SIGINT: Die Grundrechte und die Praxis

Der CCC beklagt, dass Ermittlungsbehörden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum "Recht auf digitale Intimsphäre" weitgehend ignorieren oder umgehen, indem sie andere Rechtsnormen heranziehen, um etwa Abhörmaßnahmen zu rechtfertigen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 49 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes spielen die Grundrechte auf der in Köln stattfindenden SIGINT-Konferenz des Chaos Computer Clubs (CCC) die Hauptrolle. Die CCC-Sprecher Frank Rieger und Constanze Kurz beklagten eine mangelhafte Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und forderten eine Verschärfung der Strafprozessordnung, um die Anzahl der beschlagnahmten Festplatten zu reduzieren.

Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen wurde im vergangenen Jahr vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung begründet. Dieses Grundrecht, verkürzt auch "Recht auf digitale Intimsphäre" genannt, sei derzeit noch nicht im Rechtsalltag angekommen, kritisieren die Hacker.

Rieger warf den Ermittlungsbehörden vor, ihre Möglichkeiten in diesem Bereich unverhältnismäßig zu nutzen. Denn in der Entscheidung ist nicht nur die Online-Durchsuchung behandelt worden, sie definiert weitreichende Regeln zur Auswertung von informationstechnischen Systemen vom Computer über Telefone bis zum digitalen Hörgerät. So sei es für die Polizei heute kein Problem mehr, die Daten auf Mobiltelefonen zu sichern, um Kontakte, geführte Gespräche und SMS-Inhalte auszuwerten. "Diese Software ist vorhanden und wird daher extensiv genutzt", erklärte Rieger in Köln. So sei es heute üblich, dass Demonstranten unter dem Verdacht des Landfriedensbruchs festgenommen und ihre Handys während der kurzen Haftdauer ausgewertet würden.

Gleichzeitig würden die Behörden die engen Vorgaben bezüglich der Online-Durchsuchung umgehen, indem sie stattdessen die Vorschriften des Telekommunikationsrechts zum Abhören anwenden, um die gleichen Ergebnisse wie bei einer Online-Durchsuchung zu erzielen. "Die Hürden sind hier wesentlich niedriger", sagte Rieger. Dabei verweise das BKA "wider besseren Wissens" darauf, dass Dienste wie Skype nicht abhörbar seien, erklärte Rieger.

Constanze Kurz wies darauf hin, dass in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls enge Vorgaben für die Beschlagnahme und Auswertung von Festplatten enthalten sind. "Dies ist aber noch nicht in der Rechts-Realität angekommen". So gehörten Durchsuchungen heute fast zum alltäglichen Risiko, in Berlin dauere die Auswertung der enormen Menge beschlagnahmter Datenträger inzwischen bis zu zwei Jahren. "In unserem Umfeld werden diese Beschlagnahmen deshalb als präemptive Bestrafung empfunden", sagte Rieger.

Die Hacker kritisierten auch die Qualität der Auswertung: Dabei übernähmen nicht die Behörden selbst den Großteil der Auswertungsarbeit, sondern setzten auf externe Dienstleister. "In manchen Bundesländern reicht dazu schon ein polizeiliches Führungszeugnis", empörte sich Kurz. So existiere keine durchgehende Dokumentation der Zugriffe auf die Festplatte, die Gutachter arbeiteten direkt auf den beschlagnahmten Platten. "Da geht auch gerne etwas verloren", sagte Rieger. Trotzdem würden die Ermittler unvermindert neue Computer beschlagnahmen. So seien allein bei der Aktion Himmel 17 000 Datenträger und über 250 Computer und Festplatten beschlagnahmt worden. Ein Strafverfolger habe gegenüber dem CCC den "irren Verwaltungsaufwand" beklagt, der aber kaum Ergebnisse zu Tage förderte, nur in "einigen Fällen" werde weiter ermittelt. Solche Fehlschläge würden aber nicht kommuniziert. So hatte sich der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss bei der Bundesregierung nach den Ergebnissen der großen Durchsuchungsaktionen der vergangenen Jahren erkundigt, aus dem Bundesfamilienministerium aber nur erfahren, dass dazu keine Erkenntnisse vorliegen.

Kurz kritisierte, dass das Bundesverfassungsgericht immer wieder Durchsuchungsbeschlüsse einkassieren müsse, die wegen nichtiger Anlässe (Parkverstoß) oder ohne vorherige Ermittlungen erlassen wurden. "Wir sind allen dankbar, die ihre Fälle trotz erheblicher Kosten bis zum obersten Gericht durchfechten", sagte Kurz. Grund für die Misere seien unter anderem organisatorische Mängel. So bliebe Richtern in Baden-Württemberg durchschnittlich 36 Minuten zur Prüfung eines Durchsuchungsbeschlusses, in Bayern seien es gar nur zwei Minuten. Die Strafprozessordnung müsse verschärft werden, damit solche Durchsuchungen und Beschlagnahmen nur bei schweren Straftaten und überragend wichtigen Rechtsgütern möglich seien. (Torsten Kleinz) / (ea)