Populistische Stimmungsmache gegen Griechenland wächst

Die heutige Abstimmung im Parlament über die "Griechenland-Hilfe" wird sie nicht beenden

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Eine ganz große Koalition stimmte am Freitag im Bundestag für die Verlängerung des sogenannten Hilfsprogramms für Griechenland. 542 Abgeordneten waren für den Antrag von Finanzminister Wolfgang Schäuble, das Programm, das morgen ausgelaufen wäre, bis Ende Juli zu verlängern. Dagegen waren 32 Mandatsträger; 13 enthielten sich. Die über 90prozentige Zustimmung zu dem Programm bedeutet aber nicht, dass es im Parlament eine große Einigung gäbe. Im Gegenteil: die Motivation bei den Abgeordneten, die zustimmten, war denkbar unterschiedlich.

Eher Knebelung als Hilfe

Dem großen Teil der Unionsabgeordneten ging es bei ihrer Zustimmung vor allem darum, die neue von der linkssozialdemokratischen Syriza-Regierung dominierte Regierung in das Korsett ihrer Austeritätspolitik zu zwängen und ihr und möglichen Nachahmern an der europäischen Peripherie deutlich zu machen, dass es in EU-Europa keine Alternative zum Troika-Diktat gibt. Es können höchstens die Namen der Institutionen geändert werden, die die ökonomischen Folterinstrumente vorzeigen. Für sie war das Wesentliche, dass die griechische Regierung nun zumindest formal die abgewählte Austeritätspolitik als Richtschnur ihrer Arbeit anerkannt hat.

Der Wunsch, Griechenland weiter am Gängelband der Troika zu halten, hat verhindert, dass nicht noch mehr konservative Abgeordnete mit "Nein" zum Griechenlandpaket stimmten. Viele hoffen ganz offen, dass die derzeitige Regierung in Athen schnell scheitert und dann wieder eine EU-konforme Regierung an die Macht kommt. Das würde in der Union als großer Sieg der Demokratie, wie man sie dort versteht, gefeiert. Im Spiegel wurde die Stimmung im konservativen Lager so beschrieben:

Das Misstrauen in die linksgeführte Regierung um Ministerpräsident Alexis Tsipras ist enorm, der Ärger über die scharfen Töne aus Athen gegen das angebliche europäische Spardiktat groß. Die Zahl der CDU- und CSU-Abgeordneten, die den Griechen lieber heute als morgen den Geldhahn zudrehen wollen, wächst. "Das ist das letzte Mal" - diesen Satz hört man in diesen Tagen immer wieder von jenen, die sich noch mal zu einem Ja durchringen wollen.“ Wäre die FDP noch im Bundestag vertreten, wäre die Zahl der bürgerlichen Nein-Stimmen größer geworden. Noch in der alten Bundestagsfraktion gab es dort eine große Fraktion, die Griechenland aus dem Euro drängen wollte.

Solidarisch mit Syriza oder einig mit Schäuble?

Auch einige Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion lehnten den Antrag von Schäuble ab. Sie wollten dagegen protestieren, dass die griechische Regierung weiter in das Troika-Konzept gezwungen werden soll. "Nein zur Erpressung Griechenlands" lautet der Aufruf von Marx 21, die innerhalb der Linkspartei aktiv ist.

In der Vergangenheit hatte die Linksfraktion die "Hilfspakete" für Griechenland abgelehnt und geschlossen mit "Nein" gestimmt. Aus gutem Grund: Die Auflagen, an die die Kreditvergabe gebunden war, waren eine einzige Unterwerfung Griechenlands unter das Diktat der EU, vorneweg Deutschlands. Zur kommenden Abstimmung mehren sich Stimmen in der Linksfraktion, die Schäubles Entwurf zustimmen wollen. Das wäre ein Fehler - die Linksfraktion sollte auch diese Vereinbarung ablehnen. Denn abgestimmt wird nicht darüber, ob DIE LINKE solidarisch zur griechischen Regierung oder Bevölkerung steht. Sondern, ob sie Wolfgang Schäuble und seine Politik unterstützt.

Diese Position unterstützte auch der einst parteiintern einflussreiche Oskar Lafontaine. Die Bundestagsabgeordnete der Linken Sevim Dagdalen begründete in einer persönlichen Erklärung, warum sie gegen das Schäuble-Paket aus Solidarität mit der neuen Regierung in Griechenland stimmte:

Im heute dem Bundestag zur Abstimmung vorliegenden Antrag macht die Bundesregierung aber unzweifelhaft deutlich, dass sie die bisherige Erpressungspolitik gegenüber Griechenland nahtlos weiterbetreiben will... Indiskutabel und zynisch ist zudem, dass die Bundesregierung ihr Erpressungspotential dazu genutzt hat, um der griechischen Regierung in ihre Reformliste herein zudiktieren, dass sie sicherzustellen hat, dass „die Haushaltslage durch die Bekämpfung der humanitären Krise nicht beeinträchtigt wird.

Auch die Stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, Sarah Wagenknecht, lehnte die Fortsetzung der Troika-Politik unter anderem Namen ab und wollte sich solidarisch mit der griechischen Regierung erklären. Daher propagierte sie, wie mehrere andere Parteikollegen, die Stimmenthaltung. Andere Mandatsträger der Linken, wie deren wirtschaftspolitischer Sprecher Michael Schlecht, stimmten erstmals einem sogenannten Euro-Rettungsprogramm zu und begründeten das mit ihrer Solidarität mit der griechischen Regierung.

Allerdings ist nicht unwahrscheinlich, dass einige der Jasager damit auch ihre mögliche Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen wollten, was zumindest der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich immer wieder propagiert.

Bild-Zeitung setzt Pegida fort

Die Abstimmung wird die Debatte über Griechenland keineswegs beruhigen. Im Gegenteil ist von rechts das Anwachsen einer populistischen Stimmungsmache zu beobachten. Den Vorreiter machte wieder einmal die selbsternannte Apo von rechts, die in die Lücke springt, nachdem sich die unterschiedlichen Pegida-Fraktionen selber demontieren. Unter der Überschrift "Neue Milliarden für Griechenland – Wir sagen Nein“ ließen sich Bild-Leser fotografieren.

Die Unterzeile "Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen" ist ein Affront gegen die vielen Menschen in Griechenland, die in den letzten Monaten durch die Troika-Politik in Armut und Verelendung getrieben wurden und nur durch solidarische Selbsthilfestrukturen in Griechenland überleben können. Zudem kann die Bild-Aktion als eine Antwort auf die Forderungen aus Griechenland verstanden werden, dass Deutschland endlich die Schulden eines während der NS-Besetzung erpressten Kredites bezahlen soll. Die Bild-Aktion mit dem Slogan "Keine neue Milliarden nach Griechenland" kann durchaus als Fortsetzung der Pegida mit der Macht eines großen Boulevardblattes bezeichnet werden

Für Pegida im Bundestag sorgten bei der Debatte über die Griechenland-Abstimmung Parlamentarier wie der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch, der zu den 20 Unionsabgeordneten, die den Entwurf ablehnten, gehört: "Schauen Sie sich Tsipras und Varoufakis an: Würden Sie von denen einen Gebrauchtwagen kaufen? Wenn die Antwort Nein lautet, stimmen Sie heute mit Nein! Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!" (hier)

Es ist nicht verwunderlich, dass solche Töne in Griechenland auf Empörung stoßen, besonders, wenn sie aus Deutschland kommen. Schließlich wurde das Land von der deutschen Wehrmacht und ihren willigen Vollstreckern vor 70 Jahren ausgeplündert. Deshalb wächst sowohl in der Regierungspartei Syriza als auch in der außerparlamentarische Linken der Widerstand vor zu viel Kompromissbereitschaft der Regierung gegenüber dem deutsch-europäischen Block.

Bereits gestern gab es eine Demonstration der außerparlamentarischen Linken mit einem autonomen Block, die explizit gegen das EU-Diktat und nicht gegen die Regierung protestierte. Für Samstag hat die Kommunistische Partei Griechenlands ebenfalls eine Demonstration angekündigt. Sie hat die neue Regierung von Anfang beschuldigt, die Troika-Politik unter anderem Namen fortzusetzen.

Es ist ein wenig erstaunlich, dass eine Demonstration von einigen hundert Autonomen und der Aufruf einer Partei, die knapp 5 Prozent der Stimmen bekommen hat, von Kommentatoren des Deutschlandfunks als Anzeichen gewertet wurde, dass die griechische Regierung "unter Druck gerät". Bis vor einigen Monaten wurde über Aufmärsche der von Linksextremisten gesprochen. Doch, wenn es gegen die neue Regierung geht, will man die wohl mit ins Bündnis holen, wogegen die sich heftig verwahren würden. .

Warum müssen sich die Troika-Politiker nicht vor Gericht verantworten?

Bei soviel populistischer Stimmungsmache haben es Stimmen der Vernunft schwer, die es auch in politischen Kreisen gibt, die sich nicht explizit als links verorten würden. So hat sich der Schriftsteller Landolf Scherzer auf die Suche nach den Menschen gemacht, die als "gierige Griechen" diffamiert werden. Ein Buch mit seinen Reportagen wurde kürzlich veröffentlicht.

Zudem ist noch einige Tage auf der Arte-Videothek die Dokumentation "Troika - Macht ohne Kontrolle" zu sehen. Dort wird noch einmal nachgewiesen, dass die Troika ohne jegliche demokratische Legimitation ihre Diktate regelrecht erpresste. Dort wird auch aufzeigt, wie das Troika-Diktat gezielt zur Schwächung von Gewerkschaften und die Außerkraftsetzung von Tarifverträgen beigetragen und auch internationale Verträge verletzt hat.

Um die Troika-Politik jenseits von formalen Recht und Gesetz geht es auch in dem vor einigen Tagen angelaufenen Film "Wer rettet wen?" ,der deutlich macht, wie das Troika-Diktat nicht nur in Griechenland gegen viele gesetzliche Bestimmungen umgesetzt wird. Angesichts der in beiden Dokumentationen angeführten Gesetzesbrüche und Erpressungen stellt sich die Frage, ob Schäuble und Co. nicht auch deshalb so vehement auf ihren gescheiterten Programm beharren, weil sie wissen, dass sie sich unter Umständen für ihre Handlungen gerichtlich verantworten müssten, wenn das griechische Wahlergebnis Schule macht und sie ihre Macht verlieren.