Biotech 2014: DNA, Hirnforschung und ein Paradox

Das vergangene Jahr hat teils spektakuläre Fortschritte in der Biotechnologie gebracht. Hier finden Sie einen kurzen Rückblick auf die wichtigsten Entwicklungen.

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Von
  • Antonio Regalado

Das vergangene Jahr hat teils spektakuläre Fortschritte in der Biotechnologie gebracht. Hier finden Sie einen kurzen Rückblick auf die wichtigsten Entwicklungen.

Gleich zum Auftakt des Jahres 2014 gab es in der Biotechnologie einen Meilenstein mit Symbolwirkung: Ein Jahrzehnt nach der Entschlüsselung des ersten menschlichen Genoms für rund 3 Milliarden Dollar brachte das Unternehmen Illumina aus San Diego die erste Sequenzierungsmaschine auf den Markt, die eine solche Entschlüsselung für rund 1000 Dollar erledigen kann.

Das Hyseq X-10 genannte System kostet 10 Millionen Dollar und kann pro Jahr 20.000 Genome entschlüssseln. Große Forschungslabore griffen schnell zu, ebenso wie Start-ups wie Human Longevity von Craig Venter (das 40.000 menschliche Genome pro Jahr sequenzieren möchte) und sogar die britische Regierung (Großbritannien ist das erste Land mit einem nationalen Genomsequenzierungsprojekt).

Francis de Souza, President von Illumina, sagt voraus, dass bis 2017 pro Jahr die Genome von 1,6 Millionen Menschen sequenziert werden könnten.

Billiges Sequenzieren bedeutet Massen an Informationen und eine neue Rolle für Technologie zur Verwaltung und Analyse von „Big Data“. Der Suchriese Google reagierte darauf am konsequenten und startete ein wissenschaftliches Projekt für das Sammeln von biologischen Daten über gesunde Menschen; außerdem können Genome für 25 Dollar pro Jahr auf Google-Servern gespeichert werden. Und eine von Google unterstützte Koalition aus Genforschern versuchte, technische Standards einzuführen, um eine Art „Internet der DNA“ ähnlich wie das World Wide Web zu schaffen, über das Forscher Daten austauschen können.

Leichter Zugriff auf DNA-Informationen führte zu Diskussionen darüber, wie viel Verbraucher wissen sollten. Die US-Gesundheitsbehörde (FDA) hat direkt an Konsumenten gerichtete genetische Gesundheitstests für noch nicht bereit zur Vermarktung erklärt. Allerdings fanden sich Wege, die Daten trotzdem zu bekommen: Tausende Menschen begaben sich in weniger regulierte Ecken des Internet, um mehr über ihre Gene zu erfahren. Ein Vater schaffte es sogar, die DNA seines ungeborenen Sohns sequenzieren zu lassen – eine umstrittene Premiere.

Ohne Zweifel die heißeste Technologie des Jahres war eine neue Gentechnikmethode namens CRISPR, mit der sich DNA fast nach Belieben editieren lässt. Chinesische Wissenschaftler produzierten damit im Januar gentechnisch veränderte Affen, andere dürften bald ähnliche Affen als Tiermodelle für psychiatrische Erkrankungen bei Menschen schaffen. Ein Beleg für die Bedeutung der Technologie ist, dass Forscher inzwischen darüber streiten, wer sie erfunden hat und wer die Patente dafür bekommen sollte.

Auch an anderen Fronten machten Biotechniker 2014 Fortschritte. So gab es neue Arten der Zelltherapie zur Behandlung von degenerativen Augenerkrankungen, positive Ergebnisse einer Studie über eine Gentherapie, die HIV heilen könnte und die Rückkehr einer Gentherapie namens RNA-Interferenz. Auch bei der Entwicklung von Ersatzorganen ging es voran. Unter anderem zeigten neue Forschungsergebnisse, wie sich mit einem 3D-Drucker Blutgefäße in Gewebe aus dem Labor einfügen lassen.

Bei 10 der 35 im Jahr 2014 von der FDA zugelassenen neuen Medikamente handelte es sich um biologische Moleküle, etwa Antikörper oder Proteininjektionen. Das war ein Rekord. Laut FDA fanden sich auch auf der Liste neu zu testender Medikamente erstmals vor allem biologische.

Zu diesen Biotech-Medikamenten zählen die wichtigsten medizinischen Durchbrüche des Jahres – eine neue Klasse von Krebstherapien mit der Bezeichnung „Immuntherapie“. Die Pharmafirma Merck testete einen Antikörper, der dem Immunsystem hilft, Krebsmelanomzellen zu erkennen – mit bei manchen Patienten fast wundersamen Ergebnissen. Ein anderer Ansatz der Immuntherapie besteht darin, die weißen Blutkörperchen von Patienten umzubauen, so dass sie bestimmte Arten von Leukämietumoren erkennen und bekämpfen.

Bei DNA hörte das Bioengineering noch nicht auf. In der BRAIN Initiative, dem wichtigsten Wissenschaftsprojekt von US-Präsident Obama, sollen junge Neurotechnologien zur Messung des Gehirns weiterentwickelt werden; letztliches Ziel ist es, das Gehirn exakt zu kartieren und seine Funktionsweise zu entschlüsseln. Der breite Zuschnitt des US-Projekts steht in klarem Kontrast zum europäischen Vorgehen, wo sich die Finanzierung auf ein Megaprojekt für Computersimulationen des Gehirns konzentriert. Manche Neurowissenschaftler reagierten darauf mit scharfer Kritik.

Biotechnik, ob für das Gehirn, neue Medikamente oder Lebensmittel kann potenziell einige der schwersten Probleme des Planeten lösen. Genmanipulierte Pflanzen zum Beispiel könnten bei der Anpassung an die unberechenbaren Folgen des Klimawandels helfen. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel daran, ob diese Ideen wirklich so sicher und nützlich sind, wie ihre Anhänger behaupten. In den USA hoffen manche Unternehmer darauf, dass neue Technologie zum Verändern des Genoms von Nutztieren wie etwa Milchkühen die Öffentlichkeit dazu bringt, ihre Ablehnung von genmanipulierten Tieren zu überdenken. In manchen Ländern wie etwa China ist die Angst vor Gentechnik weit verbreitet, und ihre Regierungen verzögern die Kommerzialisierung. Doch wie im vergangenen Jahr berichtet: Weiterhin steckt China Milliarden von Forschungsdollar in die Entwicklung genmanipulierter Pflanzen.

Für Wissenschaftler hat die Entwicklung eine gewisse Ironie. In Europa kam im vergangenen Jahr die erste westliche Gentherapie auf den Markt (sie wirkt gegen eine seltene Leberkrankheit, indem sie ein mutiertes Gen repariert) – mit einem Preis von 1,4 Millionen Dollar pro Dosis ist sie die teuerste Medizin, die es je gegeben hat. In genmaipulierten Pflanzen aber sehen die europäischen Länder weitaus weniger Wert und haben sie weitestgehend verboten.

George Church, Gentechniker an der Harvard Medical School, sieht darin ein Technologieparadox. Von ihm stammt auch unser Lieblingszitat des Jahres: „In Europa laufen gentechnisch veränderte Menschen herum, die keine gentechnisch veränderten Lebensmittel essen.“

(sma)