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Was war. Was wird.

Es gibt Tode, die kann man nur schwer verkraften, auch wenn sie nicht im persönlichen Umfald passieren, trauert Hal Faber. Und muss sich doch mit den Verirrungen dieser kleinen netzpolitischen und informationstechnischen Welt beschäftigen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details
schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und
Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Charlie Haden ist tot. Ich kann es noch gar nicht fassen, vor wenigen Tagen habe ich mir erst "Last Dance", sein jüngstes Album, zusammen mit Keith Jarrett, angehört, das gar nicht nach Abschied klang, Titel hin, Alter her. Und nun ist Charlie Haden tot. Ein Verlust für die Musik, den man gar nicht ermessen kann. Ob es noch einmal einen Bassisten gibt, der die Musik der Zeiten, in denen er gelebt hat, so geprägt hat wie Charlie Haden, das glaube ich kaum. Nicht einmal Charles Mingus ist im Vergleich so prägend, so stilbildend, so vorwärtstreibend, so erneuernd. Charlie Haden ist tot. Ich bin tief traurig. Und tröste mich mit den Montreal Tapes und den Alben des Liberation Music Orchestra.

*** Und wie soll ich jetzt weitermachen? Aber nun gut: Endlich geht die fußballlose Zeit zu Ende und wir können uns alle auf das Freundschaftsspiel Deutschland gegen Argentinien im schönen Düsseldorf freuen. Schließlich ist das Jahr bald vorüber. All die klugen Analysen, wie die über Mensch gegen Maschine, all die Aufreger und knallharten Analysen vom heftig umkämpften Arbeitssieg "unserer Jungs" über Brasilien sind dann verblichen und vergessen. Nur eine nicht. Da hat doch Google glatt die Frechheit besessen, in einem experimentellen Newsroom mit Suchanfragen und Schlagzeilen zu experimentieren, die auf Suchanfragen reagieren. Ein Feature, das jeder Redakteur beherrschen muss, wenn er einen interessanten Newsticker oder die Seite einer Tageszeitung zusammensetzt.

*** Nur wollten die Programmierer bei Google inmitten des Twittergewitters Gnade beim Experiment walten lassen und schauen, wie sich das tapfere Brasilien in den Suchläufen widerspiegelt, wenn nicht von einer Katastrophe die Rede ist. Über die Suchläufe von Brasilianern wurde anschließend nichts veröffentlicht. Was aus diesen Experimenten folgt, ist klar wie Ochsenschwanzsuppe: Google ist urböse und die Politik muss dringend etwas tun. Mindestens ein Kartellverfahren muss her für diese experimentelle Frechheit der Laborratten, diesen Frevel an einem großartigen Männersport. Man google einfach mal "Messi sorgt für Ordnung" und schaue sich an, wie Deutschlands nächster Gegener vor dem Freundschaftsspiel skandalös von Google ignoriert wird.

*** Die Argumentation der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird noch von den Leserkommentatoren übertroffen, in denen staatliche Suchmaschinen gefordert werden, vielleicht nach dem Vorbild des chinesischen Panguso oder des russischen Sputniks. Ach ja, die Kommentare in den Leserforen. Den feingeistigen FAZ-Autoren machen sie schwer zu schaffen. Dass man erntet, was gesät wird, wenn so gegen Google gebolzt wird, kommt nicht in den klugen Köpfen an. Wer über die Ritter der Cyber-Empörung lästert und die Forderung nach Asyl für Snowden als "eitle Rufe" abtut, muss mit Gegenrede rechnen. Schließlich gibt es neben den verschnarchten Stützen der Gesellschaft auch Bürger, die diese Gesellschaft verändern wollen. Ansonsten ist es bezeichnend, dass die FAZ dem Internet nicht vertraut. Wie sagte noch ein gewisser Jürgen Kuri auf der re:publica (ich wiederhole mich): "Ein lebendiges Forum ist auch in der Lage, sich selbst zu regulieren." Das gilt ja nicht nur für unsere großartigen Heise-Foristas. Man schaue nur mal, wie aktuell bei der tageszeitung der Austritt des Berliner Landesverbandes aus der Piratenpartei diskutiert wird.

*** Bekanntlich haben die Piraten in Schleswig-Holstein dieser Tage dafür gesorgt, dass dort der Datenschützer Thilo Weichert nicht wiedergewählt wurde. Die Aktion wird als Erfolg verkauft, mit dem Zusatz, dass man um den politischen Anstand ringt und eine öffentliche Ausschreibung den besten Landesdatenschutzbeauftragten ins Amt spült. Man schaue nur im letzten Link, wie sachlich die Prinzipienreiterei der Piraten diskutiert werden werden kann. Kein Hass, nirgends, höchstens Mitleid und Unverständnis. Dass die nördlichsten Piraten eine gänzlich andere Vorstellung von Datenschutz haben, wenn sie die Namen von ermittelnden Polizeibeamten ohne Rücksicht auf verpfuschte Schwärzungen veröffentlichen, ist natürlich ein Werk von Rainer Zufall.

*** Was aber sind die Verirrungen der Piraten schon gegen die Verwirrungen von Spion & Spion, die aus einem Skript eines Billy-Wilder-Filmes entstiegen sind, komplett mit Harry Lime in den Katakomben von Wien. Wenn der eine Agent vom Verfassungsschutz aufgefordert wird, anderen Agenten zu überprüfen und der diesen Fall auch noch dem russischen Generalkonsulat in München schickt, dann hilft auch keine Prüfung des "Verräters" durch einen Psychiater. Die Diagnose, dass die Geheimdienste mangels jedweder Kontrollmechanismen verrottet sind und aufgelöst werden müssen, ist eine gesellschaftspolitische. Leider hilft die Diagnose nicht weiter: wenn dieser Agenturbericht stimmt und Bundeskanzlerin Merkel inmitten all der geheimdienstlichen Irritationen es abgelehnt hat, dass Deutschland Mitglied der "Five Eyes" wird, muss man die Alternativen sehen, die Merkel offenbar sieht. Es ist ja kein Geheimnis, dass christliche Volksparteipolitiker einen europäischen Geheimdienst installieren wollen, der dann so groß und mächtig werden könnte wie der gnadenlose europäische Récupération des Renseignments im Science-Fiction-Krimi Drohnenland. Damit passen auch Betrachtungen ehemaliger BND-Mitarbeiter über Chancen und Risiken eines Nachrichtendienstes der Europäischen Union in das Puzzle. Die BRD als vollwertiges Mitglied der "Five Eyes" auf einer Höhe mit den Partnern der UKUSA wäre für unsere Nachbarn so akzeptabel wie die deutsche PKW-Maut. Nämlich gar nicht.

*** In dieser Woche hat der Bundestag mehrere Petitionen abgelehnt, die Asyl für Snowden oder ein Bett für Snowden forderten. Snowden muss sein Asyl in Russland verlängern. Nach neuesten Veröffentlichungen von Glenn Greenwald überwachten die USA prominente Muslime und kümmerten sich um jede Menge Beifang. Dass es mittlerweile auch Kritik an der scheibchenweisen Veröffentlichungstaktik von Greenwald gibt, mit der Greenwald und andere das Optimum an Einnahmen zu erreichen suchen, sei nicht verschwiegen. So haben wir die wenigen Glücklichen im Besitz der Snowden-Dateien, die freilich keine Technik-Experten sind und denen nach zwei Stunden regelmäßig die Augen ausfallen, wenn es um Technik geht. Dann müssen sie schnell an die Tastaturen. So manifestiert sich das, was der investigative Journalist Seymour Hersh gegenüber der Berliner Gazette so formulierte: "Newspapers turn out to be not very interested in spreading the wealth."

Was wird.

In der kommenden Woche wird unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel 60 Jahre alt. So etwas will mit Schmidscher Gelassenheit gemeistert werden, vielleicht bei einer Runde Eierlikör mit ihrer Nachfolgerin von der Leyen. Momentan weilt Merkel aber ganz ungelassen in Brasilien, um der scharfen NSA-Kritikerin Dilma Rousseff ihr Beileid auszusprechen. Zusammen gucken Merkel und Rousseff heute abend mit Wladimir Putin und seinem Intimfeind Joachim Gauck irgendein Spiel an. Womöglich kommt auch Chinas Xi Jinping vorbei mit ein paar Tüten Chips und diesem schicken Scanner, dessen Malware Daten in die Volksrepublik reportierte. Zeit genug, einige Geburtstagsvorbereitungen für Angela Merkel zu treffen. Festredner ist der Historiker Jürgen Osterhammel, als Band könnte wieder einmal der Shanty-Chor auftreten. Vielleicht mit einem schönen Lied wie Pet Sematary zum Andenken an Tamás Erdélyi, genannt Tommy Ramone. Oder wie wäre es mit Dolly Parton mit feinster Warmherzigkeit? Frei nach William Blakes Tiger, Tiger, burning bright gibt es bereits ein erstes entzückendes Geburtstagsständchen als Vorlage:

What Angela Merkel trace,
Rose before thine eager face?
Then when thy hand began to
click, Thou snatched in an Augenblick!

NSA, NSA, burning bright,
In the networks of the night;
What immortal line of code,
Put Thee at every single node? (jk)