenbegegnungsstätte Stille Straße in Pankow und die Palisadenpanther, die sich erfolgreich gegen die Mieterhöhungen ihrer Seniorenwohnanlage gestritten haben, stehen für eine neue alte Protestgeneration.

Das Bild der Senioren, die demütig auf Fürsorge hoffend ihren Lebensabend verbringen, könnte der Vergangenheit angehören. In Zukunft könnten immer mehr Senioren zu beobachten sein, die ihre Lebenserfahrungen mit jüngeren Menschen teilen und gemeinsam gegen unzumutbare Verhältnisse protestieren.

Dazu trägt sicher auch die Kommunikationstechnologie bei, die eine Vernetzung über Generationengrenzen ermöglicht. Doch der Film macht auch deutlich, es sind auch die politischen Verhältnisse, die Menschen in Proteste hineinziehen, die sie noch vor einigen Jahren nicht wahrgenommen hätten.

Auch die Mittelschicht ist von Zwangsumzügen betroffen

"Wir wollten mit dem Film der der Vorstellung entgegentreten, Menschen, die ihre Wohnung verlieren, kämen mit den finanziellen Realitäten nicht zurecht. In Wirklichkeit sind die ökonomischen Realitäten auf dem Immobilienmarkt eine Zumutung für immer größere Teile der Menschen bis hin zur Mittelschicht“, begründet Coers, warum der Fokus auf Menschen liegt, die sich in den letzten Jahren in Bewegung gesetzt haben. Das zeigt sich schon bei den Filmemachern.

"Ich war als Mieterin von einer Modernisierungsankündigung mit angedrohter Mieterhöhung konfrontiert“, erklärt die Regisseurin Westenberg gegenüber Telepolis. "Ich schloss mich mit meinen Nachbarn zusammen und wir hatten Erfolg. Diese eigene Erfahrung machte mich sensibel für den MieterInnenprotest."

Westenberg ist nicht die einzige Filmemacherin, die mit hohen Mieten und drohenden Vertreibungen nicht nur am Set konfrontiert war. Vor einigen Monaten hat Kathrin Rothe in dem Film Betongold ihre eigene Verdrängung aus Berlin-Mitte zum Thema gemacht.

Schon 2010 wurde der Film Lychener 64 gedreht, der die Entmietung eines Hauses im Stadtteil Prenzlauer Berg zum Sujet hat. Die drei Regisseure Jakob Rühle, Fabio Dondero und Teresina Moscatiello waren Mieter des Hauses Lychener Straße 64. Der Film zeigt, wie die Anfangseuphorie, sich gemeinsam gegen die Verdrängung zu wehren, verfliegt.

Die Untermieter verlassen als erste das Haus, dann können sich die Mieter mit selbstrenovierten Wohnungen mit den Eigentümern auf hohe Abfindungen einigen. Am Ende haben einkommensschwache Mieter das Nachsehen. Coers und Westerburg zeigen in ihren Film "Mietrebellen", dass auch ein solidarischer Umgang möglich ist.

"Verhältnisse nicht einfach ohnmächtig hinnehmen"

Dabei werden die Zuschauer gleich am Anfang mit dem Fall Rosemarie Fließ konfrontiert. Er beginnt mit der Beerdigung der Rentnerin. Die 67-Jährige war im April letzten Jahres zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung gestorben.

Noch einige Tage zuvor hatte die gehbehinderte Frau an einer Demonstration teilgenommen, auf der gegen eine Zwangsräumung in Kreuzberg protestiert worden ist. Der Film macht Fließ - wie alle anderen Protagonisten auch - nicht zum Opfer, sondern zeigt sie als eine Frau, die bis zum Schluss selbstbestimmt gehandelt hat. Hier wird sehr gut deutlich, was die Mietrebellen auszeichnet.

Sie sind nicht parteipolitisch gebunden, aber sie handeln solidarisch und sind damit eminent politisch. Wenn ihr Handeln nicht kompatibel mit dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem ist, in dem auch die Wohnung nur eine Ware ist, muss man sich fragen, soll man die Menschen oder das Wirtschaftssystem ändern. Mit dieser Frage gehen die Zuschauer aus dem Kino.

So wird der Film zu einem Lehrstück, wie es Coers beobachtet hat.

"Niemand steht nach dem Film aus dem Kinosessel auf und sagt, jetzt wehre ich mich gegen meinen Vermieter. Wenn die Menschen in der Nachbarschaft oder im Freundeskreis erfahren, dass jemand mit Mieterhöhungen kämpfen hat, wissen sie durch den Film, es gibt eine Alternative dazu, die Verhältnisse einfach ohnmächtig hinzunehmen. Da kann der Film die Zuschauer tatsächlich berühren und beeindrucken."