Wann zahlt Deutschland seine Schulden an Griechenland?

Während die deutsche Regierung zur neuen griechischen Administration auf Konfrontationskurs geht, bringt sich die Solidaritätsbewegung langsam in Position

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Der neue griechische Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung betont, dass seine Regierung die Verpflichtungen einhalten will. Allerdings nicht gegenüber der EU-Troika, sondern gegenüber seinen Wählern, die die Troikapolitik in Griechenland abgewählt haben. Manche in der EU schienen das nicht begriffen zu haben, und fordern von der neuen griechischen Regierung, die Politik ihrer Vorgängerregierung fortzusetzen.

Das ist eine Aufforderung zum politischen Selbstmord. In der konservativen FAZ wird ganz offen ausgesprochen, dass Tsipras scheitern muss. Schließlich bestünde ja die Gefahr, dass ein Ende des Verarmungsprogramms in einem EU-Land auch in anderen Ländern Nachahmungseffekte auslöst.
So heißt es in einen Kommentar auf dem Wirtschaftsseiten der FAZ:

Die neue griechische Regierung strebt vor allem nach mehr laufenden Ausgaben. Sie will höhere Mindestlöhne, höhere Renten, neue Einstellungen im Staatsdienst, mehr Sozialleistungen, subventionierten Strom und weniger Steuern für Kleinverdiener.
Aus seinem knappen Wahlsieg leitet der neue Ministerpräsident nicht nur ab, dass er die Legitimation erhalten habe, das versprochene Ausgabenprogramm zu verwirklichen, sondern auch, dass ihm andere das nötige Geld hierfür geben müssten. An diesem Punkt zerschellen hoffentlich die griechischen Wunschträume an der ungemütlichen Realität: Griechenland ist nicht kreditwürdig und bekommt an den Finanzmärkten keine langfristigen Kredite zu bezahlbaren Zinsen.

Schon zuvor hatte die FAZ mit der Schlagzeile: "Die Troika lässt sich nicht abschaffen" deutlich gemacht, dass es für das Blatt eine Instanz gibt, die mächtiger als gewählte Politiker ist. In der FAZ werden auch Leserkommentare zitiert, die eine angebliche Enttäuschung der griechischen Wähler über "die Stümper Varoufakis und Tsipras“ wiedergeben. Auch baldige Neuwahlen werden gefordert, damit für die Bundesregierung und den ihnen nahestehenden Medien das Gespenst einer anderen Politik wieder aus dem EU-Raum verschwindet.

Mehr Sozialdemokratie wagen

Doch langsam macht sich auch die Solidaritätsbewegung bemerkbar. Die Akteure und ihre Aussagen sind sehr unterschiedlich. "Mehr Sozialdemokratie wagen" könnte der Inhalt des Aufrufs lauten, der vom Vorsitzenden des DGB und all seiner Einzelgewerkschaften mit Ausnahme der Gewerkschaft der Polizei unterzeichnet wurde:

Der politische Erdrutsch in Griechenland ist eine Chance nicht nur für dieses krisengeschüttelte Land, sondern auch dafür, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und zu korrigieren.

Einen ganz anderen Tenor hat ein Aufruf der linken Neuen Antikapitalistischen Organisation:

Der Wahlsieg von Syriza ist ein wichtiges Zeichen gegen die Sparpolitik und die Diktate der EU-Bürokratie und des deutschen Imperialismus.

Allerdings wird auch mit Kritik an der Koalitionsentscheidung von Syriza nicht gespart:

Für viele Außenstehende überraschend kam sicherlich die schnelle Koalitionsgründung mit Anel gleich am ersten Tag der Verhandlungen. Wir lehnen diese Partei ab und sprechen uns gegen deren Regierungsbeteiligung aus. Anel, als Abspaltung der ND seit 2011 im Parteiensystem dabei, ist eine antisemitische, rechtspopulistisch- nationalistische Kraft, die den Teil des griechischen Kapitals repräsentiert, der sich mehr Widerstand gegen EU und Deutschland wünscht. Ihre "Haltelinien" für die Koalition heißen "Kirche, Außenpolitik und Einwanderung".

Wird der 18. Marz die erste Solidaritätsaktion für Griechenland?

Auch das Blockupy-Bündnis, das seit mehreren Monaten einen Aktionstag gegen die Europäische Zentralbank in Frankfurt/Main vorbereitet, kritisiert den Koalitionspartner von Syriza:

Gerade vor dem Hintergrund der Koalition mit der rechtspopulistischen ANEL dürfen wir insofern jetzt nicht in das alte Denken des Hauptwiderspruchs zurück fallen. Die Chance der griechischen Wahl misst sich daher nicht nur am Umgang der Regierung mit den Auflagen der Troika, sondern gleichermaßen an ihrem Verhältnis zu den Fragen der linken Bewegungen. Sozial geht nicht national, nicht patriarchal, nicht homophob, nicht antisemitisch, nicht rassistisch.

Der Aktionstag am 18. März konnte jetzt zu einem ersten europaweiten Aktionstag mit der griechischen Linken werden. Schließlich versucht die EZB die neue griechische Regierung ökonomisch unter Druck zu setzen. So hat die EZB eine Sonderregelung mit Athen suspendiert und damit den griechischen Banken den Zugang zu frischem Geld erschwert. Am 21./22. Februar wird es ein Treffen der bundesweiten Griechenlandsolidarität in Köln geben, in dem es auch um die Vorbereitung des 18. März gehen soll.

Wann zahlt Deutschland die Schulden?

Bisher spielt in der Debatte in Deutschland ein Aspekt noch keine Rolle, der in den letzten Tagen in Griechenland in den Mittelpunkt rückte. Es geht um Schulden Deutschlands an Griechenland. Dabei bezieht sich die neue Regierung auf eine Zwangsanleihe, die die griechische Nationalbank während der NS-Besetzung an das Dritte Reich zahlen musste und nie zurückgezahlt wurde. Nach griechischer Rechnung entspräche dies heute elf Milliarden Euro.

Griechische Widerstandsorganisationen fordern seit vielen Jahren eine Rückzahlung und nennen weit höhere Summen. Alle bisherigen Regierungen haben nicht gewagt, eine solche Forderung an Deutschland zu richten. Das hat sich unter der neuen Regierung geändert. Die Bundesregierung hat auf Tsipras Parlamentsrede mit der lapidaren Erklärung reagiert, weitere Reparationszahlungen seien ausgeschlossen.

Mittlerweile wird an einer Argumentation gebastelt, mit der die deutsche Regierung auch schon in anderen Fällen versucht hat, NS-Opfer leer ausgehen zu lassen. Dabei geht es um die juristisch bedeutsame Frage, ob die Zwangsanleihe in die Kategorie Schulden oder Reparationen fällt. Während Schulden auch nach 70 Jahren mit Zinsen zurück gezahlt werden müssen, hat es die Bundesregierung mit viel Druck erreicht, dass alle Reparationsforderungen abgegolten sind.

Warum das Darlehen nicht in die Kategorie Schulden, sondern Reparationen fällt, erläuterte im Deutschlandfunk Matthias Hartwig vom Max-Plank-Institut:

Ich persönlich bin der Auffassung, dass dieser Kredit zunächst einmal während der Besatzungszeit Griechenlands durch das Deutsche Reich abgeschlossen worden ist und sicherlich als Vertrag gesehen werden muss, welcher nicht auf Augenhöhe geschlossen wurde, also insofern sicherlich, wenn man es so nennen möchte, ein ungleicher Vertrag zwischen Deutschland und Griechenland, und das lässt sich auch damit belegen, dass der Kredit seinerzeit zinslos gegeben worden ist. Von daher gesehen sprechen sehr gute Gründe dafür, diesen Vertrag als einen Teil des Kriegsunrechts anzusehen, mit der Folge, dass eine Wiedergutmachung im Rahmen von Reparationszahlungen zu erfolgen hat.

Kurz zusammengefasst heißt es, weil das Darlehen ein besonders großes Unrecht war, will sich die Bundesregierung von der Rückzahlung drücken. Das erinnert an die Debatte um die Zahlung der Ghettorenten, wo staatliche Stellen und Behörden mit allen Mitteln versuchten die Zahlung zu verhindern.

Auch in diesem Fall wurde argumentiert, dass es in den Ghettos keine normalen Arbeitsverhältnisse gab, sondern der Zwang ausschlaggebend war. Das war sicher nicht mal falsch, wurde aber als Argument genutzt, um die Rentenzahlung zu verweigern. Dass es schließlich für viel zu wenige Leute noch eine Nachzahlung der Ghettorenten ist auch eine Folge eines größeren Drucks, den auch die deutsche Politik nicht ignorieren kann. Es wird sich zeigen, ob ein solcher Druck auch im Fall Griechenland erreicht werden kann.

Wenn sich in aktuellen Umfragen eine große Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung eher für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone als für eine Umschuldung ausspricht, zeigt ein solches Ergebnis angesichts der deutschen NS-Schulden noch mal ein besonderes Ausmaß von Geschichtsvergessenheit. Hier wäre eine besondere Form der Griechenlandsolidarität gefragt, die die Rolle Deutschlands in den letzten 70 Jahren kritisch unter die Lupe nimmt.