Kostenexplosion beim Schengener Informationssystem

Der Europäische Rechnungshof hat einen Sonderbericht zu SIS II vorgelegt. Hintergrund ist die eklatante Verzögerung und Verteuerung des Gesamtprojekts um das Dreizehnfache

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Das SIS wird von Grenzschutz-, Polizei-, Zoll-, Visum- und Justizbehörden im gesamten Schengen‑Raum verwendet. Es enthält Informationen und Ausschreibungen zu Personen und Sachen, die einer Straftat verdächtigt werden oder mangels Aufenthaltserlaubnissen ausreisepflichtig sind. Die Ausschreibungen werden von nationalen Behörden in das System eingegeben, die dezentral an das SIS angeschlossen sind.

Das erste Informationssystem (SIS 1) wurde 1995 in Betrieb genommen und im Mai 2013 durch das SIS II ersetzt. Damit wurde der vorgesehene Zeitplan um mehrere Jahre überzogen. Auch die Kosten explodierten um mehr als das Dreizehnfache: Laut der Bundesregierung schlug das neue System mit 190 Millionen Euro zu Buche, vorgesehen waren 14,55 Millionen. Hinzu kommen Gelder für die nationalen Schnittstellen. Nicht alle Kosten dafür können ermittelt werden. Für das Bundeskriminalamt (BKA) als nationale Schnittstelle wurden rund 13 Millionen Euro verausgabt.

Das neue SIS sollte die weiteren Mitgliedstaaten anschließen, aber auch neue Funktionen ermöglichen. Im Dezember 2001 hatte der Rat der Kommission die Zuständigkeit für die Entwicklung des neuen Systems übertragen, anvisiert war die Fertigstellung in 2006. Geleitet wurde das Vorhaben vom Generaldirektorat Inneres der Kommission, der Entwicklungsarbeiten für das zentrale System an mehrere Firmen vergab. Laut einem jetzt online gestellten Bericht des Europäischen Rechnungshofs war ursprünglich eine Inbetriebnahme des SIS II mit maximal 15 Millionen Datensätzen geplant. Diese Kapazität sei auf 70 Millionen Datensätze erweitert worden, der weitere Aufwuchs auf 100 Millionen sei "bei Bedarf" möglich.

Weil das SIS II nicht fristgerecht fertig wurde, gab es zunächst ein Upgrade des alten SIS 1. Nach dem Rechnungshof habe es sich dabei um eine Kopie des nationalen Systems von Portugal gehandelt. Dieses "SISone4all" habe wenigstens neun der damals zehn Beitrittsländer anschließen können.

Als Gründe für die Verzögerungen nennt der Rechnungshof den Mangel an "Fachwissen zur wirksamen Überwachung der Verträge" und die "Instabilität" der Systemanforderungen. Viele Länder hätten sich nicht genügend engagiert, auch die Arbeitsbeziehungen seien schlecht gewesen. Fristen basierten nicht auf "realistischer technischer Analyse".

In dem Bericht werden in Fragen und Antworten genauere Ursachen benannt. So heißt es beispielsweise, Mehrkosten seien wegen einer nachträglich geforderten "Datenamnestie" angefallen: Mitgliedsländern sei ein Zeitraum von drei Jahren eingeräumt worden, bis die vom SIS 1 übertragenen Ausschreibungen den neuen Datenschutzbestimmungen genügten. Erst Änderungen in 2010 hätten aber zur größten Kostenexplosion von 35 Millionen Euro geführt.

"Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen"

Erkenntnisse aus den Erfahrungen mit dem SIS II sollen nun in neue "IT‑Großprojekte" einfließen. Im Dezember 2012 hatte die EU-Kommission die "Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen" gestartet. Unter dem Kürzel "eu-LISA" sollten in Estland zunächst drei polizeiliche Informationssysteme administriert werden. Das Visa-Informationssystem (VIS) und die Finderabdruckdatenbank Eurodac wurden sofort angeschlossen. Die Verwaltung des Schengener Informationssystem (SIS) musste hingegen einige Monate warten, bis die Migration zum SIS II vollzogen war.

In einer Studie wird nun untersucht, inwiefern auch ein von Deutschland gewünschtes "Ein/ Ausreisesystem" von der Agentur verwaltet werden könnte. In der Superdatensammlung sollen die Fingerabdrücke aller Einreisenden in die Europäische Union gespeichert werden. Das Bundesinnenministerium fordert, die Daten auch für polizeiliche Zwecke nutzen zu können.