Kommentar: Google minus plus

Android dominierte die I/O-Konferenz – sein soziales Netzwerk behandelt Google hingegen eher stiefmütterlich. Die zentrale Rolle im Google-Imperium hat Google+ wohl verloren, findet Herbert Braun.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Herbert Braun

Es war eine lange Liste von neuen Features, die Google auf seiner jährlichen I/O-Konferenz für das soziale Netzwerk Google+ vorstellte: Eine üppige Liste mit 41 Neuheiten lag auf dem Tisch, darunter automatische Hashtags und neue Messenger-Apps. Allein das umgestaltete Layout ließ Projektleiter Vic Gundotra von einem "neuen Google+" sprechen.

Halt, stopp: Wir sprechen nicht von der diesjährigen Google I/O – das waren die News von 2013. Und heute? Mancherorts war zu lesen, dass keine einzige Session auf der diesjährigen I/O Google+ zum Thema hat. Das stimmt nicht: Es gibt genau eine – von ungefähr 200. Sucht man den Speaker auf Google, findet man zuerst Verweise auf LinkedIn und Facebook.

Auf der I/O-Konferenz befasste sich lediglich eine Veranstaltung mit Google+.

Wenn große Unternehmen mit der Axt ausholen, um milliardenschwere Projekte zu beenden, kündigen sie das nicht vorher an. Aber es gibt Anzeichen, und ausbleibende Neuerungen sind das deutlichste. Und es ist nicht nur das.

Klammheimlich hat Google die Anzeige von Autorenprofilen in Suchergebnissen entfernt. "Direct Connect", eine Abkürzung von der Google-Suche zu Google+-Profilen, ist abgeschaltet – Ende 2011 hatte Google deshalb extra den etablierten "+"-Operator in der Suche deaktiviert. Und Vic Gundotra, neben seinem Chef Larry Page die treibende Kraft hinter Google+, hat das Unternehmen vor zwei Monaten verlassen.

Ein Kommentar von Herbert Braun

Herbert Braun ist Webentwickler und hat 2004 bei der c't angeheuert, wo er sich als Redakteur um Webtechniken, Browser und Online-Trends gekümmert hat. 2013 verließ er schweren Herzens (aber auf eigenen Wunsch) die Redaktion, um sich von Berlin aus als freier Autor und Webentwickler durchzuschlagen.

Die exorbitanten Zahlen zu Nutzern und Aktivitäten, die Google regelmäßig meldet, widersprechen den Erfahrungen der meisten Internet-Nutzer, die eher versehentlich zu ihrem Google-plus-Profil gekommen sind und sich bei Gelegenheitsbesuchen wie in einer Geisterstadt fühlen.

Dabei hat der Dienst sehr wohl seine Fans, gerade unter den gut Vernetzten, welche die oft intensiven, weitgehend trollfreien Diskussionen schätzen. Dass diese ohne große Störungen zustande kommen können, dürfte allerdings auch mit der Abwesenheit der großen Masse von Internetnutzern zu tun haben, die sich lieber bei der Konkurrenz tummelt.

Die Mehrzahl der Onliner hat nie verstanden, wozu sie ein zweites Facebook brauchen sollte. Mit Zwangsbeglückungsmaßnahmen wie der Umstellung der YouTube-Kommentare auf Google+ hat man dem Dienst tonnenweise schlechtes Karma aufgeladen. Den Klarnamenzwang empfanden viele als diktatorisch, die ihre Online- und Meatspace-Persönlichkeiten zu trennen wissen. Und die Verflechtung von Suche und Gmail mit dem Netzwerk verunsicherte die Nutzer eher, als dass sie einen Nutzen darin wahrnahmen. Die Penetranz, mit der Google+ zum Sozialisieren drängt, erinnert an Karl Klammers gut gemeinte Ratschläge in alten Word-Versionen ("Anscheinend möchten Sie einen Brief schreiben").

Ob es an Facebooks Dominanz liegt oder daran, dass Google – wie seine Kritiker sagen – Algorithmen besser versteht als Menschen: Die Vision, Facebook vom Markt zu fegen und sich selbst um das eigene soziale Netzwerk herum neu zu erfinden, ist gestorben. Und Google ist nicht das Unternehmen, das sich mit Dienstleistungen für kleine Online-Eliten zufrieden gibt. Reader, Buzz, Wave, Knol, SearchWiki: Die Liste der einst mit großen Erwartungen gestarteten und teilweise bewährten Produkte, denen Google das Lebenslicht ausgepustet hat, ist lang.

Das heißt nicht, dass der dritte Geburtstag, den Google+ morgen feiert, zwangsläufig der letzte sein muss. Offensichtlich hat das Social Network aber die zentrale Rolle im Google-Imperium abgeben müssen, für die es gedacht war und die es nie ausfüllen konnte.

2011 hatte Google Angst, dass Facebook es als primäre Informationsquelle verdrängen könnte. Danach sieht es nun nicht mehr aus. Der Hype ums soziale Web ist abgeebbt, jetzt reden alle von Smart Homes, Robotern und Mobilgeräten aller Art. Die neue Achse, um die sich bei Google alles dreht, ist Android. Und damit ist Google heute schon Marktführer.

Hinweis der Redaktion: In der ursprünglichen Version der Meldung fehlte der Absatz "Dabei hat der Dienst sehr wohl seine Fans [...]". Er war beim Kopieren des Textes versehentlich abhandengekommen.

(dbe)