Schweizer Geheimdienst soll als "Mini-NSA" den Finanzplatz schützen

In der Schweiz soll der Geheimdienst stark ausgeweitete Kompetenzen erhalten. Er soll Telefone, Computer und Netzwerke anzapfen sowie Privaträume verwanzen können. Das neue Nachrichtendienstgesetz hat die erste wichtige Hürde genommen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 116 Kommentare lesen
Schweizer Geheimdienst soll als "Mini-NSA" den Finanzplatz schützen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tom Sperlich
Inhaltsverzeichnis

Mit 119 zu 65 Stimmen bei 5 Enthaltungen hat der Nationalrat, die große Kammer des Schweizer Parlaments, am Dienstag das neue Nachrichtendienstgesetz angenommen, mit dem "Ziel, die Handlungsfreiheit der Schweiz in der veränderten strategischen Lage zu verbessern", so ein Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates (SiK-NR). Tritt das Gesetz in Kraft, sollen die Kompetenzen des Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB) stark ausgebaut werden, so dass dieser bisher rechtlich nicht zugelassene "Informationsbeschaffungsmaßnahmen" durchführen kann.

Bereits seit bald sieben Jahren drehen sich die Debatten darum: Seinerzeit wollte die Schweizer Regierung, der Bundesrat, ein neues Nachrichtendienstgesetz (NDG), vom Parlament verabschieden lassen, nur dass ein Entwurf des Bundesrats in 2008 bereits von einer vorberatenden Kommission des Nationalrates abgelehnt wurde. Diesmal gab es aber nur bei den Grünen eine generelle Ablehnung des Gesetzes. Sie erachten die heutigen Kompetenzen als ausreichend, "um Risiken vorzubeugen und Terrorismus-Bedrohungen frühzeitig zu erkennen".

Anders sehen das inzwischen beispielsweise die Nationalräte der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Diese hatten 2008, wie die der Grünen und die der Sozialdemokratischen Partei (SP) die damalige Revision des NDG abgelehnt. Anders diesmal: Bis auf zwei Abweichler stimmte die SVP für das neue Nachrichtendienstgesetz. Bei der SP hatte sich vorab die Mehrheit der Fraktion grundsätzlich für eine Gesetzesrevision ausgesprochen, ihre Zustimmung aber vom Ausgang der Beratungen abhängig gemacht. Weil die SP mit ihren Änderungsanträgen durchwegs scheiterte, lehnte sie schließlich (mit einer Ausnahme) die Gesetzesvorlage ab. Auch die Grünliberalen wollten das neue Gesetz nicht mittragen.

Vorausgesetzt, dass am Ende auch die zweite kleine Kammer des Parlaments, der Ständerat, dem Gesetz zustimmt, können die Geheimdienstler künftig, Überwachungen des Post- und Telefonverkehrs durchführen, Überwachungsgeräte einsetzen (etwa Wanzen) um Gespräche abzuhören und aufzuzeichnen und Ortungsgeräten einsetzen, um Personen oder Objekte zu suchen. Außerdem wäre ihnen erlaubt Räumlichkeiten, Fahrzeugen und Ähnliches zu durchsuchen, sowie in Computersysteme und Computernetzwerke einzudringen. So sollen nicht nur Informationen beschafft werden, sondern auch der Zugang zu Informationen gestört, verhindert oder verlangsamt werden, falls die Computersysteme für Angriffe auf kritische Infrastrukturen verwendet werden. Für die Überwachung darf der Geheimdienst dann auch Fluggeräte und Satelliten einsetzen.

Außerdem soll der Bundesrat auf der Grundlage des NDG dem Nachrichtendienst in "besonderen Lagen" zusätzliche Aufgaben übertragen können, die über den eigentlichen Staatsschutzauftrag hinausgehen. Dazu zählen die Unterstützung der Schweizerischen Außenpolitik oder wenn anderweitig "wesentliche Landesinteressen" berührt werden, beispielsweise zum Schutz des Werk-, Wirtschafts- und Finanzplatzes Schweiz. Gegner dieses Passus kritisierten, dass dafür die Grundlage in der Bundesverfassung fehle.

Genehmigt wurde vom Nationalrat auch die sogenannte "Kabelaufklärung". Dies würde dem Nachrichtendienst erlauben, grenzüberschreitende Signale aus Internetkabeln zu erfassen. Damit, so spekulieren Schweizer Medien bereits, "könnte ins Visier des Nachrichtendienstes geraten, wer bestimmte Begriffe googelt oder in E-Mails erwähnt". Der Nationalrat der Grünen Balthasar Glättli wollte diesen Gesetzesartikel streichen, denn er bedeute, "dass unser Nachrichtendienst Mini-NSA spielen darf".

Der politisch Verantwortliche für den NDB, der Verteidigungsminister Ueli Maurer (SVP) sagte, der Vergleich mit der NSA sei "völlig abwegig", allein mit dem Blick auf den Personalbestand. Der Nachrichtendienst dürfe außerdem die erfassten Signale nicht verwenden, wenn sich der Sender und der Empfänger in der Schweiz befänden. Überhaupt müsse er das Bild korrigieren, das man vom Nachrichtendienst zeichne, erklärte Maurer in der Debatte. Im Nachrichtendienst arbeiten ganz normale Bundesbeamte, so Maurer und keine Geheimdienstlern mit Schlapphüten. "Es sind ehrenwerte, biedere Bundesbeamte, die ihren Auftrag erfüllen, nichts anderes." Und es seien nicht ehrenwerte Bürger, die überwacht werden sollten, sondern Personen, die die Sicherheit der Schweiz gefährdeten.

Und bei jedem Einzelfall müssten sowohl er persönlich als auch das Bundesverwaltungsgericht und der Sicherheitsausschuss des Bundesrates Informationsbeschaffungsmaßnahmen zustimmen, so Maurer. Sollte aber eine die Manipulation von Computern im Ausland nötig sein, entscheidet die Regierung selbst, kann das aber an den Verteidigungsminister oder den Nachrichtendienst-Chef delegieren.

Kritikern an dem Gesetz entgegnete Bundesrat Maurer bereits, dass er nur mit rund zwölf Überwachungsfällen pro Jahr rechne. Dies veranlasste den Nationalrat der Grünen, Daniel Vischer, geplante Gesetzesbestimmungen für zwölf Personen zu kritisieren. Dieser Aufwand lohne sich nicht. Und: "Wer garantiert Ihnen dann, dass Sie die richtigen zwölf Personen überwachen? Entweder wenden Sie dieses Gesetz wirklich an – dann müssen Sie Hunderte überwachen, oder sonst nützt es nichts." Genau dann sei man aber mit dem neuen Gesetz "in dem Bereich angelangt, wo das Gesetz nicht mehr verhältnismäßig angewendet werden kann".

Verschiedene Grüne haben bereits klar gemacht, dass sie das Referendum ergreifen werden, falls der Ständerat das Nachrichtendienstgesetz nicht massiv korrigiere. Dann könnte am Ende – eine ausreichende Zahl gesammelter Unterschriften vorausgesetzt – die Bevölkerung der Schweiz darüber entscheiden. (mho)