Brandstifter Tsipras, weil er nicht bei den Armen sparen will

Wie große Teile der deutschen Presse den möglichen Gewinner der griechischen Wahlen bisher bezeichneten

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Aus den heutigen Wahlen in Griechenland könnte mit Alexis Tsipras ein Politiker als Sieger hervorgehen, der besonders für viele deutschen Politiker ein rotes Tuch ist. Interessant wird auch sein, wie führende Medien auf einen möglichen Karrieresprung des Politikers reagieren, den sie noch vor kurzer Zeit zur großen Gefahr hochzustilisieren.

Fast noch schmeichelhaft war die Cicero-Klassifizierung, die Tsipras zu Athens Che Guevara hochjazzte. Fragt sich, welche Phase von Guevaras Leben sie meinte. Den des von verschiedenen Geheimdiensten gejagten und schließlich zur Strecke gebrachten Revolutionärs oder der Popfigur, zu der er später gemacht wurde. Letzteres ist für Tsipras vielleicht gesünder, aber auch nicht wirklich schmeichelhaft.

Wesentlich weniger romantisch urteilte die Süddeutsche Zeitung noch vor der letzten Wahl über Tsipras, als der bei einem Berlin-Besuch mit Regierungsvertretern den Eindruck zerstreuen wollte, ein Linksradikaler würde in Athen an die Regierung kommen. Die Süddeutsche beeindruckte das gar nicht. "Rattenfänger von Athen flötet in Berlin" warnte das Blatt vor zwei Jahren. Besonders gefährlich hält sie ihn, weil er die EU gar nicht verlassen will:


"Der griechische Linkspolitiker Alexis Tsipras lehnt zwar Sparpakete ab, will aber in der Euro-Zone bleiben. Falls seine Syriza bei der Neuwahl am 17. Juni stärkste Partei wird, müssen sich seine Bauernfängerparolen an der Realität messen lassen."

Kein Sparen bei den Armen - schon ist man Brandstifter

Zumindest hielt sich die Süddeutsche an die Fakten. Anders als der Taz-Online-Redakteur Gunnar Schubert, der vor den Europawahlen über Tsipras schrieb: "Ein billiger Populist, verkappter Antisemit und gewiss kein Europäer". Die drei Klassifizierungen sind an keiner Stelle belegt.

Womöglich wollte sich der Taz-Kollege damit auch nur bei der besser zahlenden Konkurrenz aus dem Hause Springer empfehlen. Dort kommen solche Töne gegen den griechischen Linkspolitiker gut an. Schließlich bezeichnete die Welt Tsipras noch Anfang Januar als "Volkstribun, der Euroland erzittern lässt". Dass seit Wochen Ökonomen beteuern, die Entwicklung in Griechenland habe anders als noch vor zwei Jahren keine große Bedeutung mehr für den Euro, spielt keine Rolle, wenn es um eine griffige Schlagzeile gegen einen Politiker geht, der in Deutschland unter den inoffiziellen Radikalenerlass fallen würde. Doch auch der Spiegel will mit griffigen Dämonisierungen des Linkspolitikers der Springerpresse nicht nachstehen. Für das Wochenblatt warTsipras im letzten Jahr noch "Griechenlands charmanter Brandstifter". In der Unterzeile wurde es dann konkret:

"Schluss mit dem Sparen, Milliarden für die Armen: Mit solchen Botschaften kommt Alexis Tsipras bei den Wählern in Griechenland an. Schon Ende Januar könnte der Linke regieren. Sein Aufstieg wird Folgen haben - für ganz Europa."

Damit zeigen die Wirtschaftsliberalen vom Spiegel auch, wer in ihren Augen ein Brandstifter ist. Nicht etwa ein Politiker, der gegen ein Nachbarland hetzt und womöglich die Kriegsgefahr erhöht oder ethnische Minderheiten diskriminiert. Nein, es reicht, wenn ein Politiker es tatsächlich wagen will, bei den Armen nicht weiter zu streichen und in einem Land, in dem Menschen nicht mehr zum Arzt gehen oder sich keine Medikamente leisten können, das Sparprogramm auszusetzen. Der Hinweis auf die möglichen Folgen für Europa zeigt auch den Grund für die Furcht. Es könnten auch soziale Bewegungen in anderen Ländern der europäischen Peripherie wieder Mut bekommen, gegen die von Deutschland diktierte Austeritätspolitik Widerstand zu leisten.

Mag auch Griechenland ökonomisch nicht mehr in der Lage sein, die Eurozone unter Druck zu setzen, so sind doch dieKonsequenzen nicht vorhersehbar, die eine Wahl Tsipras für die Partei der Ordnung und Austerität haben könnte. Es ist nicht vergessen, dass vor einigen Jahren nicht nur in Griechenland, sondern auch in Spanien, Portugal, Italien und Belgien hunderttausende Menschen gegen diese Politik auf die Straße gegangen sind und Plätze besetzt haben. Sie wurden entmutigt, teilweise durch große Repressionswellen wie in Spanien, aber auch in Griechenland, mehr aber noch durch die Arroganz der Macht, die die Proteste einfach ausgesessen hat. Trotz großer Massendemonstrationen, Platzbesetzungen und zahlreichen landesweiten und eines europaweiten Streiks ist es in keinem europäischen Land gelungen, die Austeritätspolitik zu stoppen. Daher wäre ein Wahlerfolg von Tsipras auch ein Signal, dass der Widerstand noch nicht vorbei ist. Die Frage ist natürlich, was er dann daraus macht.

"Der Mann, der das Geld nicht zurückgeben will"

Wenn er nur versuchen sollte, sein zentrales Wahlversprechen eines Schuldenschnitts umzusetzen, muss er sich mit Deutschland anlegen. Dann dürfte der Ton gegen Tsipras bald noch einen Ton schärfer werden, Bild hat schon mal eine populistische Kostprobe gegeben: "Die Hetzprotokolle des linken Griechen" lautete der reißerische Titel. Da fehlt das Adjektiv charmant, hier ist Tsipras der Guevara in seiner revolutionären Phase, der zur Strecke gebracht werden muss. Bild bringt noch eine besondere populistische Volte in die Debatte, indem die Zeitung eine Formel prägt, die auch bei Pegida gut ankommen würde:

"BILD hat dem Schrecken schon einen Namen gegeben: "Costas Unsdas" – wie teuer wird das Griechen-Chaos für uns?"

Interessant, dass das Blatt das Ergebnis von demokratischen Wahlen, die sonst immer besonders hoch in Kurs stehen, schon mal als Chaos bezeichnet, wenn es womöglich nicht auf der Linie der Bild-Redaktion liegt.

Dass die "Pleite-Griechen", an das Geld der Deutschen wollen, ist eine jener populistischen Formeln, die eigentlich von Pegida stammen könnten. Dass sie von Medien ventiliert werden, die sich offiziell von Pegida abgrenzen, zeigt, dass Sozialchauvinismus und Populismus auch bei Pegida-Gegnern anzutreffen ist. Die These, Griechenland wolle an das Geld der Deutschen, ist aber auch aus historischen Gründen infam. Denn tatsächlich hat Deutschland noch Schulden bei Griechenland, die es aber nicht bezahlen will.

So fordert die Jüdische Gemeinde in Griechenland eine Entschädigung für die Entschädigungszahlungen, mit denen sie 1943 griechische Juden von der Zwangsarbeit freigekauft hat. Es geht um heute umgerechnet 45 Millionen Euro. Wesentlich höher sind die Beträge, die Deutschland Griechenland für eine Zwangsanleihe aus dem 2. Weltkrieg schuldet.

Deutschland soll Griechenland einem vertraulichen Bericht des griechischen Rechnungshofs zufolge elf Milliarden Euro aus dieser Zwangsanleihe schulden. Da eine Tsipras-Regierung diese Schulden Deutschlands vielleicht energischer als seine bisherigen Vorgänger ansprechen würde, kann ein guter Grund dafür sein, warum die Hetze gegen den Linken in deutschen Medien besonders prägnant ist. Ein Bild-Kommentator hat unter der Überschrift "Dreister Griechenland-Wahlkampf" schon mal Maßstäbe gesetzt, für das, was sich Deutschland heute in Europa wieder erlauben kann.

"Ihr Land steckt mitten in seiner schwersten Krise – und sie haben nichts Besseres zu tun, als von Deutschland mal wieder Reparationen zu verlangen.Unverschämt, weil gerade Deutschland wie kein anderer Staat die Griechen in ihrer Krise mit Milliarden unterstützt."

Das einzig Unverschämte an der Debatte ist, wie sich Deutschland weigert, die eigenen Schulden zurückzuzahlen und sich gegenüber Griechenland auch noch als Lehrmeister aufzuspielen. Es wäre schon eine interessante Frage, wie diese Presse einen möglichen Wahlsieg von Tsipras kommentieren würde. Aber große deutschen Medien haben ja auch noch Nelson Mandela bis 1990 als kommunistischen Terroristen beschrieben, bevor er später zu einem afrikanischen Gandhi gemodelt wurde, der er nicht war. Es ist zu hoffen, dass dieses Schicksal Tsipras zumindest erspart bleibt.