Hollywood verschwindet

In Google Maps ist zu sehen, wie man digitale Zäune baut: Ein Vorgeschmack auf die Zukunft der Kartografie.

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Von
  • Peter Glaser

In Google Maps ist zu sehen, wie man digitale Zäune baut: Ein Vorgeschmack auf die Zukunft der Kartografie.

Proprietäre Areale, von AOL bis Facebook, stehen für ein unoffenes, eingezäuntes Netz. Ebenso die exklusiven Vertriebsmodelle a la Apples iOS, die sogenannten Walled Gardens, bei denen Betreiber die Kontrolle über die Inhalte zu behalten versuchen. Die analoge Entsprechung sind Gated Communities – mit Zugangkontrollen versehene Siedlungen Wohlhabender. Sie könnten ebensogut Walled Communities heißen, allerdings würde dann deutlich, dass es sich um eine moderne Form der Wagenburg handelt. Eine Architektur der Angst.

Die Zerlegung der digialen Welt in solche Zonen könnte zu einer Balkanisierung des Netzes führen – ein zentrales Thema bei der erbittert geführten Debatte um die Netzneutralität. Begonnen hat das Internet als ein von der Geografie losgelöster Ort. Aber die alten Grenzziehungen haben nicht nur längst wieder das Netz überzogen, sie übertreffen ihre Vorgänger bei weitem. Per Geolocating läßt sich ermitteln, von wo aus ein Nutzer ins Netz geht. Und mit Geofencing, der digitalen Einzäunung, lassen sich gezielt bestimmte geografische Bereiche, Bezirke oder Areale erzeugen. Die zu Twitter gehörende Firma Whisper Systems entwickelt gerade eine App namens Zones, mit der man seine Welt auf einer Karte in Zonen aufteilen kann. Taucht das Smartphone des Nutzers in einer solchen Zone auf – oder verlässt es sie –, wird eine festgelegte Aktion ausgeführt. Eltern können so etwa für ihre Kids einen Aufenthaltskorridor festlegen und sich benachrichtigen lassen, wenn die Zöglinge vom rechten Weg abweichen.

Nun aber gibt es eine neue, forcierte Variante der Exklusion: das handgepflückte Entfernen von Daten aus der digitalen Kartenwelt von Google Maps & Co. Und gemeint sind nicht durch Wolken oder Unschärfen absichtlich unkenntlich gemachte Grenzverläufe oder militärische Einrichtungen. Gemeint ist der Weg zum Wahrzeichen von Los Angeles, dem weltberühmten "HOLLYWOOD"-Schriftzug am Südhang des Mount Lee. Unterhalb des Schriftzugs mäandern der Mulholland Highway und ein paar Seitenstraßen durch ein kleines, feines Straßendorf aus Villen. Deren Bewohner waren seit Jahrzehnten genervt von den Touristenströmen, die aus aller Welt kommen, um sich die neun weißen Buchstaben anzusehen. Nun ist daraus dank moderner Navigationstechnik ein Nervenkrieg geworden. Da sie die Straße nicht sperren können, haben die Anwohner eine andere Lösung entwickelt: Sie haben den Schriftzug auf eine spezielle Art unsichtbar gemacht.

Man kann weder mit dem Auto noch zu Fuß direkt bis an die Sehenswürdigkeit, aber man kann zum Beispiel den Gipfel des Mount Lee besteigen, auf die Rückseite der Buchstaben schauen und die fantastische Aussicht genießen. Lange Jahre hat die verschnörkelte Straßenführung und die konfuse Beschilderung als Verkehrsberuhigung gedient, aber seit jedes Smartphone einen GPS-Empfänger hat, rollen die Touristen in Scharen an, parken nahe einem Sperrgitter, hinter dem es zu Fuß weitergeht, und laufen durch die Wohnstraßen. Als die Anwohner die Stadt um Hilfe baten, machte der Stadtratsabgeordnete Tom LaBonge einen scheinbar aberwitzigen Vorschlag: Er wolle versuchen, die offiziellen GPS-Koordinaten des Schriftzugs so zu verändern, dass Touristen ihn nicht mehr finden konnten.

Google Maps zeigt immer noch die tatsächliche Position des Hollywood-Schriftzugs an. Aber wenn man von irgendeinem Punkt in Los Angeles aus eine Fahrtroute dorthin vorgeschlagen bekommen möchte, passiert etwas sehr Merkwürdiges. Man wird zum Griffith-Observatorium geleitet, das sich einen Berg weiter befindet. Von dort aus weist Google Maps mit einer gepunkteten Linie auf die Position des Schriftzugs. Auch wenn man sich einen Fußweg anzeigen lässt, hilft einem Google Maps nicht weiter, obwohl man in Wirklichkeit über ein Netz von Wanderwegen in dem Park zu der Sehenswürdigkeit gelangen kann.

Nicht nur Google Maps, auch die Karten von Apple und Microsofts Bing verweigern die Richtungsangabe. Stets landet man am Griffith-Observatorium. "Wie kann es sein, dass die privaten Interessen einer Handvoll von Anwohnern offenbar die Anbieter von Kartendaten veranlasst haben, diese neue Route festzulegen?", fragte sich Michelle Quinn im Tech-Blog der San Jose Mercury News, der Hauszeitung des Silicon Valley. Tom LaBonge hatte das Unmögliche möglich gemacht und "in enger Zusammenarbeit" mit Google und dem Schweizer GPS-Unternehmen Garmin im Frühjahr 2012 die Fahrtroute zu dem Schriftzug verändern lassen. LaBonge beruft sich auf den Umweltschutz und Sicherheitsbedenken.

Was kommt als nächstes? Hausbesitzer, die Immobilienportale dazu überreden, dass bestimmte Grundstücke für unerwünschte Bevölkerungsschichten nicht mehr sichtbar sind? Was da in Hollywood passiert, ist möglicherweise ein Vorgeschmack auf die Zukunft der Kartografie. Ein paar Dutzend reiche Leute, die vom Wohnzimmer aus den Hollywood-Schriftzug sehen können, haben eine Möglichkeit gefunden, andere Menschen aus ihrer Nachbarschaft zu exkludieren – durch eine technologische Manipulation. Tom LaBonge arbeitet inzwischen an seinem nächsten Projekt: einem Bus-Shuttle, das Touristen an die Absperrung bringt, von der aus sie den Wanderweg zu dem Schriftzug nehmen können. Ohne ihre Autos mit hinaufbringen zu müssen. (bsc)