Kostenlos Energie ernten

Eigentlich ist Energie überall kostenlos verfügbar: In Vibrationen, Druckschwankungen und Temperaturdifferenzen. Man muss sie nur ernten. Mit dem Internet der Dinge ist aus der anfangs belächelten Idee des „Energy Harvesting“ eine ernstzunehmende Anwendung entstanden.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Wolfgang Richter

Eigentlich ist Energie überall kostenlos verfügbar: In Vibrationen, Druckschwankungen und Temperaturdifferenzen. Man muss sie nur ernten. Mit dem Internet der Dinge ist aus der anfangs belächelten Idee des „Energy Harvesting“ eine ernstzunehmende Anwendung entstanden.

Das Potenzial der Erfindung war uns schnell klar, obwohl wir von etlichen Universitäten erst mal ausgelacht wurden“, sagt Stella Karavas. Dabei, gibt die umtriebige Unternehmerin zu, hatte auch sie am Anfang ihre Zweifel, als der Erfinder Gordon Wadle 2001 mit einer scheinbar skurrilen Idee an sie herantrat: Er wollte Bäume als Stromquellen nutzen. Und Karavas, die damals eine Elektronikfirma in Massachusetts besaß, sollte für ihn einen Schaltkreis entwickeln, der die kleine und unregelmäßige Baumspannung in nutzbare Elektrizität umwandelt.

Wadle hatte entdeckt, dass sich zwischen zwei Elektroden, von denen die eine in einem Baumstamm und die andere im umgebenden Erdreich steckt, eine Spannung aufbaut. Seine Idee: Von Baumstrom gespeiste Sensoren könnten, in großer Stückzahl ausgebracht, zum Beispiel vor Waldbränden warnen. Dabei werden die Daten jedes Sensors von Modul zu Modul weitergegeben, bis die Informationen in einer weit entfernten Zentrale zusammenlaufen.

„Energy Harvesting war damals praktisch unbekannt“, sagt Karavas. Doch sie witterte ein gutes Geschäft, gründete kurz entschlossen eine Firma mit dem passenden Namen „Voltree“ und beauftragte Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT), die genaue Ursache der Pflanzenelektrizität zu ermitteln. Bei Experimenten mit einem eingetopften Ficus benjamina fanden diese heraus, dass die Spannung auf den unterschiedlichen pH-Werten von Baum und Erdreich beruht. Durch die ungleichen Ionenkonzentrationen entsteht eine Spannungszelle und beim Anlegen von Elektroden ein Stromfluss. „Nach einem Fernsehbericht von CNN über uns war hier die Hölle los“, erinnert sich Karavas. Im Jahr 2009 konnten sie und ihr Team dann den Prototyp eines Baumsensors vorlegen, der ohne Batterie Luftfeuchtigkeit und Temperatur misst und über einen kleinen Funksender weiterleitet.

Heute gibt es eine ganze wissenschaftliche Gemeinschaft, die sich mit Energy Harvesting beschäftigt. Forscher entwickeln Schuhsohlen, die Vibrationen beim Gehen in Strom zum Laden von Handyakkus verwandeln. Sie kleben hauchdünne Schaltkreise auf Rinderherzen, um mit der Kraft des Pulsschlags einen Herzschrittmacher zu versorgen. Eine Quarzuhr von Seiko verwandelt die Bewegungen des Handgelenks in nutzbare Spannung. In Zukunft sollen sich auch Mobiltelefone durch das ständige Geschüttel in der Hosentasche und sogar durch Umgebungsgeräusche selber laden. Ähnlich wie beim Baumstrom nutzen Wissenschaftler des MIT die unterschiedlichen Ionenkonzentrationen in Teilen des Innenohrs, um ein Implantat zu betreiben – was im Tierversuch bereits funktioniert. Und eine Arbeitsgruppe an der University of Wisconsin-Madison will gar den menschlichen Atemstrom als Energiequelle für Implantate im Kopf anzapfen.

Um das wirtschaftliche Potenzial des Energy Harvesting zu ermitteln, hat Elco Rouwmaat von der holländischen Niederlassung der Unternehmensberatung PwC im Auftrag der Europäischen Kommission eine Studie erstellt. „Viele dieser Projekte sind allerdings über das Laborstadium bisher nicht hinausgekommen“, sagt er. Das aber dürfte sich bald ändern. „Das Internet der Dinge und drahtlose Sensornetzwerke sind ohne Energy Harvesting praktisch unmöglich“, erklärt er. Denn für die Stromversorgung von Milliarden Messfühlern und Funksendern in Frachtcontainern, vernetzten Haushaltsgegenständen oder intelligenten Fabriken seien Batterien wenig geeignet. „Nicht nur aus Umweltschutzgründen, sondern auch bei ökonomischer Betrachtung“, sagt Rouwmaat. Zu den Aufwendungen für teure Rohstoffe wie Lithium, die bei Batterien signifikant höher seien als bei Energy-Harvesting-Technik, kämen noch die Personalkosten hinzu, die beim Austausch von Batterien anfallen.

(grh)