Meinung: Suchmaschinen müssen neutral bleiben

Der Europäische Gerichtshof habe endlich ein Recht auf das Vergessenwerden ins Internet gebracht, jubeln viele. Doch das Urteil ist ziemlich bedenklich.

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Der Europäische Gerichtshof habe endlich ein Recht auf das Vergessenwerden ins Internet gebracht, jubeln viele. Doch das Urteil ist ziemlich bedenklich.

15 Jahre ist es schon her, dass dem Spanier Mario G. ein Grundstück gepfändet wurde, weil er Schulden bei der Sozialversicherung hatte. Doch noch immer taucht diese alte Sache auf, wenn jemand nach dessen Namen googelt. Das ärgert Mario G., und er zieht damit vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der gibt ihm Recht – der Hinweis müsse gelöscht werden. Allerdings nicht an der Quelle, dem Onlinearchiv einer regionalen Zeitung, bei der das Arbeits- und Sozialministerium seinerzeit eine Anzeige mit dem Hinweis auf die Versteigerung geschaltet hatte. Diese Anzeige sei legitim und dürfe im Netz bleiben, so der EuGH. Stattdessen sei Google verpflichtet, den Link auf diese Anzeige zu löschen.
Eine korrekte Quelle, die aber nicht gefunden werden darf? Um das zu begründen, hat der EuGH für meine Begriffe ziemlich abenteuerlich argumentiert. Für die Richter unterliegen Suchmaschinen den Datenschutzvorschriften, weil sie „personenbezogene Daten“ verarbeiten – also sammeln, speichern und auffindbar machen. Damit rücken sie Google auf eine Ebene mit einem Versicherungskonzern, der die Daten seiner Kunden hortet.

Wie schief dieser Vergleich ist, zeigt sich in Absatz 7 des Urteils. Er bezieht sich auf die EU-Richtlinie 95/46. Darin ist unter anderem geregelt, dass personenbezogene Daten nur „für festgelegte eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben werden“ dürfen. Dies ist ein wichtiger Passus, um Behörden und Unternehmen eine allzu großzügige Datensammelei auszutreiben. Aber für eine Suchmaschine ist er schlicht unpassend. Die sammelt Daten nur zu dem Zweck, dass sie von Dritten gefunden werden, wann und warum auch immer.
Die meisten Kommentatoren loben den EuGH dafür, endlich so etwas wie die Gnade des Vergessens ins herzlose Internet eingebracht zu haben. Ich sehe das anders: Suchmaschinen haben die Aufgabe, möglichst neutral Inhalte im Internet auffindbar zu machen. Kommen sie dieser Aufgabe nicht mehr nach, wird das gesamte Web unbrauchbar. (Über die Frage, ob und wie weit Google jemals neutral war, habe ich mir hier vor einiger Zeit Gedanken gemacht.) Nichtsdestotrotz möchte ich den Anspruch an eine möglichst neutrale Suchmaschine nicht aufgeben. Dabei ist es gleichgültig, ob es um die automatische Vervollständigung von Suchbegriffen geht oder um die Trefferlisten.

Natürlich hat jeder Mensch ein Recht darauf, seine Fehler nicht lebenslang hinterher getragen zu bekommen. „Auch eine ursprünglich rechtmäßige Verarbeitung sachlich richtiger Daten [kann] im Laufe der Zeit nicht mehr den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen, wenn die Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder verarbeitet worden sind, nicht mehr erforderlich sind“, schreibt der EuGH – und leitet daraus ab, dass Google seine Treffer löschen soll. Doch warum gilt dieses Argument nicht für die Quelle? Mit der Zeitungsannonce wollten die Behörden seinerzeit eine höchstmögliche Zahl an Bietern für die Zwangsversteigerung finden. Die ist nun 15 Jahre her, die Information mithin nicht mehr relevant, also raus aus dem Archiv damit.
Der EuGH verpflichtet Gerichte, die nun über solche Fälle zu entscheiden haben, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Das klingt zunächst einmal gut, denn so können etwa Korruptionsskandale aktiver Politiker nicht einfach aus dem kollektiven Gedächtnis geklagt werden. Ich fürchte aber, dass der Gerichtshof damit eine Klagewelle lostritt, bei der sich am Ende vor allem die durchsetzen, die sich die besten Anwälte leisten können. (grh)