Urheberrecht: "Vollkommen aus den Fugen geraten"

Sachverständige waren sich bei einer parlamentarischen Anhörung einig, dass der Schutz von Verwertern nicht erst seit dem neuen Leistungsschutzrecht aus dem Ruder gelaufen sei. Der Gesetzgeber müsse Nutzerprivilegien ausbauen.

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Richterbank
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Von
  • Stefan Krempl
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Hart zu Gericht mit dem Kurs der Urheberrechtsgesetzgebung auf deutscher und europäischer Ebene in den vergangenen Jahren gingen am Mittwoch Juristen und Wirtschaftsvertreter bei einem Fachgespräch im Ausschuss Digitale Agenda des Bundestags. "Das Urheberrecht ist vollkommen aus den Fugen geraten", warnte der Münsteraner Medienrechtler Thomas Hoeren. Der Berliner Rechtswissenschaftler Axel Metzger ergänzte, die einschlägigen Regeln seien "unausgegoren, kurzatmig, lobbygetrieben".

Die Schutzhöhe sei immer weiter herabgesetzt worden, führte Hoeren aus. Jedes Stückchen Design, jede Software falle laut der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) darunter. Parallel sei die Schutzdauer von zehn Jahren nach Veröffentlichung eines Werks auf 70 Jahre nach Tod des Urhebers ausgeweitet worden. Andererseits kennzeichnete Hoeren die Situation der Kreativen als "extrem schlecht", obwohl für sie eigentlich das Urheberrecht gemacht worden sei. So könnten die Urheber etwa durch "Buy out"-Verträge quasi entrechtet werden.

Die gesetzlichen Schranken der Verwerterrechte im Wissenschaftsbereich bezeichnete der Münsteraner Forscher als "katastrophal". Allein die gerade verlängerte Intranetklausel für digitale Semesterapparate sei so restriktiv, dass keiner damit leben könne. Hier sei eine eingeschränkte Vergütungsflatrate sinnvoll, um etwa auch das Nutzen von E-Books an Leseplätzen pauschal abzugelten. Auch bei der Durchsetzbarkeit der Privatkopie gebe es eine Fehlentwicklung wegen des rechtlichen Schutzes für technische Kopierblockaden. Der Gesetzgeber müsse daher bei den Nutzerrechten deutlich nachlegen.

Die Schrankenregeln in der Wissenschaft seien "ein einziger Hürdenlauf" für Nutzer, hieb Hoerens Berliner Kollege Metzger in die gleiche Kerbe. Er bedauerte, dass Rechtsinhaber immer auf die klassische "Eigentumslogik" setzten und ihnen etwa ein Vergütungsanspruch zum Ausgleich von Werknutzungen nicht ausreiche. Dabei wäre über solche punktuellen Versatzteile der "großen Kulturflatrate" mehr Geld zu holen.

Ein Plädoyer für eine generelle Abgabe auf Datenströme hielt der Göttinger Medienrechtler Gerald Spindler. Damit könnten "sämtliche Piraterieakte" umfasst werden. Die bisherige Geräteabgabe habe sich im Großen und Ganzen bewährt: sie sichere den Werkschöpfern eine vernünftige Vergütung ohne eine Kontrolle bis in die Wohnzimmer hinein. Um die Nutzungen zu erfassen und die Einnahmen zu verteilen, gebe es etablierte Verfahren bei den Verwertungsgesellschaften. Diese müssten zwar transparenter werden. Aber hier Vergleiche mit der GEZ anzustellen, sei ein Totschlagargument.

Spindler liebäugelte zudem mit einer "ganz vorsichtigen 'Fair Use'-Schranke", um die Nutzerrechte flexibler zu gestalten. Diese dürfe aber nicht so weit gehen wie in den USA, wo die Auslegung den Gerichten allein überlassen wird. Einen europäischen One-Stop-Shop zum Lizenzerwerb für gewerbliche Nutzer und Diensteanbieter hielt er für unerlässlich.

Zugleich warnte Spindler davor, im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen zu nah an die Zugangsanbieter heranzugehen und diese etwa zu Sperren zu verpflichten. Damit wären große Kollateralschäden für alle verknüpft, die im Internet Informationen suchten. Bei Rechtsverstößen über WLANs komme man aber nicht darum, dass es "etwas wie eine Störerhaftung gibt". Drahtlose Surfer müssten daher etwa über die Angabe einer Telefonnummer identifizierbar sein. Die im Raum stehende Unterscheidung zwischen privaten und gewerblichen Hotspot-Anbietern sei zumindest an klare Indizien für derlei Tätigkeiten zu knüpfen.

Im Gegensatz zu den Professoren warnte Judith Steinbrecher vom Hightech-Verband Bitkom, dass das gegenwärtige pauschale Abgabensystem verfassungswidrig sein könnte und "konkrete Alternativen" nötig seien. Einig waren sich alle Experten, dass das noch junge Leistungsschutzrecht für Presseverleger im Internet nichts tauge und möglichst rasch abgeschafft gehöre. Dieses schadet laut Steinbrecher dem Wettbewerb der Suchmaschinen "ungemein, bremst Alternativen zu Google aus".

Eine "Generalrevision" des Urheberrechts forderte Philipp Otto, Redaktionsleiter beim Portal iRights.info, um dessen Akzeptanz zu stärken. Dabei müssten die Abgeordneten die "Belange des ganz konkreten Urhebers ganz nach vorne stellen" und etwa ausloten, unter welchen Strukturen Werkschöpfer agierten und welche Vergütungen sie bekämen. Im Vertragsrecht sprach er sich für eine Erlösbeteiligung aus, nach der 75 Prozent per se an den Urheber fließen sollten.

Mitglieder des Ausschusses ließen durchblicken, dass sie an den "großen Wurf" und den noch ausstehenden "3. Korb" der Urheberrechtsreform nicht herangehen wollten. Dies berge angesichts des "vermimten Terrains" keine Aussicht, dass am Ende etwas dabei herauskomme. Es gelte, kleinere nationale Rechtsanpassungen anzugehen und zudem die angekündigten größeren einschlägigen Schritte auf EU-Ebene zu beeinflussen. Die "Deutsche Content Allianz" hatte vorab bedauert, dass zu der Anhörung "kein einziger Vertreter der Kultur- und Kreativwirtschaft geladen" worden sei. (jk)