Noch drei Monate bis zur Unabhängigkeit Schottlands?

Das "YES" zur Unabhängigkeit wird immer stärker und die britischen Konservativen bieten aus Angst für einen Verbleib die Ausweitung der Autonomie an

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die konservative britische Regierung ist entsetzt darüber, dass die Zustimmung zur Unabhängigkeit Schottlands vor dem Referendum am 18. September steigt und bei Umfragen keine 50% mehr dagegen sind. Sah es lange so aus, als hätte eine Zustimmung kaum eine Chance, nähern sich das YES und das NO sich immer weiter an, noch immer sind viele Schotten unentschlossen.

Doch immer weniger lassen sich die Bewohner in Schottland davon abschrecken, angeblich das Pfund aufgeben zu müssen. Schatzkanzler George Osborne wies als Möglichkeit zurück, dass sich Schotten und Briten die Währung in einer Währungsunion teilen könnten. "Wenn Schottland Großbritannien verlässt, verlässt es auch das Pfund."

Unabhängikgkeits-Pub im schottischen Inverness. Bild: R. Streck

Auch die Angst, angeblich aus der EU zu fliegen, wird geringer. Das wird zwar immer wieder behauptet, doch dass es real dazu kommt, darf stark bezweifelt werden. Weiter wird auch in Großbritannien damit gespielt, die Briten könnten mit einem Veto eine formale Aufnahme Schottlands in die EU behindern. Doch diese Position wird angesichts der Tatsache immer unglaubwürdiger, dass UKIP nun die stärkstePartei Englands ist. Und deren Hauptziel ist bekanntlich der Austritt des Königreiches aus der EU ist. Auch die konservative Regierung unter David Cameron will die Bevölkerung 2017 über einen Austritt abstimmen lassen.

So wandelte sich mit den Europaparlamentswahlen das Bild. Für die Schotten, die lieber in der EU bleiben wollen, ist es nun sogar attraktiver geworden, in drei Monaten mit "YES" für die Unabhängigkeit zu stimmen. Und so haben die Wahlen auch schon den Diskurs in England verändert. Plötzlich berichtete die britische BBC über einen Bericht des Scottish Affairs Committee im Parlament. Und das geht von einem Verbleib Schottlands in der EU aus. Doch Schottland würde "alle oder die meisten Sonderregelungen verlieren, von denen es als Teil des Königreichs profitiert", berichtet die BBC, womit eine neue Drohkulisse aufgebaut wird.

Gemeint ist zum Beispiel der "Briten-Rabatt". Seit 1984 erhält Großbritannien einen Abschlag auf zu leistenden Zahlungen an die EU. Der Rabatt beläuft sich derzeit auf knapp vier Milliarden Euro im Jahr. Großbritannien bekommt also knapp zwei Drittel seiner Netto-Beiträge an den EU-Haushalt zurückerstattet und diese Kosten werden dann auf die übrigen Mitgliedsländer verteilt. Das dürfte ein Argument in der EU für die Aufnahme des Nettozahlers Schottlands sein. Auch deshalb geht die Kommission von einer Aufnahme aus.

Bild: Ralf Streck

Neben der Peitsche hat man in Westminster nun auch das Zuckerbrot ausgepackt, um die Dynamik zu stoppen, mit der die Unabhängigkeitsbefürworter im Land an Zustimmung gewinnen. So bieten die Konservativen weitere Autonomierechte für Schottland an. Die Schotten sollen Einkommenssteuer erheben und gestalten können. Sie sollen auch die Kompetenz über verschiedene Sozialleistungen erhalten.

Die mit absoluter Mehrheit regierende SNP lacht sich darüber aber ins Fäustchen. Damit, so meinte die stellvertretende Erste Ministerin Nicola Sturgeon, hätten die Tories den Pfeiler der Nein-Kampagne zerstört. Bisher sei stets auf einheitliche Steuern und Sozialleistungen im Königreich gesetzt worden. Allerdings erinnert sie auch an viele Versprechungen gegenüber Schottland, welche die Konservativen gebrochen hätten. Tatsächlich hätte die Umsetzung weitgehende Folgen in Richtung einer föderalen Struktur, denn es ist zu erwarten, dass auch Wales und Nordirland diese zusätzlichen Rechte fordern würden.

Inzwischen kommt etwas mehr Leidenschaft in eine Debatte. Auch Künstler und bekannte Persönlichkeiten streiten nun mit. Die in Schottland lebende englische Bestsellerautorin J. K. Rowling hat sich weit aus dem Fenster gelehnt und der Kampagne "Better together" insgesamt fast 1,3 Millionen Euro gespendet, wofür sie in sozialen Netzwerken auch angefeindet wird. Die Kampagne wirbt mit riesigen Plakaten für einen Verbleib im Königreich. Geführt wird "Besser Zusammen" vom früheren Finanzminister Alistair Darling. Er ist ein Freund und früherer Nachbar einer der reichsten Frauen des Königreichs.

Auch der britische Sänger David Bowie wirbt für einen Verbleib Schottlands. Doch andere britische Musiker wie Billy Bragg setzen sich genauso für das YES ein wie der Filmemacher Ken Loach. Schließlich hätten auch andere "Kolonien" ihre Unabhängigkeit durchgesetzt. Derlei Stimmen sorgen auch unter den eigenen Landsleuten für eine angeregte Debatte. Auf einem eigens eingerichteten Twitter-Account äußern sich diverse Promis zum Thema. Wo der schottische James Bond-Darsteller Sean Connery von einer "historischen Entscheidung" spricht und für das YES wirbt, während der Brite Roger Moore und Nachfolger von Connery für das NO eintritt.