1000 Meter unter dem Meer

300 Millionen Euro steckt die EU-Kommission in ein neues Kohlekraftwerk samt CO2-Speicher unter der Nordsee. Seine Erbauer waren die Einzigen, die das Geld haben wollten.

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Von
  • Chris Löwer

300 Millionen Euro steckt die EU-Kommission in ein neues Kohlekraftwerk samt CO2-Speicher unter der Nordsee. Seine Erbauer waren die Einzigen, die das Geld haben wollten.

"White Rose" ist zweifellos ein poetischer Name für ein Kohlekraftwerk. Ob es ihm auch gerecht wird? Die Bauherren von Capture Power haben daran keinen Zweifel. Das Konsortium aus der französischen Alstom, dem britischen Energieversorger Drax und dem Industriegas-Unternehmen BOC schwärmt von verlässlichem, sauberem Strom für 630000 Haushalte in und um Selby, einer Kleinstadt in der nordenglischen Grafschaft North Yorkshire. Denn das Kohlendioxid soll mittels Carbon Capture and Storage (CCS) unter der Erde verschwinden, die Kohle quasi weiß gewaschen werden.

Konkret heißt das: Das 426-Megawatt-Kraftwerk wird anstelle von Luft annähernd reinen Sauerstoff zur Verbrennung der Kohle verwenden. Das Abgas besteht dann überwiegend aus CO2 und Wasserdampf. Beide lassen sich durch Kühlen voneinander trennen: Der Dampf kondensiert zu Wasser, das Kohlendioxid bleibt übrig.

Mithilfe dieses Oxyfuel-Verfahrens kann man bis zu 90 Prozent des bei der Verbrennung anfallenden Kohlendioxids abtrennen. Der Haken: Man gewinnt den Sauerstoff, indem man ihn bei minus 200 Grad aus flüssiger Luft destilliert, ein Prozess, der sehr energieaufwendig ist. Das Treibhausgas soll anschließend unter Hochdruck verflüssigt und über eine Pipeline in einen Speicher unter der Nordsee gepumpt werden. Dabei handelt es sich um mit Salzwasser getränkte Sandsteinschichten, rund 65 Kilometer vor der Küste und in etwa 1000 Metern Tiefe. Die Speicherstätte ist vermutlich mindestens einen Quadratkilometer groß. Derzeit laufen Probebohrungen, um die genaue Größe zu ermitteln.

"Damit gelangen fast zwei Millionen Tonnen CO2 jährlich nicht in die Atmosphäre. Das entspricht den Emissionen von einer halben Million Autos", sagt Olaf Stallmann, Manager für die Oxyfuel-Technik bei Alstom. Der Ingenieur verantwortet die Entwicklungsplanung der CCS-Technik im White-Rose-Projekt. Ende dieses Jahres soll der Bau beginnen, nach fünf Jahren das Kraftwerk dann ans Netz gehen. Der Zeitplan ist nicht einmal unrealistisch. Das Ergebnis einiger Umweltstudien wie auch die endgültige Genehmigung lokaler Behörden für White Rose stehen zwar noch aus. Nennenswerte Widerstände seitens der Bevölkerung gibt es aber bislang nicht.

Angaben zu den voraussichtlichen Baukosten will Alstom noch nicht machen. Erst gegen Ende des Jahres sollen verlässliche Zahlen vorliegen – unter einer Milliarde Euro ist so ein Projekt allerdings wahrscheinlich nicht zu haben. 300 Millionen davon kommen aus Brüssel. Sie stammen aus einem Topf mit einer Milliarde Euro, die die EU-Kommission für Klimaschutzprojekte lockermacht – übrigens Einnahmen aus dem Emissionshandel.

Die Technologie schlägt nach Ansicht der Kommission gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Sie ist eine "Schlüsseltechnologie für die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen", mache Europa damit weniger abhängig von Öl- und Gasimporten. Darüber hinaus die "vielleicht einzige Möglichkeit zur Reduzierung der direkten Emissionen aus Industrieprozessen" und außerdem ein potenzieller Exportschlager.

Allerdings will der Kommission niemand so recht folgen. Als es im Juli für das White Rose Project den Zuschlag gab, sagte Isaac Valero Ladron, Sprecher des EU-Klimakommissariats: "Wir wollten eigentlich mehr CCS-Projekte fördern." Nur leider ziehen die Energieversorger in vielen EU-Ländern – wie Vattenfall in Deutschland – ihre Projekte mangels Akzeptanz zurück. Zwei Jahre zuvor hatte die EU-Kommission kein einziges förderfähiges CCS-Projekt in der EU gefunden.

Kohlekraft fördern, um das Klima zu schützen, "ist eine Fahrt in die Sackgasse", meint Martin Faulstich, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Umweltfragen, der die Bundesregierung in umweltpolitischen Belangen berät. Er fürchtet bei CCS einen Lock-in-Effekt: Es werden Milliarden in eine Technologie gesteckt, die allein deswegen vorangetrieben wird, weil sich die Investition lohnen muss und ein Richtungswechsel noch teurer käme. "Die Sterbezeit von Kohlekraftwerken wird damit nur verlängert statt verkürzt", sagt der Energieexperte.

Doch es gibt auch einen grundsätzlichen technischen Einwand: Durch den aufwendigen Prozess mit CO2-Abscheidung, Aufbereitung, Transport und Einlagerung vermindert sich der Wirkungsgrad eines Kohlekraftwerks erheblich: Die gesamte CCS-Prozesskette schluckt gut ein Viertel mehr Ressourcen. "Allein schon angesichts dessen kann kaum von sauberem Kohlestrom die Rede sein", sagt Jürgen Kreusch, Geschäftsführer der Umweltberatung Intac. Das bestreitet auch Frank Ennenbach, zuständiger Experte bei der Alstom Carbon Capture GmbH, nicht.

Derzeit sei mit einem Aufschlag von 70 Prozent im Vergleich zu Kohlekraftwerken ohne CCS zu rechnen. Bei stetiger Weiterentwicklung dürften die Mehrkosten 2030 aber auf 50 Prozent sinken. "Die Stromgestehungskosten werden damit vergleichbar zu Onshore-Windkraft und günstiger als die von Offshore-Windkraft", sagt Ennenbach.

Nicht einkalkuliert sind dabei die Umweltrisiken. "Die Technologie ist kaum erforscht, und die Zahl tatsächlich nutzbarer Speicherkapazitäten ist unklar", merkt Faulstich an. Möglicherweise sind etwaige Speicher durch andere Bohrungen bereits beschädigt oder werden dies unbeabsichtigt. Die Folge wäre eine Versauerung des Meeres, wenn sich Millionen Tonnen CO2 mit Wasser zu Kohlensäure verbinden. "Eine tickende geologische Zeitbombe", nennt Jürgen Kreusch das. Der Geologe zweifelt daran, dass es Lagerstätten gibt, die für etliche Generationen sicher sind. "Zukunftsfähiges Verhalten sieht jedenfalls anders aus", sagt er. (bsc)