Die Toten beim Angriff auf das Gewerkschaftshaus von Odessa

Eine Ausstellung zeigt die Geschehnisse aus der Perspektive der Gegner der ukrainischen Regierung. Doch diese Einseitigkeit ist in einem Land notwendig, wo ein Großteil der Medien diese Ereignisse ignoriert

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"Kommt, seht das Blut in den Straßen, / kommt, seht / das Blut in den Straßen, / kommt, seht doch das Blut / in den Straßen!“ Mit diesen Zeilen klagte der chilenische Dichter Pablo Neruda in seinem berühmten Poem "Explico Algunas Cosas" die Gleichgültigkeit der bürgerlichen Öffentlichkeit angesichts der Brutalität an, mit der die spanischen Falangisten und ihre Verbündeten in Deutschland und Italien den sozialen und politischen Aufbruch von großen Teilen der spanischen Bevölkerung zwischen 1936 und 1939 zerschlugen.

An diese Zeilen fühlt sich man erinnert, wenn man die Ausstellung "Das Massaker von Odessa“ besucht, die nach Stationen in anderen Städten noch bis zum 18. August in der Ladengalerie der Tageszeitung "junge Welt" in Berlin zu sehen ist.

Dort geht es um die Ereignisse in Odessa am 2. Mai 2014 (vgl. Die Tragödie von Odessa), die zum Brand des dortigen Gewerkschaftshauses mit mindestens 46 Toten führten. Gleich am Anfang sieht man einen blutgetränkten Straßenbelag und daneben einige ebenfalls blutgetränkte Taschentücher. Das Bild gehört noch zur Vorgeschichte der Ereignisse jenes 2. Mai, als Anhänger der ukrainischen Regierung, darunter viele Mitglieder des Rechten Sektors, nach Odessa reisten, um den dort auf einem öffentlichen Platz vor dem Gewerkschaftshaus zeltenden Regierungsgegner, den sogenannten Anti-Maidan, eine blutige Lektion zu erteilen.

Man sieht auf den Bildern teils schwerbewaffnete Männer, die zunächst die Zelte der Protestierenden anzünden und die fliehenden Regierungskritiker, darunter Frauen und Kinder, weiter attackieren. Sie suchen Schutz in dem Gewerkschaftshaus, einem repräsentativen Gebäude im Stil der spätsowjetischen Architektur. Auf den Fotos ist zu sehen, wie die Anhänger der ukrainischen Regierung das Gebäude in Brand setzen und gleichzeitig in die Teile des geräumigen Hauses eindringen, die noch nicht vom Feuer erfasst sind.

Die eingeschlossenen Menschen fliehen in Panik vor den Flammen und dem starken Rauch ebenfalls in diesen Gebäudebereich und treffen dort auf ihre Gegner, die auf sie einschlagen. Man sieht Menschen, die auf der Brüstung um Hilfe rufen und in letzter Verzweiflung in den Tod springen.

Die Ausrede von den ungeklärten Ereignissen

Am schwersten zu ertragen sind zweifellos die Bilder, die die erschlagenen und verbrannten Menschen zeigen, die in den Fluren des Gewerkschaftshauses sowie davor zu finden waren. Einige der Toten sind bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, andere weisen Zeichen von Misshandlungen durch stumpfe Gegenstände auf. Ein junger Mann hat im Todeskampf die Füße angewinkelt. Neben ihm liegt sein unversehrtes Handy.

Der letzte Teil der Ausstellung ist den trauernden Angehörigen der Toten gewidmet. Die Bilder sind in der Ladengalerie einer Zeitung ausgestellt, die im Ukraine-Konflikt ganz klar Partei für die Gegner der jetzigen ukrainischen Regierung nimmt. Es ist auch nicht verwunderlich, dass prorussische Medien die Ausstellung positiv bewerben. Dieser Kontext sollte jedem klar sein, der die Ausstellung besucht. Das spricht aber nicht gegen sie.

Vielmehr muss man sich fragen, warum eine solche Ausstellung nur in diesen Räumen möglich ist und warum fast alle Medien darauf mit Schweigen reagieren? Zumal ja die Ereignisse des 2. Mai in Odessa schnell in den Hintergrund gerückt sind. Viel wurde von ungeklärten Ereignissen gesprochen und danach wurden sie nicht mehr erwähnt. Dabei müsste doch die richtige Feststellung, dass hier vieles noch ungeklärt ist, eigentlich dazu führen, eine internationale Untersuchungskommission zu gründen, die die Ereignisse untersucht.

Zudem stellt kaum jemand die Frage, wer denn dafür verantwortlich ist, dass die Ereignisse ungeklärt sind. Die Stadt Odessa liegt im Machtbereich der ukrainischen Regierung. Es wäre daher deren Aufgabe, eine schnelle und transparente Untersuchung des Todes von mindestens 46 Menschen zu veranlassen und zu gewährleisten.

Diese Forderung wäre vor allem deshalb notwendig, weil im aktuellen Ukraine-Konflikt von einem Großteil der Medien hierzulande und auch von einer großen Koalition von Grünen bis CDU/CSU die Meinung verbreitet wird, die jetzige Regierung in Kiew stehe für Demokratie und westliche Werte, die Menschen in der Ostukraine, die das nicht einsehen wollen, sind dann Prorussen, die sich an Putins Versprechungen klammern.

Falsche Opfer?

Da bleibt auch der Verdacht, dass das Interesse an der Aufklärung der Ereignisse am 2. Mai in Odessa auch deshalb auf wenig Interesse hierzulande stößt, weil die Opfer eben diese Prorussen gewesen sind, mit denen man sowie so nicht viel zutun haben will. Schließlich liegt die Sympathie bei einem großen Teilen der veröffentlichten Medien bei den prowestlichen Aktivisten des Maidan. Sie sprechen englisch wie wir, sie träumen davon, in der EU zu studieren.

Die Mehrheit des Anti-Maidan im Osten spricht eher russisch als englisch und muss sich eher um das Überleben mit kleinen Einkommen, als um ein Stipendium sorgen, und ist vielen daher fremd. Liegt hier der Grund, warum die Ereignisse so wenig Interesse auslösten und warum man sowenig von Forderungen an die Kiewer Regierung hört, die Verantwortlichen für die Toten zu ermitteln und vor Gericht zu stellen?

Der fiktive Aktivist Andrew und der Hass auf die Russen

Haben die "Prorussen von Odessa" ihre Behandlung vielleicht sogar verdient oder zumindest verschuldet? Solche Einstellungen sind nicht von der Hand zu weisen, wenn man die Reaktionen auf einen Bericht über die angebliche Verhaftung eines Schwulenaktivisten in Moskau zum Maßstab nimmt.

Der Bericht sorgte auf Internetportalen für Mordaufrufe gegen "die Russen", denen man "den Kopf abhacken" sollte. Mittlerweile gibt es Hinweise darauf, dass es den verhafteten Schwulenaktivisten Andrew gar nicht gibt. Doch es zeigte sich, wie schnell auch hier eine Meldung dazu führt, dass rassistische und menschenfeindliche Nachrichten verbreitet werden.

Wenn die mögliche Verhaftung eines Aktivisten in Moskau nicht zum Widerstand gegen die Regierung, sondern zu Vernichtungsdrohungen gegen "die Russen" führt, kann man besser verstehen, warum es für über 40 ermordete "Prorussen" in Odessa so wenig Interesse gibt. Gerade deshalb ist die einseitige Ausstellung in Berlin notwendig.