LAG Brandenburg: Lohndumping bei Aufstockern für den Steuerzahler nicht hinnehmbar

Außer Kontrolle

Eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg bekräftigt erneut, dass es möglich ist, erfolgreich gegen jene vorzugehen, die Niedriglöhne bezahlen. Auch wenn diese vorgeben, dies aus hehren Gründen zu tun

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1,53 Euro bzw. 1,64 Euro - so hoch waren die Stundenlöhne, die zwei Bürohilfen bekamen, die für einen Anwalt in Großräschen (Niederlausitz) arbeiteten. Dieser Lohn musste vom zuständigen Jobcenter aufgestockt werden, damit die beiden Arbeitnehmer auf ein Existenzminimum kamen. Das Jobcenter Oberspreewald-Lausitz akzeptierte jedoch die Konstellation "Billigarbeitskräfte + aufstockende Leistung = gutes Geschäft für den Anwalt" nicht und klagte gegen diesen wegen Ausbeutung seiner Arbeitskräfte.

Das Arbeitsgericht Cottbus, das sich mit dem Fall beschäftigte, sah jedoch die Konstellation wenig problematisch. Erstens, so das Gericht, sei die Erwerbstätigkeit freiwillig aufgenommen worden (beide Arbeitnehmer hätten im strukturschwachen Gebiet die Tätigkeit als Möglichkeit zum Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt angenommen), zweitens sei die Bezahlung eher eine Art "Gefälligkeit", eine "gut gemeinte Leistung". (Anmerkung 13.11.2014, 14.57 Uhr: der Satz lautete irrtümlich "Zum einen... zum anderen", nur wurden ja zwei Begründungen für die gleiche Position vorgebracht, weshalb "zum einen/zum anderen" nicht korrekt war. Dies wurde korrigiert, der Rest des Satzes wurde nicht verändert.)

Der Anwalt selbst hatte mitgeteilt, er hätte eher finanzielle Nachteile durch die Beschäftigung der beiden Arbeitnehmer. In seinem Büro, so argumentierte er, seien keine vier Kräfte notwendig gewesen, durch die zwei zusätzlichen Kräfte habe er eher Mehrkosten gehabt denn einen Vorteil. Die bereits angestellten zwei Kräfte erhielten höhere Stundenlöhne.

Der Fall war komplexer als oft dargestellt, denn die beiden körperbehinderten Langzeitarbeitslosen, die zunächst im Rahmen einer Wiedereingliederungsmaßnahme ein Praktikum bei dem Anwalt ableisteten, hatten tatsächlich beide mitgeteilt, ihnen würde zuhause die Decke auf den Kopf fallen. Sie baten ferner darum, lediglich 100 Euro hinzuverdienen zu dürfen, da ein höherer Betrag sowieso auf die ALG II-Leistungen angerechnet werden würden.

Da der Anwalt hier nach eigener Aussage lediglich den Wünschen der beiden Arbeitnehmer entgegengekommen war und keinen wirtschaftlichen Vorteil aus den Beschäftigungsverhältnissen ziehe, habe er auch nicht in ausbeuterischer Absicht gehandelt. Das Arbeitsgericht Cottbus stimmte diesen Ausführungen in beiden Fällen zu .

Erfolgreiches Berufungsverfahren

Das Jobcenter jedoch legte Berufung ein und war nun vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erfolgreich. Es unterstellte dem Anwalt die für Lohnwucher erforderliche verwerfliche Gesinnung, da ein besonders grobes Missverhältnis zwischen der Leistung der Arbeitnehmer und der Gegenleistung des Arbeitgebers vorliege.

Das LAG sah es ferner nicht als entlastend an, dass der Anwalt den Leistungsempfängern eine Hinzuverdienstmöglichkeit habe einräumen wollen. Dies berechtige keinen Arbeitgeber dazu, Arbeitsleistungen in einem Umfang abzufordern, der zu dem geringen Stundenlohn führte. Das Jobcenter hatte in seiner Klage zudem angeführt, es sei für den Steuerzahler nicht hinnehmbar, dass sich Arbeitgeber an Langzeitarbeitslosen bereichern und deren finanzielles Auskommen den Jobcentern überließen.

Der Anwalt muss dem Jobcenter nunmehr eine Summe in Höhe von ca. 3400 Euro zahlen. Eine Revision vor dem BAG wurde nicht zugelassen.

Das Urteil ist erfreulich, denn auch wenn die beiden Arbeitnehmer darum baten, für 100 Euro beschäftigt zu werden damit ihnen "nicht die Decke auf den Kopf falle", so wäre es möglich gewesen, eine solche Zuverdienstmöglichkeit mit entsprechend wenigen Stunden zu schaffen.

Sieht man sich allerdings die Pläne der Bundesministerin Andrea Nahles an, so wird das Lohndumping demnächst staatlich gefördert werden. Für bis zu 10.000 Langzeitarbeitslose soll es Lohnzuschüsse von bis zu 100% geben. Die "Zeit" hat dies bereits positiv kommentiert: So kann man ihnen nicht nur eine sinnvolle Beschäftigung anbieten, sondern sie überhaupt erst wieder an einen geregelten Arbeitsalltag zu gewöhnen".

Update/Nachtrag:
Eines der Beschäftigungsverhältnisse wurde bereits vor der Klage beendet, das andere dauert an. Der beklagte Rechtsanwalt, der sich seit langem für ALG II-Bezieher einsetzt, hat eine Stellungnahme zum Thema auf seiner Homepage veröffentlicht. Ob die Entscheidung des LAG sich z.B. in Bezug auf die "Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung" (1-Euro-Jobs) oder auch die generelle Frage der Zumutbarkeit von gering vergüteten Arbeitsverhältnissen auswirken wird, bleibt derzeit noch offen.