Lucke ist Teil des rechten Hegemonieprojekts

Zur Strategie der AfD nach dem Parteitag vom Wochenende

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der große Eklat beim AFD-Parteitag ist ausgeblieben. Mit knapper Mehrheit wurde eine Satzungsänderung beschlossen, für die sich vor allem der Parteisprecher Bernd Lucke eingesetzt hat. So wird der knappe Beschluss in den Medien als sein Erfolg gewertet. Zuvor ging es auf dem Parteitag noch turbulent zu.

Bei der Aussprache über Luckes persönliche Erklärung musste der sich viel Kritik anhören. Vor allem sein selbstkritisches Bekenntnis, der AfD-Vorstand habe in den letzten beiden Jahren "stümperhaft" gearbeitet, wollen viele der Vorstandsmitglieder so nicht stehen lassen. Delegierte erinnerten Lucke daran, er habe entgegen der Parteitagsbeschlüsse im Europarlament für schärfere Sanktionen gegen Russland gestimmt und damit die Glaubwürdigkeit der AfD aufs Spiel gesetzt.

Die Diskussion machte deutlich, dass die Differenzen in der AfD weitergehen werden, was wenig überraschend ist. Auch die vorherrschende Sicht auf das AfD-Geschehen, wonach Lucke ein Bollwerk gegen eine weitere Rechtsentwicklung der AfD ist, wird vor allen aus Kreisen der Union und ihnen nahestehender Medien lanciert. Mit Lucke, so hoffen sie, könnte die AfD doch noch mal Koalitionspartner der Union werden.

AfD-Spitzenpolitiker kritisiert Pegida von rechts

Bestätigt wird diese Lesart vom Sieg der Gemäßigten bei der AfD ausgerechnet von Rechts. „Lucke hat gesiegt - was macht jetzt der nationalkonservative AfD-Flügel?“, fragt der Publizist Jürgen Elsässer rhetorisch, der in letzter Zeit genau diesen Flügel besondere Sympathie entgegen gebracht hat. In der letzten Ausgabe des Magazins Compact, dessen Chefredakteur Elsässer ist, wurde der innerparteiliche Lucke-Gegner, der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke interviewt.

Der outet sich wie auch in anderen rechten Magazinen als Exponent der Neuen Rechten. Er warnt vor einer Amerikanisierung Europas, die zu einer "Verhausschweinigung" der Menschen führe. Natürlich hat Höcke immer einem engen Kontakt zur Pegida-Bewegung das Wort geredet. Doch er richtet auch einige kritische Worte an die Pegida-Initiatoren, die schließlich auch einige mit dem derzeitigen AfD-Programm nicht kompatiblen Äußerungen aufzuweisen hätten.

Wer jetzt denkt, der Thüringer AfD-Vorsitzende, den sich vor einigen Wochen einige in der Union durchaus als Minister einer CDU/AfD-Landesregierung vorstellen konnten, rüge zu nationalistische Äußerungen oder die Jagd auf die kritische Presse bei Pegida-Demonstrationen, sieht sich getäuscht. Höcke kritisiert die vagen Pegida-Grundsätze aus Dresden von Rechts: Weil dort die sexuelle Selbstbestimmung gefordert wird, aber die germanischen Wurzeln Deutschlands nicht erwähnt werden.

Anders als Höcke ist Tatjana Festerling lediglich einfaches AfD-Parteimitglied. Wegen ihrer Unterstützung der Kölner Demonstration der Hogesa bundesweit bekannt, geriet sie auch in der AfD in die Kritik und wurde von der gesamten rechten Szene als Beispiel der mutigen deutschen Frau, die sich vom linken Gesinnungsterror nicht abschrecken lässt, gefeiert. Festerling, die sicher in vielen Gruppierungen der rechten Szenen andocken kann, hat schon zu Beginn des AfD-Parteitags vage Konsequenzen angekündigt, wenn der Lucke-Flügel siegt. Doch solche Befindlichkeiten von Personen aus dem Rechtsaußenflügel de AfD sollten nicht als Aussage für den Kurs der AfD genommen werden.

Lucke wollte das Bündnis mit den Rechten

Der Publizist Sebastian Friedrich hat in einem gut lesbaren Buch von knapp 100 Seiten unter dem Titel "Der Aufstieg der AfD - Neokonservative Mobilmachung in Europa" die wichtigsten Fakten über die AfD prägnant zusammengefasst und dabei auch den politischen Hintergrund mit einbezogen, der den Aufstieg der AfD befördert hat.

Zwei wichtige Wegmarken waren die Erfolge für die Bücher von Thilo Sarrazin und Eva Herrmann ebenso wie die Expansion islamfeindlicher Internetblogs wie PI-News. Die rechte Gesellschaftskritik mobilisierte viele Leute, die sich im gegenwärtigen Parteiensystem nicht mehr vertreten fühlen. Friedrich zeigt auf, wie sich rechte Kritik auf verschiedenen politischen Baustellen äußerte.

Die Kritik an den rotgrünen Bildungsplan in Baden Württemberg formiert sich in Petitionen und Demonstrationen. Die Islamkritik wurde zu einen wichtigen Movens der Mobilisierung unterschiedlicher rechter Gruppierungen. Mit der Partei "Die Freiheit" hatten einige der Initiatoren sogar versucht, mit dem Thema eine Partei zu gründen, hatten dabei aber wenig Erfolg.

Ein ebenso zentrales Thema - auch über die rechte Szene hinaus - war die Kritik an dem Euro, der die angeblich feste Währung DM aufgeweicht habe. Bei den unterschiedlichen Themen gibt es immer Schnittmengen, aber es gibt immer auch Personen und Zusammenhänge, die in erster Linie ihr eigenes Arbeitsfeld im Blick haben und die anderen nicht gelten lassen wollen. Zudem haben die unterschiedlichen Themen auch unterschiedliche politische Agenden.

So gehören zu den Quellorganisationen der AfD verschiedene neoliberale Gruppierungen, die sich gegen den Euro und die europäische Wirtschaftspolitik positionierten. Eine wichtige Rolle spielte dabei der langjährige Unternehmerfunktionär Hans-Olaf Henkel. Er hatte bereits in den letzten Jahren kurzfristig bei den Freien Wählern reüssiert. Sein Engagement in der AfD prägte die Partei und rückte zunächst die Euro-Kritik und die neoliberale Agenda der Partei in den Vordergrund.

Doch Friedrich zeigt auch ganz klar auf, dass die Partei von Anfang als "Sammelbecken von Nationalliberalen und Nationalkonservativen" geplant und konzipiert gewesen sei. Verfechter dieses Konzeptes sei von Anfang an Bernd Lucke gewesen. Der hatte wohl gehofft, dass die AfD bei der Bundestagswahl auf Anhieb den Sprung über die 5 % Hürde schafft. Bereits unmittelbar nach dem knappen Scheitern habe Lucke die Öffnung der AfD nach rechts mitbetrieben.

Bereits im Wahlkampf habe Lucke angeregt, Thilo Sarrazin mit dem Buchpreis der AfD zu versehen, was ein klares Signal an die verschiedenen rechten Kräfte gewesen wäre, die sich auf Sarrazin berufen. Damals sei ein solches Signal noch von einer Gruppe Liberaler innerhalb der AfD verhindert worden, so Friedrich. Nachdem mit tatkräftiger Unterstützung von Lucke die Weichenstellung nach Rechts bei der AfD vollzogen worden sei und die Partei Themen wie die Flüchtlings- und Islamproblematik in Wahlkämpfen populistisch aufgegriffen hat, haben diese Liberalen die Partei verlassen.

Sie hatten in verschiedenen Landesverbänden durchaus wichtige Funktionen, sind allerdings in der Öffentlichkeit kaum bekannt gewesen. Es ist die Stärke von Friedrichs Buch, dass er das Hintergrundwissen dieser Leute mit eingearbeitet hat und damit zu einen anderen Bild über die innerparteiliche Situation in der AfD kommt als ein Großteil der übrigen Medien.

Danach ist die AfD als Teil eines "neokonservativen Hegemonieprojekts" konzipiert, das verschiedene Fraktionen der Rechten beinhaltet. Lucke ist kein Gegner dieser Strategie, sondern der Zentrist, der die Akzentuierungen vornehmen will. Friedrich zeigt aber auch auf, dass er für den Zusammenhalt der unterschiedlichen durchaus heterogenen Flügel in der AfD der ideale Kandidat ist, weil er die unterschiedlichen Strömungen zusammenhalten kann.

Ein Duo Gauland/Henkel, den beiden Exponenten der Rechtskonservativen und der Wirtschaftsliberalen, hätte dagegen kaum die Hegemoniefähigkeit und würde eher zu einem Zerfall der AfD beitragen als eine Parteiführung unter Lucke, so die Einschätzung von Friedrich. Nach dieser Lesart sind die Ergebnisse des Bremer Parteitags also eher ein Ausdruck der Konsolidierung der Partei als ein Zeichen der Krise. Dass die heftigen Debatten danach weitergehen ist bei einem Projekt, in dem verschiedene Flügel um Hegemonie ringen, nicht verwunderlich.

Dass die Position von Lucke am Umstrittensten ist, kann auch wenig überraschen, weil er als Zentrist weiter in der Position des Agendasetters bleiben will. Er will also entscheiden, wann die neoliberalen und wann die islamkritischen Themen in der AfD mehr im Vordergrund stehen sollen. Es ist klar, dass die jeweiligen Strömungsexponenten daran Kritik üben und Lucke vorwerfen, Machtpositionen in der Partei halten zu wollen.

Unberechenbarer Teil der Partei sind die Neuen Rechten, die erst nach den ersten Erfolgen in die AfD strömten und neben den Neokonservativen und Wirtschaftsliberalen eine eigene Agenda haben. Dass Björn Höcke, der seine politischen Ansichten nie verschwieg, in der AfD Thüringen aufsteigen konnte, zeigt, dass die Neuen Rechten mit ihren langjährigen Erfahrungen in der Partei Erfolge vorweisen können.

Friedrich zeigt auch, dass in den verschiedenen rechten Institutionen außerhalb der AfD Streit über die weitere Entwicklung dieser Partei ausgebrochen ist. So unterstützt die Wochenzeitung Junge Freiheit eher Lucke, weil sie ihm eher zutraut, die AfD als rechtes Hegemonieprojekt am Leben halten zu können, während Compact auf den rechten Flügel setzt.

Auch bei der rechten Denkfabrik Institut für Staatspolitik gibt es Streit über den Umgang mit der AfD. Während ein Teil sie von rechts kritisieren wollen, hat sich der Mitbegründer und langjährige wissenschaftliche Leiter Karlheinz Weißmann aus dem IfS zurückgezogen, weil er die AfD als Chance für rechte Politik sieht.

Linkes Hegemonieprojekt fehlt

Kurz geht Friedrich in seinen Buch auf die Rechtsentwicklungen in anderen europäischen Ländern ein. Dabei macht er am Beispiel der Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien auf das Fehlen eines linken Projekts in Deutschland aufmerksam, die Bewegungen wie Pegida und Parteien wie der AfD mehr als nur die vage Parole "Wir sind alle bunt" entgegensetzen könnte.

Die Herausbildung eines linken hegemoniefähigen Projekts, das auch auf Teile des deklassierten Mittelstands Ausstrahlung hat, ist in Griechenland jetzt gelungen. Nur so ist die von vielen in Deutschland unverstandene Koalition zwischen Syriza und Anel, der Partei des in der Krise verarmten Mittelstands zu erklären. So gibt es bei diesen Leuten viele nationalistische und rassistische Erklärungsansätze für ihre Lage. Sie sind auf den großen Demonstrationen der Empörten mit griechischen Nationalfahnen erschienen.

Syriza ist es nun gelungen, diese Gruppierungen in ein Bündnis einnzubinden, das emanzipatorische statt nationalistische Lösungsmodelle möglich macht. Dafür braucht eine linke Organisation eine gewisse Hegemoniefähigkeit, die sie in Deutschland bisher nicht hat. Das kann auch ein Menetekel für Griechenland sein. Denn, ob das Experiment dort gelingt, hängt von den sozialen Bewegungen nicht zuletzt auch in Deutschland ab.

Die Äußerungen verschiedener Politiker von Union bis SPD deuten darauf hin, dass sie den Aufbruch in Griechenland einhegen und möglichst zerstören wollen, damit er erst gar nicht europaweite Ausstrahlung bekommt. Eine solche standortnationalistische Politik würde die Rechte in Griechenland ebenso stärken wie die AFD.