Was war. Was wird.

Feiern wir, wie die Gelegenheiten so in die Geschichte fallen. Zu Feiern gibt es genug, auch wenn man der dunklen Seiten deutscher Geschichte dieses Tages ebenso bewusst werden muss, grübelt Hal Faber - der sich bei allem Erschrecken freut.

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Was war. Was wird.

(Bild: 25 Jahre Mauerfall)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wie die getreuen, unersetzlichen Leser dieser kleinen Wochenschau bemerkt haben, ist selbige seit Kurzem bebildert, mit jeweils einer Illustration am Anfang und am Ende. Eigentlich ist das eine schicke Idee, doch zu diesem großen, exstasisch gefeierten "Fall der Mauer" war das eine schwierige Sache. Wie zu sehen ist, habe ich mich herausgemogelt und jeweils eine Illustration gewählt, die Mitte 1977 veröffentlicht wurde, als beide Systeme noch stolz auf ihren Aufritt waren. Sie könnten gut in jenem November 1976 angefertigt worden sein, als Wolf Biermann nach seinem Konzert in Köln ausgebürgert wurde und Ost wie West davon sang, dass so oder sodele die Erde rot wird. Nun ist der Drachentöter Biermann ein alter Mann und spendierte diesem unseren Land zur Feier ein Lehrstück linker Gehässigkeit, während sich die Mauerkreuze dorthin auf den Weg machten, wo die Mauer heute verläuft. Ja, das hat Tradition und das wird darum fortgesetzt: Die einzige Gemeinsamkeit, die BRD und DDR hatten, bestand darin, wie mies beide deutschen Staaten ihre Einwanderer behandelten.

*** Den Anfang dieser Wochenschau macht die Schulbuchillustration aus der DDR über die verschiedenen Stufen der Beziehung von Mensch und Maschine. Auf der Stufe Nummer 5 sehen wir einen Großrechner, einen Informatiker und eine komplette Fabrik. Probleme gibt es nicht, wie es das Schulbuch vermerkt: "In automatisierten Werken ersetzt der elektronische Rechenautomat den Menschen auch noch in seiner Funktion der unmittelbaren Kontrolle." Das Ziel der Produktion ist die menschenleere Fabrik in der entwickelten Gesellschaft, in der die Menschen frei sind, ihren Neigungen nachzugehen. Das galt freilich nicht sofort, unverzüglich, weil der Sozialismus doch seinen Gang gehen muss. Es heißt ja Fortschritt und nicht Fortfall.

*** An diesem ach so beziehungsreichen 9. November geht der Blick aus Deutschland raus ins Land der Sockenpuppen und dort nach Wien. Dort wird Hedwig Kiesler, die schönste Frau der Welt, an ihrem 100. Geburtstag mit einem Grabmal geehrt. Natülich in der Gruppe 40 gleich neben Falco. Möge das Grab besser gepflegt werden als ihre Domain. Die Mobilfunk-Erfinderin, die immer noch als Corel-Gesicht erkennbar ist, war eine selbstbewusste Jüdin. Sie ließ eine voll funktionsfähige Puppe von sich selbst anfertigen und sah ihrem Lover ungerührt beim Sex mit ihrer Hedy Doll zu. Für den Schachspieler und KI-Experten David Levy ist Lamarr viel mehr als die mit der Torpedosteuerung, nämlich die Ahnfrau des Sexspiels mit Computern. Und wer an die Botschaft von der Verschmelzung von Technik und Natur im Zeitalter des Internet glaubt, wird in Hedy Doll und Hedy Lamarr die Vorläuferinnen der analogen Revolution erkennen. "I am Tondelayo. I make tiffin for you?"

*** I make tiffin, yes I make Blödsinn for you. Wer hätte gedacht, dass die Enthüllungen von Edward Snowden der Stoff sind, aus dem aberwitzige Dialoge stammen können, die an die Marx Brothers erinnern (um in Hedys Zeiten zu bleiben)? Was der NSA-Untersuchungsausschuss in dieser Woche in seiner Debatte über Funktionsträger produzierte, war kabarettreif. Mit freundlicher Genehmigung des netzpolitischen Stenografen und seines kongenialen Tipp-Guards liest sich die Aussage des studierten Informatikers und Nachrichtentechnikers B. wie ein Märchen aus 1001 Tag. Ich fuhr die Kiste an und alles war paletti:

"B.: Wer ein Formel-1-Auto fährt, muss nicht verstehen, wie das funktioniert. Wir hatten Schwerpunkt im Betreiben.

Renner: Die NSA liefert etwas, sie schließen es an, sie nutzen es, sie wissen aber nicht, wie das funktioniert, weil das ist Formel 1 und sie fahren nur VW Polo?

B.: Nein.

Renner: Wie dann?

B.: Jedes System hat Eingangs- und Ausgangsschnittpunkte und Spezifikationen, wie es funktioniert. Details sind nicht bekannt. Die Schnittstellen Eingang und Ausgang aber schon. Das können sie kontrollieren, bis auf das letzte Bit."

Nach dieser Lesart hatte der BND also keine Probleme, eine Black Box zu betreiben. Ob alle Schnittstellen erkannt waren, ist unbekannt bzw. "nicht-öffentlich". Vielleicht hing ja ein schicker NSA-Aufkleber dran, von wegen "Do not Open". Wer erinnert sich bei dieser Aussage nicht an das ausdrückliche Lob der Amerikaner zur Zusammenarbeit bei CT (Counter-Terrorism): "The BND's inability to successfully address German privacy law (G-10) issues has limited some operations, but NSA welcomed German willingness to take risks and to pursue new opportunities for cooperation with the U.S., particularly in the C.T. realm." Take risks, das ist eine schöne Umschreibung für das blinde Akzeptieren von "Spezifikationen", in denen ganze Falltüren stecken können, denn die Spezifikationen sind die der NSA, nicht allgemeine Standards oder "technische Richtlinien", wie sie das BSI ausschüttet.

*** Die Farce im Untersuchungsausschuss ging indes noch weiter. "Nicht vom Grundgesetz geschützte Funktionsträger" als Definition für deutsche Bürger, die für ausländische Organisationen arbeiten, sind zwar juristisch völliger Unsinn, doch was stört das einen deutschen Schnüffler? Man nehme nur das aktuelle Beispiel des BKA-Vizepräsidenten Jürgen Stock, der als erster Deutscher Chef von Interpol und damit ein ausländischer Funktionsträger geworden ist. Da warten doch Erkenntnisse nur darauf, "aus dem Weltall" gefischt zu werden, dort, wo es diesen elenden Datenschutz nicht gibt und Whistleblowern die ewige Verdamnis droht. Es gibt laut CDU/CSU "keinen Handelsbedarf" dachlattete der zuständige CDU-Arbeitsrechtler.

Was wird.

Nach der mit Hilfe von verdeckten Ermittlern enttarnten Silk Road 2.0 ist schnell ein Dienst namens Silk Road Reloaded aufgetaucht, der sich als sicherer Drogen-Umschlagplatz preist. Dabei soll jede Seidenstraße dieser Art direkt ins Gefängnis führen. Die Details zur aufgeflogenen Silk Road wie etwa der Ermittler, der von Beginn an als Moderator eines Forums mit von der Partie war, geben zu denken. Auch die Tatsache, dass der Betreiber ein GMail-Konto bei Google benutzte, gehört dazu. Am Ende reichte offenbar detektivistische Spürarbeit aus, ganz ohne Klagen über Verschlüsselungen, Bitcoin-Konten und über die fehlende Vorratsdatenspeicherung, für die deutsche Kriminalisten bekannt sind. Ob sie bei der internationalen Aktion gegen Darknet-Angebote dabei waren, ist eine unbeantwortete Frage. Vielleicht gibt es eine Antwort auf der Herbsttagung der Kriminalisten, moderiert von Sportjournalist Rudi Cerne von der Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst". Es ist alles eine Frage des taktischen Sprints.

Das Ende dieser Wochenschau stammt aus der ersten Btx-Broschüre für westdeutsche Untertanen und berichtet von der "großen Chance, diese Welt mit Hilfe des Computers transparenter zu machen". So stellte man sich im Jahre 1977 Westberlin in Klötzchengrafik vor, lange vor dem Btx-Hack, der in den kommenden Tagen gefeiert wird. Zunächst sollte Btx über Telefon und Fernseher bedient werden, doch damals schon schwärmte man gerne von den Segnungen des Breitbandausbaus:

[I]"Datenverarbeitungskapazität wird in jedem Haus verfügbar wie Energie oder Wasser. Breitbandkommunikationssysteme können den Inhalt von Mikrofilmbibliotheken oder Datenbanken ins Haus holen; bargeldloser Zahlungsverkehr, Faksimile-Übertragungen von Post, die elektronische Zeitung, Alarmeinrichtungen gegen Feuer und Einbruch, Reservierungs- und Bankdienste und vieles andere werden möglich, ein breites Spektrum der Gruppenkommunikation wird eröffnet."[/i]

Nur die Umsetzung von der Gruppen- zur Einzelkommunikation fehlte. Dass aus dem Distributionsapparat ein Kommunikationsapparat werden könnte, das war in den 70ern höchstens bei der Linken bekannt, die noch fleissig die Radiotheorie von Bertolt Brecht studierte. Da wollte sie prompt unbedingt funkisch werden, wie beim Radio Dreyeckland. Dass Btx so eine Volxverbindung hätte haben können, wurde von allen übersehen, auch den jungen CCClern, verflixte 7 Jahre später. (jk)