"Aber einen Kuchen kann doch jeder backen"

Außer Kontrolle

"Mehr Eigeninitiative bei der Jobsuche" und "gemeinsame Arbeitsmarkterfahrungen" sollen Langzeitarbeitslose wieder in die Gesellschaft integrieren. Kreativität, Basisfähigkeiten der allgemeinen Lebensführung sowie freundschaftliches Miteinander sollen dabei helfen.

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"Kreatun" – ein Kofferwort aus Kreativität und Tun – lautet der Name eines neuen Projektes für Langzeitarbeitslose, das ein Konglomerat aus Arbeitgeberverbänden und Politikern im nächsten Monat der Bevölkerung präsentieren will. Wie das Wort bereits deutlich macht, steht die Kreativität dabei ebenso im Mittelpunkt wie die Aktivität. "Jeder Mensch ist doch in irgendeiner Form kreativ" – so der Titel des ersten Kapitels der Projektbeschreibung. Dort sind Beispiele dafür angeführt, wie die Kreativität des Einzelnen ihm helfen soll, wieder im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Außerdem geht es um die Kosten, die sich – was besonders positiv herausgestellt wird – im "niedrigen Bereich" bewegen und insgesamt bis zu 250.000 Euro betragen sollen; der größte Posten davon entfällt auf die Öffentlichkeitsarbeit.

"Es ist doch eine Farce, wenn jemand, der zu Hause großartige Torten backt, aus dieser Fähigkeit keinerlei Jobchancen kreieren kann", wird ein führender Arbeitsmarktexperte zitiert, der auch erläutert, wie eine solche "kreative Arbeitsmarktannäherung" aussehen könnte. Beispielsweise könne die bereits erwähnte Tortenbäckerin ihre Produkte einem Café schenken oder sie dort selbst verkaufen – und durch die Erfahrung, dass die eigenen Produkte nachgefragt werden, sowie durch den direkten Kontakt mit Menschen, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert sind, in ihrem Selbstbewusstseins gestärkt werden. Eine möglichst breitflächig angelegte Angebotspalette sowie die Bereitschaft, auch größere Strecken zum Arbeitsort zurückzulegen, könnten zusätzlich förderlich sein. "Das Gefühl, gebraucht zu werden, würde hier mit dem Gefühl, eine nachfrageorientierte Arbeit zu erledigen, zu dem Gefühl, ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft zu sein, verschmelzen", lautet das Fazit der Überlegung. Die gegebenenfalls so erwirtschafteten Gelder werden zu 100 % auf die ALG-II-Leistungen angerechnet.

Auch andere Beispiele werden gezeigt: ein Maler, der mit Farbe und Pinsel bei einer Schule vorstellig wird, um dort Klassenräume zu streichen; eine Gärtnerin, die mit ihrem Werkzeug und eigenen Pflanzen den Garten eines Cafés bepflanzt; oder ein Musiker, der samt seinem Keyboard bei abendlichen Veranstaltungen die musikalische Betreuung übernimmt, um "den Gästen auch einen akustischen Genuss zu bieten".

"Es gibt niemanden, der nicht irgendeine Fähigkeit hat, welche ihm helfen kann, wieder in die Gesellschaft integriert zu werden" – so lautet die Überschrift des zweiten Kapitels. Ob es sich nun um den Klassenräume streichenden Maler oder die Gärten und Parks bepflanzende Gärtnerin handelt, um den arbeitssuchenden Journalisten, der seine Artikel der lokalen Presse schenkt, um die Reinigungskraft, die Kirchen und Schulen als "mobiles Reinigungsunternehmen" säubert, oder um die Sekretärin, die – mit Laptop und Drucker ausgestattet – Schreibarbeiten für jedermann übernimmt: "Jeder verdient es, als wichtiger Teil der Arbeitswelt wahrgenommen zu werden und daraus Kraft zu ziehen."

Bei diesem Projekt geht es aber ausdrücklich nicht nur um den Produktionssektor; vielmehr sollen Produktherstellung, Dienstleistung und Handwerk verknüpft werden. Auch jene, die über eine Ausbildung und Berufserfahrung verfügen, sollen durch "Kreatun" aktiviert werden, um entweder ihre erlernten oder aber die in der Freizeit ausgeübten Tätigkeiten zu nutzen. Hier werden der Fall eines an einem Rückenleiden erkrankten Steinmetzes, der zu Hause das Brotbacken erlernte und sich nun vorstellen könnte, "tagtäglich eine Schule zu beliefern", oder der eines arbeitssuchenden Tischlers, der die Möbel in einer Schule reparieren könnte, als Beispiele genannt.

Da sowohl die Fähigkeiten als auch die Werkzeuge und Produkte bereits vorhanden sind, werden für die Ausrüstung der neuen "Kreatunisten" keine Kosten veranschlagt. Auch die Betreuung ist, da es sich um "von Eigeninitiative geprägte Tätigkeiten" handelt, kostenneutral. Die Bewerbung der Idee gegenüber den Arbeitgebern schlägt mit den vorgenannten 250.000 Euro zu Buche, wobei hier auch die Pressearbeit enthalten ist.

Für die Bereitschaft, den Kreatunisten quasi "ein Arbeitsumfeld" zu bieten, soll den Arbeitgebern eine Aufwandsentschädigung in Höhe von ca. 100 bis 250 Euro monatlich geboten werden. Dies sei notwendig, da ja bei den Produkten und Tätigkeiten auch eine Qualitätskontrolle durch die eingebundenen Arbeitgeber stattfinden müsse.