J'ai été dupé

Wir brauchen 0,006% mehr Sicherheit für religionskritische Satiriker

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Die Schüsse von Paris waren noch nicht verhallt, als das Wetteifern um die politische Vereinnahmung der bestialischen Morde einsetzte. #JeSuisCharlie ist inzwischen auf Twitter der erfolgreichste Hashtag aller Zeiten. Die Redaktionen großer Medienhäuser posierten konform mit "Je suis Charlie"-Schildern - die gleichen Redaktionen, die nicht über die querulanten Klagen der bellizistischen ZEIT-Edelfedern gegen Satiriker berichtet hatten, trotz großem Publikumsinteresse.

Nicht so attraktiv war offenbar auch der Hashtag #JeSuisAhmed über den eiskalt ermordeten Polizisten, der die Leute beschützen musste, die seine Religion beleidigten. Während die deutschen Medien demonstrativ die Islam-kritischen Karrikaturen von Charlie Hebdo druckten, ist nicht zu erwarten, dass auch jene Charlie Hebdo-Bilder auf deutschen Titelseiten erscheinen, die als antisemitisch gedeutet werden könnten. In den angeblich so meinungsfreien USA wäre ein Blatt wie Charlie Hebdo wegen der dortigen Sensibilität gegenüber Hate Speech sogar sofort gesellschaftlich geächtet worden. Aber das sind Feinheiten ...

Wir lesen nun überall etwas von einem Anschlag auf "unsere" Freiheit, gegen die "wir" uns(er Abendland) verteidigen müssen. Die "Wir"-Rhetoriker hausieren wieder, wie sie es nach dem 11. September taten, als "wir" alle auf einmal Amerikaner waren. "Wir" haben dann patriotisch etliche Länder in der arabischen Welt angegriffen, "wir" haben wie im Mittelalter gefoltert, eingelocht und als Heckenschützen von Drohnen aus Menschen und ihre Familien auf Verdacht massakriert. "Wir" haben zugelassen, dass die bereits in den 1990ern geplante Massenüberwachung in einem Ausmaß realisiert wurde, das jedes Orwellsche Szenario quadriert.

Ausgerechnet getötete Satiriker sollen nun als politischer Hebel herhalten, mit dem "wir" in Deutschland den Überwachungsstaat hochfahren und sogar die Vorratsdatenspeicherung exhumieren. Ein Gutachten des BKA besagt jedoch, dass sich mit dieser Wunderwaffe die Aufklärungsrate gerade einmal um 0,006 % steigern ließ. In Frankreich half die Vorratsdatenspeicherung gegen den Terror offensichtlich nicht, ebenso wenig die Warnlisten, auf denen die kommunikationsfreudigen Täter standen. Gegen sich konspirativ verhaltende Profis oder Einzeltäter sind solche Instrumente ohnehin nutzlos. Der Beitrag zur Sicherheit von derartigem Schlangenöl ist allenfalls psychologisch - womit sich Politiker einmal mehr Satirikern annähern.

"Wir" werden sehen, wer noch so alles "wir" ist und etwas von uns im angemaßten Namen der toten Satiriker will. Die lebenden Satiriker der Titanic jedenfalls fanden auf derartige Rhetorik eine angemessene Antwort.