Explosion des Antisemitismus oder die Wut der Verdammten der Erde

Der Nahostkonflikt wird auch in europäischen Städten und Medien ausgetragen

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Normalerweise erfährt man nicht, was in Moscheen so verbreitet wird. Doch die Predigt, die der in Dänemark lebende Imam Billal Ismail in einer Berlin Moschee kürzlich gehalten hat, sorgte weltweit für Aufmerksamkeit und Empörung. Darin hatte der Iman um "Gottes Unterstützung zur Vernichtung der zionistischen Juden" aufgerufen. Das American Jewish Comittee fordert eine Bestrafung des Imans.

Der Vorfall reiht sich ein in eine europaweite Serie von antisemitischen Vorfällen, die sich oft während und nach Demonstrationen ereignen. Besonders in Frankreich ist die antisemitische Welle angestiegen, jüdische Läden und Synagogen wurden angegriffen. Aber auch in Deutschland hat die Verschärfung des Nah-Ost-Konflikts zu einer neuen Welle des Antisemitismus geführt.

Der Zentralrat der Juden schlägt Alarm. In einer Erklärung, die sich auf seiner Internetseite findet, schreibt deren Präsident Dieter Graumann:

Auf deutschen Straßen hören wir antisemitische Slogans von übelster und primitivster Natur. Niemals im Leben hätte ich mir vorgestellt, dass wir so eine Hetze gegen Juden in Deutschland wieder hören könnten.

In den letzten Tagen waren am Rande von pro-palästinensischen Demonstrationen israelsolidarische Personen angegriffen wurden.

Politiker der Linkspartei pro-Palästina und pro-Israel

Besonders in der Linkspartei prallen pro-palästinensische und pro-israelische Positionen aufeinander und dabei wurden in Wuppertal schon mal die Fäuste geschwungen. So sollen Teilnehmer eines Treffens des israelsolidarischen Arbeitskreises BAK-Shalom von den Gegnern angegriffen worden sein, dabei sollen auch Mitglieder des Solid-Landesverbandes NRW beteiligt gewesen sein.

Allerdings betonte ein Korrespondent der Jüdischen Allgemeinen, dass es viele Gerüchte und wenig Beweise gebe. Klarer war die Frontstellung bei einer Pro-Palästina-Demonstration am letzten Wochenende in Essen. Nach dem Ende der Demo griff eine kleine Gruppe der Teilnehmer eine israelsolidarische Kundgebung an.

Sowohl auf der pro-palästinensischen als auch auf der pro-Israel-Kundgebung traten Politiker der Linkspartei als Redner auf. Besonders der Bundestagsabgeordnete Harald Petzold wurde für eine Rede auf der israelsolidarischen Kundgebung angegriffen, obwohl er dort für eine Zweistaatenlösung und eine verbale Abrüstung plädiert hat. Der Bundesgeschäftsführer der Linken Matthias Höhn äußerte in einer Presseerklärung, er halte es für beschämend, dass wegen einer Kundgebung, zu der auch Linke aufgerufen haben, der Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkt werden musste.

Mobilisierung für und gegen den Al Quds-Tag

In den nächsten Tagen dürfte sich auch in Deutschland die Debatte über den Nahostkonflikt noch einmal verschärfen. Am Samstag rufen antizionistische Gruppen zum Al Quds-Tag auf. Er wurde von dem islamistischen Regime in Teheran für den Kampf gegen Israel initiiert. In diesem Jahr wird wegen der aktuellen Situation im Nahen Osten eine besonders große Teilnahme an diesen Aufmärschen erwartet. Auch der Protest dagegen ist gewachsen.

Gleich zwei Bündnisse werden gegen dagegen protestieren. Besonders kritisch dürfte beobachtet werden, ob die Auflagen der Polizei eingehandelt und umgesetzt wird. Mittlerweile ist beispielsweise die auf verschiedenen Demos in der letzten Woche gerufene Parole "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein" untersagt. Weil in der Parole alle Juden für die israelische Politik verantwortlich gemacht werden, kann hier von Antisemitismus gesprochen werden.

Experte sieht keine neue Qualität des Antisemitismus

Wie immer ist natürlich die Auseinandersetzung über die Frage, wo dieser Antisemitismus beginnt, Gegenstand heftiger Diskussionen. So erklärte der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, er könne in den Demonstrationen der letzten Tage keine neue Qualität an Antisemitismus erkennen.

Natürlich gibt es in Deutschland Antisemitismus. Das ist beklagenswert. Aber es ist ein konstanter Bodensatz in der Gesellschaft und keineswegs eine Lawine, die größer und größer wird.

Der Verleger und jüdische Antizionist Rolf Verleger relativiert den Antisemitismus der antiisraelischen Demonstrationen:

Es gibt einen Grund, warum Israel-Kritik in Antisemitismus umschlagen könnte: Wenn man nur auf Beton läuft. Eine unversöhnliche Politik verstärkt das Zerrbild von der "Macht des Weltjudentums“. Meine Erfahrung ist, dass die Leute, die sich mit den Palästinensern solidarisch zeigen, von Friedenssehnsucht und einer allgemeinen Wertschätzung von Menschenrechten bewegt sind. Aus dieser Ecke kommt selten Antisemitismus.

Allerdings betont Verleger auch, dass er den Diskurs in den arabischen Ländern nicht beurteilen kann, weil er deren Sprache nicht versteht. Ihn beunruhigt allerdings, dass sich in Israel eine rechte Bewegung entwickelt, die die Parole "Tod allen Arabern" verbreitet. Zudem würden auch in nationalreligiösen Kreisen solche Stimmen lauter, was eben darauf hindeutet, dass nicht nur in Moscheen um Gottes Hilfe bei der Vernichtung der Feinde gebetet wird.

Wenn aus einem Konflikt um Land eine religiöse Auseinandersetzung wird

Tatsächlich zeigt aber die aktuelle Auseinandersetzung in der europäischen Öffentlichkeit, auf den STraßen und Plätzen, eine Entwicklung, vor der viele Beobachter der Entwicklung im Nahen Osten lange gewarnt haben. Der Konflikt wird zunehmend ethnisiert und unter religiösen Vorzeichen geführt.

Das Erstarken islamistischer Strömungen in vielen Teilen der Region hat wesentlich mit dazu beigetragen. Aber auch in Israel hat der nationalreligiöse Bereich Zulauf. Allerdings gibt es dort noch säkulare Kräfte, die dagegen Widersand leisten. Der Kampf zweiter "Ethnien" um das gleiche Land wird so mit religiösen Endzeitvisionen verknüpft.

Diese Entwicklung ist für einen rationalen Umgang mit dem Konflikt sehr gefährlich. Denn diese religiöse Verbrämung macht aus Menschen, die sich rational nicht einigen könnten, Gläubige, die sich auf ihren jeweiligen Gott berufen und Ungläubige, die es zu vernichten oder zumindest zu unterwerfen gilt.

Gegen solche ethnischen und religiösen Deutungsmuster versuchen Initiativen im Nahen Osten, aber auch in Europa gegenzusteuern. Sie betonen die gemeinsamen Interessen die Menschen, die in einer Region wohnen, sei es im Nahen Osten oder in Berlin-Kreuzkölln. Dort versucht die Initiative Salaam-Shalom, Menschen mit israelischen und arabischen Hintergrund zusammen zu bringen.

Solche Initiativen sind ein Zeichen der Hoffnung und gegen eine regressive Entwicklung, für die der zunehmende Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus nur die prägnanten Ausdrucksformen sind. Solche Initiativen wollen auch die Leiderfahrungen der Menschen auf beiden Seiten der Konfliktlinie aufnehmen.

Es war ausgerechnet der ehemalige CDU-Rechtsaußen Jürgen Todenhöfer, der im Zusammenhang mit der Situation im Gaza einen Begriff einbrachte, der aus einer linken internationalistischen Tradition kommt. In einem Reisebericht nennt er die Bewohner im Gaza "Verdammte dieser Erde". Nur sieht auch er die Verantwortung einzig bei der israelischen Politik.

Dass der weltweite Kapitalismus immer mehr für die Verwertung überflüssige Menschen an den Rand drängt und Elendsgebiete produziert, wo dann regressive Organisation wie die Hamas und der Islamische Dschihad das Kommando übernehmen, kommt auch in seinem Weltbild nicht vor.