Regierungskrise in Spanien wegen Abtreibungsreform

Ministerpräsident Rajoy ersetzt den Justizminister nach dessen Rücktritt wegen des geplanten Unabhängigkeits-Referendums Kataloniens

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Die spanische Regierung macht ein Jahr vor den Wahlen im Herbst 2015 eine ernste Krise durch. Als Ministerpräsident Mariano Rajoy eigens am Dienstag die umstrittene restriktive Reform des liberalen Abtreibungsrechts zurückzog, blieb Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón nur noch der Rücktritt.

Es war längst kein Geheimnis mehr, dass das umstrittene Gesetz nichtweiter verfolgt wird, doch da Gallardón für sein zentrales Projekt der Legislaturperiode vom Chef abgewatscht wurde, trat er am späten Dienstag zurück und zieht sich komplett aus der Politik zurück. Er verwies darauf, dass seine Volkspartei (PP) im Wahlprogramm versprach, "den Schutz des Lebensrechts zu stärken". Gallardón übernahm die Verantwortung für das Scheitern einer Reform in "Übereinstimmung mit der Doktrin" der Partei.

Rajoy kündigte einen neuen Anlauf an. Die neue Reform wird aber den Schwangerschaftsabbruch nicht wieder wie in der Diktatur bis 1975 unter Strafe stellen. Gallardón wollte sogar weit hinter das Abtreibungsgesetz von 1985 zurückgehen, das die PP in der der Regierungszeit von 1996 bis 2004 unangetastet ließ, was auch in seiner Partei umstritten war. Nun soll die bestehende Fristenlösung bleiben, nur junge Frauen zwischen 16 und 18 Jahren sollen in Zukunft nur mit Zustimmung der Eltern abtreiben können.

Mehrere Faktoren haben Rajoy vor dem Wahljahr 2015, wo neben dem Parlament im Mai schon Kommunal- und Regionalparlamente gewählt werden, zu dem Schritt bewegt. Die Konservativen sind aufgeschreckt, weil sie in der Mitte massiv Stimmen verlieren. Dass zehntausende sogenannte "Lebensschützer" am Wochenende auf 64 Demonstrationen im Land gedroht haben, die PP nicht mehr zu wählen, beeindruckt Rajoy offenbar nicht. Vielen von ihnen ging auch die geplante Reform nicht weit genug. Wie die katholische Kirche fordern sie, Abtreibungen komplett zu verbieten, auch bei Vergewaltigungen oder schweren Missbildungen des Fötus.

Die rückschrittliche Politik der PP führte aber dazu, dass sie bei den Europaparlamentswahlen im Mai 16 Punkte gegenüber 2009 einbrach und im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2011 sogar um 19 Punkte. Davon profitierte nicht die (PSOE), sondern Parteien deutlich links von ihr. Der Rücktritt von Gallardón ist eine Geste an die PSOE, dieser droht nach Umfragen die Empörten-Partei "Podemos" (Wir können es) den Rang als zweitstärkste Kraft abzulaufen. Die PSOE liegt mit 22 Prozent nur noch einen Punkt vor der Linkspartei. Und die verteidigt - anders als die PSOE - das Selbstbestimmungsrecht Kataloniens.

Dagegen will die PP mit der PSOE einen Staatspakt schmieden. Deshalb wurde eilig Rafael Catalá zum neuen Justizminister ernannt. Der bisherige Staatssekretär für Infrastruktur ist sogar zu "Anpassungen an der Verfassung" bereit, wie sie der PSOE vorschweben. Sie will zaghafte Schritte zur Föderalisierung gehen, die sie bis 2011 an der Regierung aber gegen alle Versprechen vermissen ließ. So lehnt sie das geplante Unabhängigkeitsreferendum Kataloniens am 9. November ab. Am Dienstag im Parlament stellte sie sich ausdrücklich hinter den Vorstoß der PP, die katalanischen Bestrebungen zu kippen und vor das Verfassungsgericht zu ziehen.

Dort soll ein Gesetz gekippt werden, das die Grundlage für das Referendum im November bildet. Es wurde am vergangenen Freitag im katalanischen Parlament in Barcelona mit fast 80 Prozent der Stimmen verabschiedet. Wie gespalten die Sozialdemokraten in der Frage sind, zeigte sich daran, dass gegen den ausdrücklichen Kurs der Zentrale in Madrid auch die katalanische Sektion der PSOE für das Gesetz stimmte und die Katalanen entscheiden lassen will. Der katalanische Regierungschef Artur Mas will das Referendum auf Basis dieses Gesetzes noch bis zum Wochenende auf den Weg bringen. Die spanische Regierung droht nicht nur mit dem Verfassungsgericht, sondern dem Christdemokraten auch mit Strafverfolgung und mit Aussetzung der katalanischen Autonomie.

Unklar ist derzeit, ob Mas gleichzeitig für den 9. November auch vorgezogene Neuwahlen ansetzt, um trotz eines Verbots abstimmen zu können. Die Republikanische Linke (ERC) freundet sich mit der Idee an. Sie treibt federführend die Unabhängigkeit voran. Ihr Sprecher im spanischen Parlament erklärte: "Wichtig ist abzustimmen." Alfred Bosch hat plebiszitäre Wahlen im Sinn, denn entscheidend sei nur, dass wie in Schottland vor einer Woche in irgendeiner Form "über die Unabhängigkeit abgestimmt wird".

Während sich die britischen Konservativen mit den Schotten auf einen zivilisierten demokratischen Vorgang geeinigt haben, hat sich Rajoy stets Gesprächen über ein solches Vorgehen verweigert und will das Referendum mit allen Mitteln verhindern. Im Rahmen von vorgezogenen Neuwahlen wird auch darüber verhandelt, ob die CiU von Mas mit der ERC auf einer gemeinsamen Liste mit der Unabhängigkeit als Programm antritt.