Ihr Handy weiß, wenn es Ihnen schlecht geht

Bewegungsanalysen, Toninformationen und Ortsdaten aus Smartphones können Stress und Depression vorhersagen.

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Von
  • Tom Simonite

Bewegungsanalysen, Toninformationen und Ortsdaten aus Smartphones können Stress und Depression vorhersagen.

Smartphone-Apps, die mithilfe eingebauter Sensoren etwa Schritte zählen und so die körperliche Gesundheit bestimmen, gibt es wie Sand am Meer. Die neue Software "StudentLife" soll allerdings weit darüber hinausgehen: Die Sensoren sollen die seelische Gesundheit vermessen. Ergebnisse eines Pilottests legen nahe, dass solche Apps Ärzte und Patienten tatsächlich unterstützen könnten, sagt Andrew Campbell vom Dartmouth College in New Hampshire, der mit Kollegen StudentLife entwickelt hat. Anders als bei früheren Studien, die auf speziellen Mobilgeräten basieren, verwendeten die Dartmouth-Forscher für ihre Analysen gewöhnliche Android-Smartphones.

48 Studenten hatten der App zehn Wochen lang erlaubt, Informationen über sie zu sammeln: Bewegungs- und Ortsdaten, Zeitpunkt von Anrufen und SMS sowie Angaben zu persönlichen, nicht per Handy geführten Gesprächen, die das Programm durch gelegentliche Aktivierung des Mikrofons aufzeichnete. Daraus berechnete die App, wie aktiv die Nutzer waren, welche Orte sie besuchten, bestimmte zudem Kommunikations- und Schlafmuster und schätzte schließlich, wie oft sie sich von Angesicht zu Angesicht mit anderen unterhielten.

Die Forscher hofften, aus Änderungen dieser Verhaltensmuster auf Stress, Einsamkeit und Depression schließen zu können. Zur Überprüfung sollten die Probanden Fragebögen ausfüllen, mit denen Ärzte die Stimmung und mentale Gesundheit von Patienten ermitteln. Tatsächlich fanden die Wissenschaftler einen signifikanten Zusammenhang zwischen ihren Rückschlüssen aus den Sensordaten und dem tatsächlichen psychischen Zustand. Führten die Studenten zum Beispiel weniger persönliche Gespräche, konnte das auf Depressionen hindeuten. Darüber hinaus schlugen sich die aus der Smartphone-Analyse ermittelten Trends auch in den Uni-Noten nieder.

Künftig dürften Handy-Daten ein deutlich besseres Bild von Hilfesuchenden zeichnen als die Fragebögen allein, folgert Campbell. Als Nächstes will er untersuchen, wie sich die App-Daten nutzen lassen, um Patienten oder ihre Betreuer zu warnen, wenn Verhaltensmuster auf eine Verschlechterung der mentalen Gesundheit hinweisen. Bei Studenten trage die Datenauswertung möglicherweise dazu bei, die Abbrecherquoten zu senken oder die Leistungen zu verbessern. Der Computerwissenschaftler ist sich sicher: Apps wie diese werden bald weit verbreitet sein.

Er könnte recht behalten. Denn auch andere Entwickler basteln daran, aus den Sensordaten des Smartphones Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Nutzer zu ziehen. Das US-Start-up Ginger.io etwa kooperiert mit Gesundheitsdienstleistern, um Patienten mit psychischen Erkrankungen per App zu betreuen. Bei depressiven Patienten hat das Unternehmen nach eigener Aussage Zusammenhänge zwischen Sensordaten und dem Schweregrad der Depression gefunden. Die Ergebnisse sind aber noch nicht veröffentlicht. Parallel dazu testet Ginger.io die App bei weiteren Krankheiten in klinischen Studien. Bei Diabetikern etwa lösten bestimmte Verhaltensänderungen einen Alarm bei den Pflegern aus, die daraufhin überprüften, ob sich ihre Patienten an den Behandlungsplan hielten.

Anmol Madan, Gründer und Geschäftsführer von Ginger.io, lobt denn auch die Dartmouth-Studie. Er mahnte jedoch, dass weitere, ausführlichere Untersuchungen nötig seien, um Ärzte und Gesundheitsdienstleister zu überzeugen. Und vor allem: um die Patienten zu gewinnen. Gerade sie könnten besonders reserviert sein.

Schließlich liefern die Geräte sehr persönliche Informationen, merkt Yaniv Altshuler vom Media Lab des Massachusetts Institute of Technology an. Altshuler gilt als Pionier bei der Nutzung von Smartphone-Daten für Verhaltensstudien. Er hält die Dartmouth-Studie für eine interessante Ergänzung seiner eigenen wissenschaftlichen Ergebnisse. Gleichzeitig aber warnt er vor den Nachteilen. Wer den mobilen Datenschatz heben will, müsse grundlegende Fragen zum Datenschutz klären.

Campbells Studie wurde zwar von einer Ethikkommission bewilligt. Wie der Wissenschaftler selbst anmerkt, machen seine Ergebnisse allerdings deutlich: Das Auswerten großer Datenmengen sei von bestehenden Regelungen zum Schutz der Privatsphäre unter Umständen nicht mehr gedeckt.

Gesundheitsdienstleister, die Daten aus den psychologischen Standard-Fragebögen sammeln, seien an die gesetzliche Datenschutzregelung Health Insurance Portability and Accountability Act (HIPAA) der USA gebunden. Welche Regeln gelten, wenn dieselben Daten von einem Smartphone stammen, sei unklar. (bsc)