Von der Pilzkolonie zur Einöde

Außer Kontrolle

Die Schattenseiten des Wildkräuter- und Wildbeeren-Trends

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Vor einigen Monaten konnte ich im hiesigen Gasthof mit ein paar älteren Herren plauschen, die schon seit Jahren regelmäßig "Schwammerl holen" (Pilze suchen). In diesem Jahr, so sagte einer der Herren, würde er auf diese Tradition verzichten, sein Platz sei eine Wüste geworden. Während er früher zwar auch regelmäßig aufgesucht wurde, seien in den letzten Jahren die Leute "total narrisch" (verrückt) gewesen und wären geradezu in Horden eingefallen, um die Schwammerl gleich kiloweise abzutransportieren.

Dabei litt dann nicht nur der anliegende Wald unter den rücksichtslos umhertrampelnden Schwammerlbegeisterten, sondern auch die Pilzkolonie an sich. Da die Pilze gewinnbringend verkauft werden können (bzw. in den diversen Rezept- und "Zurück zur Natur"-Heftchen dauernd angepriesen werden), konnten die Sammler nicht genug bekommen und rissen bei dem Versuch, möglichst viel in kurzer Zeit ernten zu können, die Pilze einfach mit Stumpf, Stiel und Wurzelchen aus*. "Da gibt’s jetzt nur noch Erde", lautete das Fazit des Mannes.

Birkenpilz. Bild: vesna maric/CC BY-SA 3.0 (Bild: [Link auf http://commons.wikimedia.org/wiki/File:2007-10-13_Leccinum_scabrum_%28Bull.%29_Gray_12300.jpg] [Link auf http://commons.wikimedia.org/wiki/File:2007-10-13_Leccinum_scabrum_%28Bull.%29_Gray_12300.jpg] )

Eine ähnliche Klage ließ sich vor kurzem auch von seinem Bekannten vernehmen. Die Freunde der alten Obstsorten seien auf seine Bäume aufmerksam geworden und hätten diese nicht nur geplündert, sondern seien gleich mit dem Auto zum Baum gefahren, das angrenzende Kürbisfeld zeuge noch von der Anfahrt. Der Baum sei offensichtlich mit Hilfe von irgendwelchen Knüppeln oder dergleichen abgeerntet worden, da unter dem Baum etliche Äste und Zweige lagen. Wie die "Vandalen" seien die Apfelfreunde vorgegangen.

Auch wenn diese zwei Erlebnisse nur anekdotischer Natur sind, so zeigen sie doch, dass der "Zurück zur Natur"-Trend seine Schattenseiten hat. Während, befeuert von den diversen Heftreihen, die Wildkräuter, Wildbeeren und Co. als Zutaten zu schmackhaften Rezepten und Heilmitteln bewerben, die Menschen immer stärker Interesse an dem zeigen, was die Natur auf Wiesen und Feldern sowie in Hecken und Wäldern versteckt, bleibt das Wissen über die Wachstumsbedingungen der Ressourcen auf der Strecke.

Die Möglichkeit, durch Bärlauch, Eberesche, Pilze, Quitten, Schlehen oder dergleichen noch etwas mehr Profit einzufahren, ist ebenso wie mangelndes Wissen darum, wie manches geerntet werden sollte (und wie eben nicht), für so manches Ökosystem fatal. Appelle z.B. an Pilzesammler, verantwortungsbewusst mit der Natur umzugehen, verhallen oft ungehört und sind bereits seit Jahren ein Thema.

Initiativen wie Mundraub.org rufen zwar dazu auf, nicht nur zu sammeln, sondern sich auch der Hege und Pflege der Obstbäume und Sträucher zu widmen, doch die Zahl derer, die profitieren möchten, ohne freiwillig etwas zurückzugeben, ist leider groß.

Auch Inhaber von Privatgärten, in denen alte Sorten wachsen, sind misstrauisch gegenüber fremden Besuchern - sie haben oft auch schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht: Zertrampelte Beete, keinerlei Bereitschaft, nicht nur eimerweise Äpfel zu ernten, sondern auch z.B. bei dem Zusammenrechnen des Fallobstes zu helfen etc. führen nicht gerade zu mehr Begeisterung für die Liebhaber.

In den letzten Monaten sind zwei weitere Entwicklungen auszumachen: Pech und Birkensaft werden offensichtlich zu einem neuen Trend. Und während traditionsbewusste Pecher wissen, was zu beachten ist, scheinen die Neulinge eher unbedarf zu sein und lediglich mehr oder minder planlos in die Bäume zu hacken und zu schneiden, um an die Zutat für Pechsalbe zu kommen. Und auch die Birken, Lieferant für den neuerdings wieder begehrten Birkensaft, zeugen von manch allzu gierigem und wenig rücksichtsvollen Umgang mit ihnen.

Es steht zu befürchten, dass der Naturtrend weiter zunimmt und im Zusammenspiel mit Bequemlichkeit, Gier und Unwissen dann nicht nur zur Entdeckung alter Sorten, sondern auch zur weiteren Gefährdung so manchen Ökosystems beiträgt.

* Nachtrag nach einem Hinweis im Forum: (6.0.2014, 11.21 Uhr)
Es gibt ja seit langem die Debatte, ob das Herausdrehen oder das Abschneiden nun besser wäre. Unabhängig davon, ist der Hinweis auf die falsche Bezeichnung "Pilzwurzeln" natürlich korrekt, gemeint ist mit dem "mit Stumpf, Stiel und Wurzelchen" vielmehr, dass neben dem eigentlichen Pilz auch sehr viel von der umgebenden Erde schlichtweg mitentfernt und mitgenommen wird, es finden sich teilweise richtig große Löcher im Boden, die in keinem Verhältnis zum entnommenen Pilz stehen. Dass der Boden natürlich auch unter dem Getrampel usw. leidet, kommt noch hinzu.