ALG II: Steigende Verwaltungskosten, weniger Förderungsmaßnahmen

Außer Kontrolle

Pauschalierte Regelsätze sollten bei der Gewährung von ALG II-Leistungen für eine vereinfachte Bearbeitung von Anträgen sorgen und das Personal entlasten. Das Gegenteil ist der Fall.

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ALG II als Bestandteil der Agenda 2010 wurde als große Vereinfachung angepriesen. Erst später sollte der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder die Errichtung des besten Niedriglohnsektors in Europa als großen Erfolg der Agenda 2010 verkünden. Dass die Idee, Bezieher von ALG II quasi über einen Kamm zu scheren, letztendlich nicht funktionieren konnte, war Kritikern von Beginn an klar. Die Apologeten der Agenda aber konterten mit der Entlastung des Personals durch die Pauschalen, mit mehr Zeit für die Förderung und Betreuung der Arbeitssuchenden. Neun Jahre später hat sich das "Hartz IV" genannte Arbeitslosengeld II zum Bürokratiemonster entwickelt, das mehr und mehr Personalresourcen auffrisst.

Da die pauschalen Regelsätze nur auf unzureichende Weise berechnet wurden, musste eine Neuberechnungstattfinden, bei der es teilweise absurd anmutende Debatten darüber gab, ob ein Arbeitssuchender Anrecht auf Schnittblumen haben oder Alkohol haben sollte. Der Kritik an den geringen Beträgen für Bildung begegnete die damalige Ministerin Ursula von der Leyen mit der Einführung eines Bildungspaketes.

Für die Mitarbeiter der Jobcenter ist ALG II zum Resourcenfresser geworden, denn die zahlreichen Gerichtsurteile, die die Fehler des Gesetzes offenlegen, führen dazu, dass permanent auch die Zahlungen angepasst werden müssen. Darf ein Sparbuch, welches die Großmutter anlegte, nun auf das Vermögen der Kinder angerechnet werden? Ist ein Darlehen für einen Kühlschrank anrechnebar und wie verhält es sich mit der Abwrackprämie für Kühlschränke? Welche Fahrtkosten werden wann erstattet?

Die Liste der Fragen, die sich erst nach und nach durch Gerichtsurteile beantworten lassen, ist lang und hält die Mitarbeiter auf Trab, die insofern immer weniger Zeit für Betreuung und Förderung haben. Vom "Fördern und Fordern", wie es einst hieß, ist lediglich das Fordern übrig geblieben. Da mehr Personal benötigt wird, schichten die Jobcenter letztendlich die einzelnen Posten innerhalb ihres Budgets um und sparen z.B. an der Eingliederungsförderung.

Dies bedeutet, dass 2011 pro Kopf und Jahr noch 1155 Euro für individuelle Förderung zur Verfügung standen, dieser Betrag nunmehr aber auf 710 Euro gesunken ist, - circa 61% des bisherigen Betrages. BA Chef Weise sieht in dieser Entwicklung nur bedingt ein Problem. Zwar belaste der Verwaltungskostenanteil das Budget, teilweise sei die Entscheidung, mehr in Personal zu investieren, ganz bewusst getroffen worden um mehr Beratung zu gewährleisten. "Wir sind der Meinung, dass mehr Beratung und mehr Betreuung effizienter sind, als das Geld mit einer breiten Gießkanne zu streuen“ soll der BA-Chef in diesem Zusammenhang gesagt haben.

Eine kreative Möglichkeit, sich mühsame Berechnungen zu ersparen, hat derweil das Jobcenter in Dresden ausprobiert. Als ein ALG II-Bezieher auf seinem Konto eine Bareinzahlung in Höhe von 100 Euro erhielt, wurde kurzerhand das gesamte ALG II für den nächsten Monat gestrichen. Als Maßnahme zur "Erziehung zur Mitwirkung" und auch, um sich die zeitintensive Anrechnung der 100 Euro zu ersparen.