Oettinger im Kreuzverhör: EU-Copyrightreform als dickstes Brett

Der designierte EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, hat in seiner Anhörung im EU-Parlament die Urheberrechtsnovelle als eine seiner schwierigsten Aufgaben bezeichnet. Mit der Datenschutzreform werde Neuland betreten.

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Der amtierende EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der im kommenden Kabinett des Luxemburgers Jean-Claude Juncker auf den Posten für digitale Wirtschaft und Gesellschaft wechseln soll, hat zur "Aufholjagd" im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien geblasen.

Günther Oettinger vor den EU-Parlamentariern

(Bild: European Union 2014 - EP )

Europa sei bei der Digitalisierung hinter andere Weltregionen zurückgefallen, konstatierte der frühere baden-württembergische Ministerpräsident am Montag in seiner Anhörung im EU-Parlament. Es sei daher wichtig, die angesichts von "Veränderungen für den Lebensalltag des Einzelnen" gemeinsam voranzutreiben.

Als "A und O" für den digitalen Binnenmarkt gilt für den CDU-Politiker, die Infrastruktur auszubauen. "Alle Regionen im ländlichen Raum zu erschließen, ist ein absolutes Muss", betonte Oettinger. Das müsse vor allem vom privaten Sektor finanziert werden. Wo es notwendig sei, dürften staatliche Beihilfen aber nicht verhindert werden. In dieser Frage seien "großzügige Regelungen" zu finden.

Steuermittel dürften keinen "Mitnahmeeffekt" generieren, sondern müssten private Investitionen auslösen, erklärte Oettinger. Wichtig sei es, alle bestehenden Mittel im EU-Haushalt wie Sonder- oder Strukturprogramme auszuschöpfen. Juncker selbst habe angekündigt, zusätzlich 300 Milliarden Euro bereitzustellen.

Als eines der schwierigsten Unterfangen, das ihm der designierte Kommissionspräsident in sein Aufgabenheft geschrieben habe, machte Oettinger die Copyright-Reform aus. Er wolle hier einen Entwurf vorlegen, "der die Balance wahrt". Er werde einem "Diebstahl geistigen Eigentums" entgegenwirken. Das intellektuelle Schaffen müsse "ein Erwerbszweig" bleiben, übers Internet dürfe nicht alles frei verfügbar sein.

Oettinger während der Anhörung

(Bild: European Union 2014 - EP )

Andererseits hätten die Nutzer ein Interesse, dass alle Kulturprodukte günstig erhältlich seien. Die Möglichkeit, diese online herunterzulanden, sei "eine Chance und eine Gefahr". Profitieren würden davon etwa Produzenten, die sonst wohl nicht bekannt werden können. Bei der geplanten Novelle wolle er sich erst "bewusst in die Thematik hineintasten" und im "ganzen Jahr 2015" der Debatte unter Einbezug aller Interessensträger und der Volksvertreter Raum geben. Es könne eine weitere öffentliche Konsultation geben.

Generell großen Reformbedarf sieht der Jurist auch beim Datenschutz. Im EU-Rat will er daher dafür werben, dass die geplante Datenschutzverordnung "alsbald beschlossen wird". Mit einem solchem Anlauf inmitten der digitalen Revolution betrete die Politik zwar "Neuland", meinte Oettinger. Wirksamer Datenschutz gehe aber nur europäisch, da nationale Bestimmungen leicht umgangen werden könnten: "Wenn wir nichts machten, würden wir allesamt Verlierer sein."

Oettinger stellte auch eine Änderung der E-Privacy-Richtlinie "in absehbarer Zeit" in Aussicht, in der es um den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation und etwa um Auflagen für Cookies geht. Eine Vorratsdatenspeicherung schließt die Direktive bislang im Prinzip aus. Auf die Tatsache angesprochen, dass einzelne Mitgliedsstaaten auch trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshof Provider noch dazu verdonnern, Nutzerspuren verdachtsunabhängig aufzubewahren, entgegnete Oettinger, dass die Kommission darauf poche, EU-Verträge einzuhalten und gegebenenfalls Verletzungsverfahren einleite.

Mehrere Male versuchten Abgeordnete, Oettingers Haltung zur Netzneutralität auszuloten. "Wir müssen alles tun, dass niemand in der Nutzung des Netzes benachteiligt wird", lautete eine der Antworten. "Operative Kräfte" dürften "kein Business daraus machen, den zu bevorzugen, der mehr bezahlt". Es könne aber "im öffentlichen Interesse sein, dass wir spezielle Dienste mit Vorrang versehen". Diese dürften aber nicht "mit Gewinnabsicht" angeboten werden.

Dingfest machen ließ sich Oettinger in diesem Punkt nicht. Prinzipiell stehe er zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag, der "Spezialdiensten" weitgehend freie Bahn lassen wollte. Die Position des Parlaments, mit der dieses die Netzneutralität deutlich stärken will, sei andererseits aber "überzeugend" und "sympathisch".

Klarer stellte sich der hinter die Abschaffung von Roaming-Gebühren, da es ein "In- und Ausland im digitalen Binnenmarkt nicht mehr geben sollte". Ansonsten sang er ein Loblied auf Startups, die in zehn bis 15 Jahren eine Rolle auf dem globalen Markt spielen könnten, genauso wie auf die Notwendigkeit von "zwei bis drei" europäischen Akteuren "im Weltmaßstab" etwa in den Bereichen TK sowie Hard- und Software.

Auf Fragen dazu, wie die IT-Sicherheit im Lichte vor allem der NSA-Affäre gestärkt und freie Software ohne Hintertüren gefördert werden kann, ging Oettinger kaum ein. Europäische "hochwertige Standards" zum Verschlüsseln seien "unser Angebot an die Welt", ließ er sich dazu nur entlocken.

Mehrere Parlamentarier vermissten mitreißende Rezepte und Visionen für den digitalen Binnenmarkt. Welche Einspareffekte damit zu erreichen seien, erschien dem Schwaben da noch das "beste Argument". Ansonsten sollten sich auch die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten "um die digitale Strategie" kümmern, damit die Kommission Rückenwind für das netzpolitische "Kleinklein" erhalte.

Ungehalten wurde Oettinger während des dreistündigen "Verhörs", als der Satiriker Martin Sonneborn von der "Partei" ihn nach seinem Einsatz für ein Recht auf Vergessen aushorchen wollte. Dabei verwies Sonneborn auf Oettingers Ausführungen etwa zum Verbot von Motorradfahren oder dessen Führerscheinverlust mit 1,4 Promille und wünschte eine Antwort auf Englisch. Er werde "Befehle nur eingeschränkt akzeptieren", raunzte der Kommissar auf Deutsch zurück, der bei ersten Schritten auf dem internationalen Parkett mit einem gewöhnungsbedürftigen Englisch aufgewartet hatte. Daten und Fakten löschen lassen zu können, die nicht von öffentlichem Interesse seien, bilde ein Grundrecht. Wer in der Politik sei, müsse sich an Erfolgen und Misserfolgen aber lebenslang messen lassen. (anw)