Gebäude des "Sozialwerks" in Madrid geräumt

Das Zwangsräumungsdrama spitzt sich in Spanien weiter zu, weshalb die Regierung es nun vor den Wahlen mit Kosmetik versucht

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Erneut kam es am Mittwoch in der spanischen Hauptstadt zu dramatischen Szenen, als ein Gebäude geräumt wurde, in dem 20 wohnungslose Familien mit 13 Kindern ein Dach über dem Kopf gefunden hatten. Das "Sozialwerk" der "Vereinigung der Hypothekengeschädigten" (PAH) besetzte das Gebäude im Mai 2014, nachdem es fünf Jahre leer stand. Im Madrider Stadtteil "La Latina" wurde denen eine Bleibe geboten, die zuvor aus ihren Wohnungen geflogen sind, weil sie wegen Arbeitslosigkeit Hypotheken oder die Mieten nicht mehr bezahlen konnten.

Geschätzt wird, dass seit Beginn der Krise 2007 gut 400.000 Familien im spanischen Staat dieses Schicksal erleiden mussten. Spanien konkurriert weiter mit Griechenland um die Spitzenposition bei der Arbeitslosenquote.

Überraschend und ohne jede vorhergehende Aufforderung, das fünfstöckige Gebäude in der Toledo-Straße freiwillig zu verlassen, rückten am Mittwochmittag 50 Beamte der Nationalpolizei an und räumten die "Cava" (Kellerei). 46 Menschen wurden erneut obdachlos, darunter eine 70-jährige Frau. "Die Kinder kamen aus der Schule zurück und fanden ihre Habseligkeiten auf der Straße", berichtet das PAH-Mitglied Mercedes Revuelta. Miriam, eine der geräumten Bewohnerin, die ihre schwer kranke Schwester pflegt, steht mit dieser nun wieder auf der Straße. "Die Behörden haben mir keinerlei Angebot gemacht." Ihr gab die Polizei fünf Minuten, um ein paar Sachen zusammenzupacken. Zwischenzeitlich wurden derweil alle ehemaligen Bewohner der Cava bei PAH-Mitgliedern, Freunden und Nachbarn untergebracht.

Für die PAH ist klar, dass es keine Aufforderung gab, um eine breite Mobilisierung zu verhindern. Auch darüber werden immer wieder Räumungen verhindert. Nach eigenen Angaben wurde bisher 1135 Räumungen verhindert. Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verbietet sie bisweilen, wenn Kinder betroffen sind und eine Klage rechtzeitig eingereicht wurde. Straßburg unterscheidet dabei nicht, ob es sich um eine Besetzung, um eine Mietwohnung oder um die eigene Wohnung handelt. Wichtig ist, ob die Behörden eine Lösung bieten.

Denn meist machen die Behörden, wie bei den am Mittwoch geräumten Familien, keinerlei Ersatzangebote. Dabei garantiert die Verfassung in Artikel 47 allen Spaniern eine "menschenwürdige und angemessene Wohnung". Zudem hat auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg geurteilt, dass viele Räumungen schlicht illegal sind. Denn sie beruhen auf missbräuchlichen Klauseln in den Kreditverträgen, zudem machten es die spanischen Gesetze "unmöglich oder praktisch unmöglich", eine Zwangsräumung zu verhindern.

Nach eigenen Angaben hat die PAH über Besetzungen mehr als 2.500 Menschen untergebracht. Doch viele Gebäude sind von Räumung bedroht, auch der größte vom Sozialwerk besetzte Wohnblock im katalanischen Sabadell, wo 146 Personen – davon 58 Kinder – wohnen. Dieses Gebäude gehört wie viele von der PAH besetzte Gebäude der staatlichen Bad Bank. Banken, die mit Steuermilliarden gerettet wurden, haben toxische Werte aus der Immobilienblase darüber auf die Steuerzahler abgewälzt.

Zwangsräumungen und Hypothekenverfahren steigen weiter an

Ohne Ankündigungen zu räumen, macht offenbar in Madrid vor den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai Schule, um sie möglichst still und ohne großes Aufsehen durchzuziehen. "In der vergangenen Woche wurden drei Familien brutal im Stadtteil Tetuán geräumt und das Haus sofort abgerissen", erklärt die PAH. Da die Behörden weiter keine Wohnungen anbieten, bleibe kein anderer Weg, als erneut zu besetzen, kündigte sie neue Besetzungen an. Allein in Madrid stehen fast 300.000 Wohnungen leer, fast zehn Prozent des Bestands.

Während der konservative Regierungschef Mariano Rajoy vor den Parlamentswahlen im Herbst trotz eines schwachen Wachstums und der nur leicht fallenden Arbeitslosigkeit verkündet hatte, die Krise sei vorbei, kommt auf immer mehr Familien das Drama einer Zwangsräumung zu. Das Statistikamt (INE) hat ermittelt, dass die Zahl der Betroffenen weiter steigt. Knapp 35.000 Familien wurden 2014 geräumt, weil sie ihre Kredite nicht mehr bezahlen konnten. Mieter, die aus ihren Wohnungen geworfen wurden, oder die Räumung besetzter Häuser fließen in diese Statistik nicht ein.

Und der Propagandameldung davon, dass Spanien auf dem Weg der Besserung ist, steht klar entgegen, dass die Zahl aller 2014 eingeleiteten Hypothekenverfahren gegenüber dem Vorjahr um 9,3 Prozent auf 120.000 stieg. Besonders beachtlich ist, dass die Zahl der Betroffenen, bei denen es um ihren Hauptwohnsitz handelt, im letzten Quartal 2014 gegenüber dem Vorquartal sogar um knapp 30 Prozent gestiegen ist und 2,4% höher lag als im Vorjahr. Die Räumungswelle wird nicht kleiner, sondern größer.

"Gesetz der zweiten Chance"

Im Wahlkampf kommt nun auch die konservative Volkspartei (PP) noch mit eiligen Gesetzesänderungen. Sie will nun eine Light-Version der Restschuldbegleichung einführen, wie sie zum Beispiel in den USA oder Frankreich üblich ist.

In Spanien bleiben Familien nach ihrer Räumung meist auf enormen Restschulden sitzen. Die Bank übernimmt die Wohnung meist nur zu 50% des Schätzwerts, der in ihrem Auftrag bei der Kreditvergabe ermittelt wurde. Die Familien haben dann keine Wohnung mehr, aber weiter hohe Schulden. Nachdem die Konservativen die Volksinitiative abgelehnt hatte, die eine Restschuldbefreiung vorsah, die auch das Europaparlament von Spanien gefordert hatte, will sie nun schnell ein "Gesetz der zweiten Chance" einführen.

Doch es sieht keine allgemeine Restschuldbefreiung vor, auch wenn die Regierung das praktisch so verkauft. Nur ein kleiner Teil der Familien wird tatsächlich in Zukunft von Restschulden befreit. Die Regierung schließt die überwiegende Mehrheit aus, um die "Stabilität der Banken" nicht zu gefährden. Womit klar ist, dass die bisherige Praxis eine weitere Bankenrettung war, für die Spanien auch unter den Rettungsschirm gehen musste.

Vorgesehen ist, dass zunächst alles Pfändbare gepfändet werden muss und dazu eine Privatinsolvenz vorliegen muss. Nur auf diese Fälle soll das Gesetz dann auch rückwirkend anwendbar sein. Doch weil eine Privatinsolvenz in Spanien praktisch unbekannt ist, es gibt nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag auf Spanisch dazu, haben sie 2014 nur 614 Menschen in Anspruch genommen. Seit Krisenbeginn sind es nur gut 5.000. Da zusätzlich noch als Kriterium gelten soll, dass der Betroffene innerhalb von vier Jahren keinerlei Jobangebot abgelehnt haben darf, dürften nur sehr wenige Menschen tatsächlich von Restschulden befreit werden, meint auch Eldiario.es.

Realsatire kann man es allerdings nennen, wenn die Sozialdemokraten nun fordern, dass eine Million Menschen von einer Restschuldbegleichung profitieren sollen. Denn die PSOE hat bis Ende 2011 regiert und nichts in diese Richtung unternommen. Es ist klar, dass dies ihrer Angst vor der Empörten-Partei Podemos (Wir können es) geschuldet ist, die nach Umfragen die Parlamentswahlen im Herbst wie Syriza in Griechenland gewinnen soll, während die Sozialdemokraten sogar auf den dritten oder vierten Rang zurückfallen könnten.