Die Mauer muss weg!

In Ministerien und Behörden lagert ein gewaltiger Datenschatz. Verfechter von "Open Data" wie der Internet-Pionier Tim Berners-Lee fordern, ihn der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Doch interessiert die sich überhaupt dafür?

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Von
  • Christian Buck

In Ministerien und Behörden lagert ein gewaltiger Datenschatz. Verfechter von "Open Data" wie der Internet-Pionier Tim Berners-Lee fordern, ihn der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Doch interessiert die sich überhaupt dafür?

Eigentlich könnte sich Tim Berners-Lee beruhigt zurücklehnen. Nachdem er in den 90er-Jahren das World Wide Web erfunden hat, ist ihm ein Eintrag in den Geschichtsbüchern sicher. Doch der 58-jährige britische Physiker mit Adelstitel treibt derzeit ein neues ambitioniertes Projekt voran: Open Data. Die Idee dahinter: Politik und Verwaltung stellen Daten sowie Informationen über Entscheidungsprozesse frei zur Verfügung – ohne dass die Bürger erst als Bittsteller darum kämpfen müssen. Diese Öffnung soll die Grundlage für eine intensivere Zusammenarbeit von Staat und gesellschaftlichen Gruppen schaffen und zu "Open Government", einer weitgehend transparenten Regierungsform, führen.

"Wenn Regierungen ihre Daten im Web zur Verfügung stellen, kann die Bevölkerung sehen, was mit ihren Steuergeldern passiert", so Berners-Lee, der zu den Gründern des Open Data Institute in London gehört. Solche Informationen machten die Arbeitsweise von Regierungen viel durchschaubarer und könnten die Bürger zu mehr Engagement ermutigen. Genau das glaubt auch Daniel Dietrich. "Diese Daten sind eine digitale Infrastruktur, die sich auf verschiedene Weise nutzen lässt", sagt der Vorsitzende der Open Knowledge Foundation Deutschland, die Open Data fördern will. "Sie können nicht nur für mehr Transparenz im Bereich der Politik sorgen, sondern auch Innovationen unterstützen und so die Wirtschaft fördern."

Den ökonomischen Vorteil von Open Data bestätigt eine Untersuchung im Auftrag der EU-Kommission. Der Analyse zufolge könnten offene Verwaltungsdaten in Europa ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 40 Milliarden Euro pro Jahr und Hunderttausende zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. McKinsey ist sogar noch optimistischer: In einer Studie schätzt die Unternehmensberatung, dass durch Open Data weltweit pro Jahr drei Billionen Dollar zusätzliches Wirtschaftswachstum möglich wären. Besonders große Effekte sehen die Berater in den Be-reichen Erziehung, Verkehr und bei der Entwicklung neuer Produkte – etwa durch besseren Unterricht, weniger Staus und eine sinnvollere Segmentierung von Märkten.

Dank seiner Prominenz konnte Berners-Lee in seinem Heimatland schon viel erreichen: Das britische Datenportal data.gov.uk umfasst im Moment fast 18000 Datensätze von Regierungen und Behörden – darunter Informationen über die Qualität von Schulen und die Sterblichkeitsrate bei Erkrankungen wie Asthma. In den USA ist Open Data sogar Chefsache: An seinem ersten Tag im Amt unterschrieb Barack Obama das "Memorandum on Transparency and Open Government", dem rund ein Jahr später die "Open Government Directive" folgte – damit werden Behörden verpflichtet, Informationen online zur Verfügung zu stellen und ihre Pläne für mehr Transparenz zu veröffentlichen. Auf dem US-Datenportal www.data.gov warten derzeit mehr als 88000 Datensätze auf ihren Abruf.

Kein Wunder, dass Großbritannien und die USA in puncto öffentliche Verwaltungsdaten weltweit an der Spitze liegen: Sowohl das "Open Data Barometer" der World Wide Web Foundation und des Open Data Institute als auch der "Open Data Census" der Open Knowledge Foundation sehen das Vereinigte Königreich auf dem ersten und die USA auf dem zweiten Platz.

Auch hierzulande stellen Bund, Länder und Gemeinden zunehmend mehr Informationen ins Internet – was der deutschen Verwaltung in den beiden Rankings immerhin Platz neun beziehungsweise zwölf eingebracht hat. Unter GovData.de kann man sich durch die Details des Bundeshaushalts 2013 klicken oder die beliebtesten Vornamen in Bremen im Jahr 2012 abrufen (Marie und Maximilian). Daneben betreiben viele Länder und Gemeinden auch eigene Internetportale mit Verwaltungsdaten, deren Inhalte allerdings meist mit GovData.de verlinkt sind.

Für Netzaktivisten wie Anke Domscheit-Berg fehlt es aber noch an der Unterstützung durch die höchste Ebene der Politik. "Hier muss sich Angela Merkel mehr engagieren", sagt die Politikerin von der Piratenpartei. Leider habe sich die Kanzlerin noch nie öffentlich zu Open Data geäußert. Wie wichtig klare Vorgaben der Bundespolitik sind, zeigt das "Smiley-Projekt" im Berliner Bezirk Pankow: Seit 2009 veröffentlicht die lokale Verwaltung die Ergebnisse ihrer Lebensmittelkontrolleure im Internet und vergibt je nach Resultat Noten von "sehr gut" bis "nicht ausreichend", jeweils illustriert durch einen von fünf Smileys mit dem passenden Gesichtsausdruck.

Auch Tempelhof-Schöneberg, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf haben das Pankower Modell übernommen. Dennoch existiert derzeit kein zentrales Portal, auf dem alle zwölf Berliner Bezirke ihre Kontrollergebnisse zugänglich machen. "Jeder Bezirk hat im Moment eine eigene Rechtsauffassung darüber, was veröffentlicht werden darf", berichtet Torsten Kühne, Pankower Stadtrat für Verbraucherschutz, Kultur, Umwelt und Bürgerservice. "Der Bund muss eine Grundlage für solche Angebote schaffen."

Viele Bürger scheinen die Daten allerdings kaum zu interessieren. Derzeit verzeichnet die Smiley-Liste aus Pankow pro Monat rund 2000 Seitenabrufe – kein überragender Wert für ein Angebot, das so nah am täglichen Leben der Menschen ist. Noch weniger Resonanz erhält Uwe Hermanns, Leiter des Dezernats für Finanzen und Beteiligungen im Landratsamt Bodenseekreis. Seine Behörde stellt seit 2008 Informationen zum derzeit 290 Millionen Euro umfassenden Haushalt des Landkreises ins Internet. "Der Sozialetat, unsere Investitionen in Schulen oder der Straßenbau sind Ausgaben, die die Menschen direkt betreffen", sagt Hermanns. Von den 206000 Einwohnern des Bodenseekreises hat sich trotzdem noch kein einziger mit Kommentaren oder Vorschlägen beim Finanzchef gemeldet.

"Natürlich werden sich die Bürger nicht sofort auf die Daten stürzen", räumt auch Open-Data-Aktivist Dietrich ein. "Ich erwarte die positiven Effekte eher mittel- bis langfristig, wenn die Menschen eine neue ,Daten-Literacy' erworben haben." Ein Problem dürfte allerdings auch sein, dass die Informationen nicht gerade benutzerfreundlich präsentiert sind. Vielen Usern ist es vermutlich schlicht zu anstrengend, sich durch die komplexe Materie zu arbeiten. Ändert sich das irgendwann, soll die Zeit von "Government as a Platform" anbrechen: Wie im Web 2.0 würde der Staat als Plattform fungieren, auf der sich verschiedene Interessengruppen treffen, um zusammen an Problemlösungen zu arbeiten. Ob dann mehr mitmachen? (bsc)