Sind Hautfarbe und die Religion doch entscheidend?

Im Wissenschaftsbetrieb, aber auch in der Politik scheint man darauf nicht verzichten zu wollen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Forschungsgruppe Black Knowledges an der Universität Bremen löste sich vor einigen Wochen auf und verband diesen Schritt mit einer gravierenden Selbstkritik: Mit dem Ziel gegründet, "Forschung und Debatten über weiße Versklaverei und anti-Blackness innerhalb der Wissenschaft sowie der Gesellschaft als ganzer voranzutreiben" sei sie eher "ein Teil des Problems des Rassismus …" statt ein Teil sein der Lösung“ geworden.

Als letzten Akt bekannte sich die Forschungsgruppe am Ende noch mal zur antirassistischen Diversität in der Einstellungspolitik und im Bereich der Nachwuchsförderung sowie natürlich für die Weiterführung der Debatte.

Diese doch sehr zahmen Reformforderungen stehen im merkwürdigen Gegensatz zur wortgewaltigen Selbstkritik. Wieso ist man eher Teil des Problems als der Lösung, wenn man antirassistische Diversität fordert. Tatsächlich geht auch aus dem Papier nicht hervor, welche Probleme eigentlich vorlagen und warum sie so gravierend wurden, dass man sich auflöste. Noch im Sommer 2014 ging die Forschungsgruppe viel souveräner mit der Kritik um. In einer Stellungnahme hieß es, dass in der Gruppe weiße Mehrheitsdeutsche vertreten seien und man die Kritik an der Zusammensetzung und wissenschaftlichen Ausrichtung der Gruppe dankend zum Anlass nehme, weiter über die Problematiken und Herausforderungen von Forschung im Kontext der Black (Diaspora) Studies nachzudenken.

Nur Stellen für weiße Wissenschaftler?

Den Ausschlag für die Auflösung dürfte ein von Wissenschaftlern und Künstlern aus verschiedenen europäischen Ländern und den USA verfasstes Schreiben gegeben haben. Es wendet sich gegen ein mittlerweile abgelehntes Forschungsvorhaben an der Bremer Universität mit dem Titel: "New Black Diaspora Studies: Ethische und ästhetische Herausforderungen des 21. Jahrhunderts". Dieses Vorhaben wird als Versuch bezeichnet, Stellen für weiße Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu schaffen, während Schwarze die schlecht bezahlte Zuarbeit leisten müssen.

Die unterzeichnenden Personen fordern eine grundlegende Neukonzeption des Forschungsvorhabens und eine transparente Untersuchung, wie es überhaupt zu den abgelehnten Plänen kommen konnte. So richtig die Kritiker der Forschungsgruppe das Nichtvorhandensein von Schwarzen kritisieren und problematisieren, ob da Unterdrückungsverhältnisse einfach fortgesetzt werden, so unklar ist die Frage, ob es wirklich ausreicht, genügend Schwarze in die Kommission zu bekommen.

Das Insistieren auf die "richtige" Hautfarbe, das "richtige" Geschlecht etc. kann ein taktisches Mittel sein, um Diskriminierungen zu bekämpfen. Doch darf die universalistische Perspektive nicht aus den Augen verloren werden, die darin bestehen müsste, Verhältnisse zu schaffen, in denen die Frage nach der Hauptfarbe, dem Geschlecht, der Religion, der Nation etc. überflüssig werden. Genau diese Perspektive wird auch bei den Kritikern des Forschungsvorhabens nicht gestellt.

Antisemitismus-Kommission ohne Juden

Doch nicht nur im Wissenschaftskontext wird wieder verstärkt auf Hauptfarbe, Religion und Nation rekurriert. So entbrannte in der Politik eine Polemik, weil in der Antisemitismus-Kommission des Innenministeriums kein Experte jüdischen Glaubens zu finden war. Das sei "ein einzigartiger Skandal" wird der Leiter des Potsdamer Moses Mendelsohn Zentrums Julius Schoeps zitiert. Doch man versteht nicht recht, worin der Skandal bestehen soll. Der wäre doch nur gegeben, wenn jüdische Experten expliziert ausgeschlossen würden.

Sollte aber bei der Konstituierung des Gremiums die Frage der Religion einfach keine Rolle gespielt haben, wäre es doch eher ein Ausweis der dringend notwendigen Erkenntnis, dass der Antisemitismus eben nicht vor allem und in erster Linie das Problem der Juden ist. Es ist vor allem das Problem aller Menschen.

Zudem ist die Annahme, dass ohne jüdische Experten die Sicht der Betroffenen fehlte, zumindest aus einer universalistischen Perspektive fragwürdig. Antisemitismus muss danach als Angriff auf alle Menschen gewertet werden. Durch die Konzentration auf die fehlenden jüdischen Experten, droht gerade diese Erkenntnis wieder verschüttet zu werden.