Waffen für die Kurden

Nach dem Beschluss im Kanzleramt: Die kurdische Nationalbewegung und die Interessen Deutschlands und der neoosmanischen Politik in der Türkei

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Deutschland wird "Panzerabwehrraketen und Maschinengewehre für den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat an die Kurden im Nordirak" liefern, so der gestrigen Beschluss der Ministerrunde unter Leitung Angela Merkel im Kanzleramt; Teilnehmer waren laut Tagesschau: Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Finanzminister Wolfgang Schäuble sowie Entwicklungsminister Gerd Müller und CSU-Chef Horst Seehofer beteiligt waren.

Möglich ist, dass die PKK von der Waffenlieferung profitiert. Damit bleibt die Frage auf dem Tisch, ob die Bundesregierung indirekt eine Organisation bewaffnet, die in Deutschland verboten ist und auf der EU-Terrorliste steht.

In der letzten Woche erleben wir eine Debatte über diese Frage. Dabei ging es darum, ob bei den geplanten Waffenlieferungen an kurdische Verbände gegen die IS auch die im türkischen Teil Kurdistans aktive PKK und ihre Verbündeten in Syrien bedacht werden sollen. Schließlich haben diese Verbände einen wesentlichen Anteil daran gehabt, dass Tausende Yesiden, die auf der Flucht von den Radikalislamisten eingeschlossen waren, gerettet werden konnten.

Doch in Deutschland würde jeder, der beispielsweise einen Aufruf unter dem Motto "Waffen für die PKK" ins Netz stellen würde, mit dem Staatsschutz zu tun bekommen. Es reichte in der Vergangenheit bereits, Symbole der PKK auf Demonstrationen zu tragen, um sich in Deutschland mit Geld- und Freiheitsstrafen einzuhandeln.

Vor 20 Jahren wurde in Hannover der kurdische Jugendliche Halem Dener von der Polizei erschossen, als er mit Freunden Solidaritätsplakate für die PKK klebte. Zahlreiche Kurden sitzen teilweise mehrere Jahre im Gefängnis, weil ihnen von der Justiz Mitgliedschaft in der PKK oder ihrer Nebenorganisationen vorgeworfen wird. Sie sind nach den umstrittenen Paragraphen 129 b verurteilt wurden, nachdem die PKK als ausländische terroristische Organisation behandelt wird. Und nun haben sich selbst einige Mitglieder der Unionsparteien dafür ausgesprochen, auch die PKK mit Waffen zu versorgen.

Kanzlerin Merkel und andere Regierungsmitglieder haben inzwischen Waffenlieferungen an die PKK mit dem Argument ausgeschlossen, dass nur kurdische Verbände unterstützt werden sollen, die die im Nahen Osten bestehenden Nationalstaaten nicht infrage stellen.

Nur greift diese Argumentation gegenüber der PKK überhaupt nicht. Die hat sich nämlich schon vor einigen Jahren von der Forderung verabschiedet, im Osten der Türkei einen eigenen Staat aufzubauen. Stattdessen fordert sie eine föderale Struktur für die gesamte Türkei und weitgehende Autonomierechte für die kurdische Bevölkerung in der Osttürkei.

Dass es der kurdische Bewegung damit ernst ist, zeigte ihre Unterstützung für den Kandidaten Selahattin Demirtas. Der Kandidat der Demokratischen Partei der Völker bei den Präsidentenwahlen in der Türkei. Dass er fast 10 % der Wählerstimmen bekommen hat, zeigt, das er nicht nur als kurdischer, sondern als Kandidat der Linken in der Türkei gesehen wird.

Die bestehenden Grenzen im Nahen Osten werden von den kurdischen Parteien in Nordirak infrage gestellt. Sie haben in den letzten Wochen immer wieder deutlich gemacht, dass sie die Krise des Iraks für die Etablierung eines eigenen Staates nutzen wollen.

Während Gegner der Waffenlieferungen in den Nahen Osten davor warnen, dass Waffen, die jetzt vorgeblich gegen die IS geliefert werden, bald in einem Bürgerkrieg im Irak eingesetzt werden könnten, wird in der Bundesregierung nicht diskutiert, den Kurden im Nordirak keine Waffen zu liefern, weil sie die bestehenden Grenzen des Irak nicht anerkennen.

Welche Interessen hat die deutsche Politik in Kurdistan?

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums hat deutlich gemacht, dass eine Aufhebung des PKK-Verbots zurzeit nicht zur Debatte stehe. Nun ist es in der Politik nicht ungewöhnlich, dass man Bewegungen oder Parteien, die man auf der einen Seite bekämpft, auf der anderen Seite bewaffnet. Es geht schließlich um Interessen und nicht um Liebesbeziehungen.

Daher würde die Frage lohnen, welche Interessen Deutschland in der Region hat. Hier können sich Politikberater offener äußern als Politiker im Dienst. Ein solcher Politikberater ist der ehemalige CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger, der in der Zeitschrift Internationale Politik, die für sich selber mit den Zusatz "Deutschlands führende außenpolitische Zeitschrift" wirbt, für eine enge Bindung der deutschen Außenpolitik vor allem an die kurdische Bewegung im Nordirak eintritt. Dabei stellt sich für Pflüger gar nicht mehr die Frage, ob die Kurden im Nordirak autonom werden, sondern nur noch wie und wann.

Ein Interview, dass der Präsident der autonomen Irakischen Region Kurdistan, Massud Barzani, am 23. Juni 2014 CNN gab und wo er zum ersten Mal den Anspruch auf Selbstbestimmung formulierte, bezeichnet Pflüger als „ein Gründungsdokument Kurdistans“. Er verteidigt diese Politik vehement: Die Kurden hätten den Untergang des Irak nicht zu verantworten.

Sie dürften nicht als „Geisel des Ungewissen“ genommen werden; vielmehr sei es an der Zeit, das kurdische Volk selbst über seine Zukunft entscheiden zu lassen. Weiter unten formuliert Pflüger dann auch die spezifischen Interessen an einem unabhängigen Nordkurdistan und begründet dann gleich, warum Waffenlieferungen an die Kurden im deutschen Interesse sind:

“Neben der Abwendung einer weiteren humanitären Katastrophe gibt es auch einen realpolitischen Grund zum Eingreifen: Die kurdische Region im Nordirak ist für sich alleine eine Energiegroßmacht. Schon ohne die Kirkuk-Region war Irak-Kurdistan mit seinen geschätzten 45 Milliarden Barrel Ölreserven zu einem beachtlichen Player auf der Bühne der globalen Energiepolitik geworden.

Gegen den Willen Bagdads, aber in enger Zusammenarbeit mit Ankara hatten die Kurden eine eigene Pipeline in die Türkei gebaut.“ Damit macht Pflüger auch deutlich, dass er sich ein unabhängiges Kurdistan vorstellt, das eng mit der türkischen Regierung zusammenarbeitet. Dass es sich dabei nicht nur um Wunschdenken handelt, hat sich in den letzten Jahren öfter gezeigt.

Erdogan und die neoosmanische Politik

Die kurdische Bewegung in Nordkurdistan hat in den letzten Jahren durchaus gute Kontakte zu der Erdogan-Regierung gehalten. Dabei kommt auch eine Änderung in der türkischen Außenpolitik in den letzten Jahren zum Tragen. Die von Erdogan repräsentierte islamistische Bewegung ist in innenpolitischer Auseinandersetzung mit den kemalistischen Eliten in der Türkei entstanden.

Lange Zeit hat das einst starke Militär in der Türkei als Hort des Kemalismus sogar mit einem offenen Eingreifen gegen die islamistische Regierung gedroht. Erst vor wenigen Jahren konnte sich das islamistische Lager innenpolitisch durchsetzen. Die Verschiebung im Machtapparat der Türkei hatte allerdings auch außenpolitische Folgen und veränderte den Umgang mit der Kurdenfrage. Es war vor allem die kemalistische Staatsideologie, die festschrieb, dass es nur eine einige Türkei gibt und Kurden in dieser Lesart als Osttürken bezeichnet werden.

Auch außenpolitisch bekämpften die Kemalisten alle Bemühungen von kurdischen Bewegungen in den Nachbarländern, sich autonom zu organisieren. Die Gefahr, dass solche Bestrebungen Rückwirkungen auf die Kurden in der Türkei haben könnten, schien ihnen zu groß. Die neoosmanische Politik, die Erdogan wie auch sein gerade neu eingesetzter Premierminister verfolgen, ist da flexibler.

Sie kann sich durchaus mit einer kurdischen Autonomiebewegung in den Nachbarländern arrangieren, wenn die sich als Verbündete der Türkei gerieren. Auch begrenzte kulturelle Rechte für die Kurden in der Türkei stehen auf der Agenda der neoosmanischen Erdogan-Politik. Das ist auch der Grund, dass die kurdische Nationalbewegung im innertürkischen Machtkampf im Zweifel eher auf Seiten des Erdogan-Lagers stehen wird.

Ein Bündnis mit den Kemalisten ist aus historischen Gründen undenkbar und wenn sich auch manche Modernisierer bei den Kemalisten von der offen nationalistischen Politik der 80er und 90er Jahre vorsichtig distanzieren, ist die Propagierung eines einheitlichen Staats doch ein Kernbestand der kemalistischen Ideologie. Hier ist der Neoosmanismus flexibler. Es kam besonders auf kulturellem Gebiet zu Verbesserungen, die für die große Masse der kurdischen Bewegung durchaus nicht unwichtig sind.

Auch der kurdische Nationalismus ist ein Konstrukt

Natürlich spielt die Erdogan-Regierung geschickt die unterschiedlichen Fraktionen in der kurdischen Bewegung der Türkei aus. Es gibt dort schließlich auch extrem rechte und islamistische Strömungen. Darauf hat kürzlich die Publizist Meya Kiyak in einen Beitrag für die Taz hingewiesen und dabei wieder einmal daran erinnert, dass jede nationale Bewegung auf Aus- und Eingrenzung beruht und eine imaginäre Einheit durchsetzen will.

Die Autorin zeigt auch an verschiedenen historischen Etappen auf, dass die kurdische Nationalbewegung an der Unterdrückung von Minderheiten beteiligt war. Die momentane Einheit im Kampf gegen die IS würde aber in den Augenblick zerfallen, in dem die Gefahr nicht mehr vorhanden wäre. Deshalb schlägt Kiyak vor, den Traum von einem Großkurdistan zu begraben.

Stattdessen sollten sich die kurdischen Bewegungen in ihren jeweiligen Ländern für Demokratie und soziale Rechte engagieren. Das ist aber genau der Weg, den die PKK und die ihr nahestehenden Organisationen seit mehr als einem Jahrzehnt nicht erfolglos anstreben. Vor allem der Abschied des PKK-Vorsitzenden Öcalan von einer spätstalinistischen Politik und die Hinwendung zu libertären Vorstellungen mit Räteelementen hat dazu beigetragen, dass die kurdische Bewegung sich neu positioniert hat.

Aber genau hier sieht die türkische Regierung und auch die Bundesregierung eine größere politische Gefahr. Eine PKK, die in nationalstaatlichen Bahnen denkt, kann militärisch geschlagen und politisch eingehegt werden. Eine Bewegung, die aber Theorien von Staats- und Gesellschaftskritik übernimmt, ist nicht so leicht zu integrieren. Sie ist vor allem auch deshalb ein Störfaktor nicht nur für die türkische Regierung, sondern auch für der Nachbarstaaten, wenn es ihr gelingt, sich mit sozialen Bewegungen in der Türkei und der Umgebung jenseits von nationalen Narrativen zu verbinden.

Bei den Taksim-Protesten im letzten Jahr hat das kaum geklappt. Da war bei Teilen der kurdischen Nationalbewegung die Furcht zu groß, mit der Unterstützung der Proteste dem kemalistischen Block in der Türkei in die Hände zu spielen. Erst nachdem die Proteste schon weit fortgeschritten waren, beteiligte sich auch die kurdische Nationalbewegung daran. Eine kurdische Bewegung mit staatskritischem und sozialrevolutionärem Kurs aber ist auch überhaupt nicht im Interesse Deutschlands. Denn auch die Osttürkei ist schon ökonomisch für die EU und Deutschland von Interesse.

Schon wurden in Diyarbakir Verbindungsbüros für wirtschaftliche Kontakte eröffnet, was die türkische Regierung als unfreundlichen Akt bewertete. In der nächsten Zeit wird der Druck auf die kurdische Nationalbewegung steigen, sich zu einer Kraft zu entwickeln, die im bürgerlich-kapitalistischen Staat funktioniert und ihr höchstes Ziel darin sieht, die Region fit für den Weltmarkt zu machen. Das ginge aber nur durch einen Bruch mit den sozialrevolutionären und staatskritischen Teilen ihrer Theorie und Praxis und wäre sicher nicht ohne Spaltungen möglich.

Wenn nun ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärt, dass einstweilen eine Aufhebung des PKK-Verbots nicht zu erwarten ist, geht es genau darum, diesen Druck aufrecht zu erhalten. Anders als in der Öffentlichkeit suggeriert, geht es nicht um die Aufgabe der Forderung nach einem eigenen Staat, das ist längst erfolgt.

Es geht um die Trennung von staats- und kapitalismuskritischen Inhalten in ihrer Politik. Genau diesem Druck ist die kurdische Nationalbewegung in der Türkei auch unter der neoosmanischen Erdogan-Politik ausgesetzt, die mehr als die Kemalisten auf das Prinzip "teile und herrsche" setzt. Die nächsten Monate werden zeigen, ob dieser Druck im Sinne der deutschen und türkischen Regierung Erfolge hat.