Antiquierte Familienbilder und kostenlose Verhütungsmittel für ALG-II-Bezieherinnen

Außer Kontrolle

Die christlich-soziale Union (CSU) will sich für die kostenlose Pille für ALG-II-Bezieherinnen einsetzen. Was sich auf den ersten Blick sinnvoll anhört, offenbart jedoch ein rückständiges Frauen- und Familienbild.

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Der Regelsatz laut SGB II enthält keinen Posten, der sich explizit auf Verhütungsmittel bezieht. Er enthält jedoch einen monatlichen Betrag für Medikamente. Von den monatlich gezahlten 399 Euro für Alleinstehende sind derzeit 17,66 Euro monatlich für Gesundheitspflege angedacht; hierunter fallen sowohl allgemeine Pflegeprodukte wie Zahnpasta, Seife oder Monatshygieneartikel als auch nicht verschreibungspflichtige Medikamente, die Praxisgebühr sowie etwaige Verhütungsmittel.(Korrektur vom 24.3.2015 - die Praxisgebühr wird seit Beginn des Jahres 2013 nicht mehr erhoben.)

Um diesen letzten Punkt hat sich seit langem schon eine Diskussion an der Frage entzündet, ob diese nicht auch - wie z.B. bestimmte Medikamente bei chronischen Krankheiten - von den Transferleistungsträgern gezahlt werden sollten. Befürworter argumentieren damit, dass diese Kosten beim sozio-kulturellen Existenzminimum mit einfließen sollten - nicht zuletzt auch, um die Anzahl der Abtreibungen, die nach fehlender Verhütung stattfinden, zu reduzieren, ohne dass die ALG-II-Bezieher diese Prävention/Verhütung durch den bisherigen Regelsatz selbst finanzieren müssen. Kritiker wenden ein, dass Verhütung auch zu günstigen Tarifen möglich und Privatsache sei, dass ja auch Sexualpartner dafür zuständig sein können, die kein ALG II beziehen und damit über mehr Gelder verfügen.

Einzelne Landkreise sind mittlerweile dazu übergegangen, die Kosten für Verhütungsmittel zu übernehmen nachdem die Jobcenter hierzu grünes Licht gaben. "Grünes Licht" bedeutet in diesem Falle, dass zugesichert wurde, dass die übernommenen Kosten nicht vom Regelsatz abgezogen werden würden.

Die CSU ist nunmehr auf den Zug aufgesprungen und will sich für kostenlose Verhütungsmittel für ALG-II-Bezieher einsetzen. Doch die Partei würde ihrem Profil nicht entsprechen, würde sich hinter diesem (auf den ersten Blick wohlmeinenden) Vorschlag nicht ihr konservatives Weltbild offenbaren:

Es sollen nämlich nicht alle ALG-II-Bezieher kostenfreie Verhütungsmittel erhalten, sondern lediglich die weiblichen. Dass die Frauen-Union der CSU diesen Vorschlag zu nächst machte, zeigt auch deren konservativ-biederes Bild der Frau, die grundsätzlich für Verhütung zuständig ist, während die männliche Seite der Familienplanung ausgeklammert wird.

Die Parteispitze sieht in dem Vorschlag Anlass zur Kritik weil die CSU ja eine familienorientierte Partei sei. Die Konzentration der Familienplanung auf Frauen wird nicht weiter thematisiert. Noch weniger wird kritisiert, dass nicht einmal alle Frauen, die ALG II beziehen, kostenfrei Verhütungsmittel erhalten sollen, sondern lediglich jene, die jünger als 27 Jahre sind.

Warum Frauen über 27, die ALG II erhalten, hier anders behandelt werden sollen, erschließt sich nicht. Entweder geht die CSU davon aus, dass es keine Frauen über 27 gibt, die ALG II beziehen - oder man meint, dass Frauen ab 27 nicht mehr sexuell aktiv seien. Beides ist kaum nachvollziehbar.