Lässt sich Tsipras in die deutsche EU einbinden?

Ein Problem des Konflikts ist, dass er personalisiert wurde

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Evangelos Antonaros ist in Deutschland ein gefragter Interviewpartner, wenn es um die griechische Innenpolitik geht. Der Politiker der im Januar abgewählten konservativen Partei Neue Demokratie hat schließlich immer das gesagt, was der Mainstream in Deutschland hören will: Griechenland muss sich den Vorgaben der EU, respektive Deutschlands anpassen.

Immer wieder mahnte er über Deutschlands Sender die griechische Regierung, schneller zu privatisieren und noch mehr Schulden abzubauen, also die Hausaufgaben der Troika besonders eifrig zu erfüllen. Besonders seit der Regierungsübernahme von Syriza wurde Antonaros zum Dauersprecher jener germanophilen Schicht in Griechenland, die lauthals bedauert, dass Deutschland nun zum Feindbild gemacht wird und dafür sogar Rückhalt in der Bevölkerung Griechenlands hat. Doch nach dem Tsipras-Besuch im letzten Monat hatte, gibt sich Antonaros im Deutschlandfunk-Interview versöhnlich gegenüber seinen politischen Kontrahenten. Es sei die Zeit des Kompromisses gekommen, erklärt er.

Lose Kooperation der proeuropäischen Kräfte?

Nun müsse eine lose Allianz der proeuropäischen Kräfte mit Tsipras geschmiedet werden. Gegen wen sich die richten würde, ist für Antonaros klar:

Man muss ihn ermutigen, flexibler zu sein, damit er auch in der Lage sein wird, gegenüber dem linken Flügel innerhalb seiner Partei die Schlachten zu gewinnen, die es zu gewinnen gibt.

Damit würde er zeigen, dass er nicht mehr im Wahlkampfmodus, sondern in der Realität angekommen ist. Was Deutschlands Mann in Athen verkündet, kann man seit Ende Januar jeden Tag in der FAZ oder in den Erklärungen von Unionspolitikern lesen. Für die ist der Wahlsieg von Tsipras in Griechenland nicht etwa Anlass, darüber nachzudenken, ob die EU-Diktate in manchen Ländern vielleicht demokratisch nicht mehr durchgesetzt werden können.

Die einzige Sorge dieser Kreise war vielmehr, wie geht Tsipras und die Syriza-Führung mit der Realität um, die nach dieser Lesart heißt, im von Deutschland dominierten EU-Raum gibt es keine Möglichkeit, eine Politik auf demokratischen Weg umzusetzen, die die Belange der großen Mehrheit der unter dem Troika-Diktat leidenden Menschen stärker in den Mittelpunkt stellt. Der nicht von Syriza, aber der spanischen Podemos kreierten Parole "Ein anderes Europa ist möglich" setzen sie ein klares Nein entgegen.

Bad Cop Schäuble

Die Auseinandersetzung der letzten Wochen waren davon geprägt, dass vor allem Wolfgang Schäuble als Bad Boy gegenüber jedem Veränderungswünsch in Europa auftrat und mehrmals deutlich machte, dass er einen Grexit nicht ausschloss und dass der ihm sogar vielleicht gar nicht unwillkommen war. Schäuble eignet sich nicht von ungefähr gut für diese Rolle als Pate der Troikapolitik, die selbst nach den eigenen Regeln der EU und ihrer Staaten illegal ist.

Es ist schon etwas in Vergessenheit geraten, dass Schäuble tief verstrickt in die Spendenaffäre der Kohl-Ära war, was ihm alle Ambitionen auf das Bundeskanzleramt kostete. Er musste aber in die Regierungspolitik eingebunden werden, weil er einfach zu viel wusste und damit die Union hätte in Verlegenheit bringen können.

Bei der Bundespressekonferenz zur Konstituierung der schwarz-gelben Bundesregierung gab es kritische Fragen eines ausländischen Journalisten, was den in die Spendenaffäre verstrickten Schäuble für das Finanzministerium qualifiziert. Darauf reagierten Merkel und Westerwelle wütend und verweigerten die Antwort. Ein solcher Mann eignet sich besonders gut für die Rolle des Bad Cops, der renitente EU-Staaten und ihre Wähler auf Linie bringen kann.

Als sich in den letzten Tagen aber zeigte, dass die griechische Regierung innenpolitisch an Zustimmung gewinnt, wenn sie sich gegen Deutschland behauptet, kamen vor allem aus den USA Warnungen. So könnte man am Ende Griechenland aus der EU vertreiben und das Land wendet sich wegen weiterer Kredite an Russland. Das wäre für viele US-Strategen ein GAU. Daher machte Merkel die Griechenlandfrage zur Chefsache und verwies den Bad Cop Schäuble vorerst auf die Reservebank.

Reaktiviert kann er jederzeit wieder werden, wenn sich zeigen sollte, dass sich die griechische Regierung auch durch eine Sympathiewerbung des Good Cop nicht von ihren Wahlzielen abbringen lässt oder einfach darauf hinweist, dass das Herstellen von Vertrauen zwischen gewählten Regierungsvorstehern gerade nicht heißt, dass man seine Ziele vergisst. Denn das Problem zwischen den Regierungen von Deutschland und Griechenland besteht nicht darin, dass zwei Regierungschefs einander nicht verstehen oder keine gemeinsame Basis entwickelt haben. Mit solchen Thesen wird nur die reaktionäre Politikvorstellung reaktiviert, dass große Männer und heute auch Frauen Geschichte schreiben respektive Politik machen und die Bevölkerung höchstens an der Wahlurne ihre Stimme abgeben soll und dann nichts mehr zu sagen hat.

Der eigentliche Kern des Problems zwischen den Regierungen Deutschlands und Griechenlands besteht vielmehr darin, dass in Griechenland eine Regierung gewählt wurde, die die Austeritätspolitik beenden soll, die von der Regierung in Deutschland formuliert und bis heute eisern verteidigt wird. Hier muss über Interessenunterschiede und unterschiedliche politische Konzepte geredet werden. Stattdessen aber wird daraus eine Personalshow, in der zwei Personen Vertrauen aufbauen sollen.

Mit einer solchen Strategie wird ein politischer Konflikt personifiziert, der längst nicht nur zwischen Deutschland und Griechenland besteht. Für die deutsche Regierung gab es vor allem das Problem, dass auch die Menschen in anderen Ländern der europäischen Peripherie sich mit den Anliegen der neuen griechischen Regierung solidarisieren könnten. Die große Teilnahme von Menschen aus Spanien und Italien am Blockupy-Aktionstag in der letzten Woche könnten Merkels Berater durchaus als Menetekel verstanden haben.

Die europäischen Opfer der Austeritätspolitik könnten nun auf die Idee kommen, öfter in dem Land zu protestieren, das im EU-Raum die meisten Machtmittel hat. Nur könnten sie dann nicht mehr zur Europäischen Zentralbank, sondern gleich zum Bundeskanzleramt ziehen. Doch für die griechische Regierung ergibt sich ein größeres Dilemma. Mag auch die Bevölkerung in Spanien zunehmend gegen die Austeritätspolitik agieren, die amtierende konservative Regierung wird alles tun, um zu verhindern, dass die neue Podemos-Partei stärker wird und unterstützt gerade deshalb den Kurs der deutschen Austeritätspolitik.

Zudem haben Tsipras und Co. einen taktischen Fehler gemacht, dass sie sich bedingungslos für ein Verbleiben in der EU-Zone aussprachen. Gerade dadurch setzten sie sich selber unter Druck und erweckten auch in der Bevölkerung falsche Erwartungen. Taktisch klüger wäre es gewesen, sie hätten ihren Willen in der EU-Zone zu verbleiben, an Bedingungen geknüpft, dass die Austeritätspolitik gelockert wird und sich die Option eines Ausscheidens nicht als Niederlage, sondern als Ergebnis von Kämpfen offengehalten.

Dabei hätten sie mittels Referenden die Bevölkerung mit einbeziehen und so zeigen können, dass auch dort die EU-Mitgliedschaft nicht bedingungslos verteidigt würde. Damit hätten sie auch Teile der Linken in Griechenland ansprechen können, die wie die Kommunistische Partei, aber auch der linke Syriza-Flügel von Anfang an der Meinung waren, innerhalb der EU gäbe es keine Alternative.

Deutsches Gold nach Griechenland?

Die Bundesregierung versuchte auch beim Tsipras-Besuch den Eindruck zu erwecken, dass die Forderungen nach Rückzahlung des deutschen Kredites aus der NS-Zeit sowie nach Entschädigungen und Reparationen kein Thema wären. Merkel bedauerte das Leid für die Opfer der deutschen Politik betonte aber, dass die Kasse zubleibt.

Dass die Nachfolger der Täter darüber entscheiden, ist ein Affront für die Opfer und ihre Nachkommen. Dazu gehört David Saltiel, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde von Thessaloniki. Auf die Frage nach den Forderungen nach Reparationen und Entschädigungen erklärte er in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen:

Sie sind mehr als berechtigt. Auf jeden Fall soll die Zwangsanleihe, die sich Deutschland 1942 von der griechischen Notenbank hat auszahlen lassen, endlich zurückgegeben werden. Die beläuft sich mittlerweile auf mehr als zehn Milliarden Euro.

Auf die Frage, welche Entschädigungsforderungen die griechischen Juden haben, erwiderte Saltiel:

Wenigstens die Fahrkarten sollte die Regierung in Berlin uns erstatten, die wir 1943 haben lösen müssen. Den Juden aus Thessaloniki war von den deutschen Besatzern gesagt worden, sie müssten sich Zugtickets kaufen, auf sie warte woanders eine gute Zukunft. Das waren 50.000 Menschen, von denen die meisten nach Auschwitz deportiert wurden.

Die Forderungen der griechischen Regierung sind allzu berechtigt. Allein in Deutschland gibt es kaum noch politische Initiativen, die sich mit den Entschädigungszahlungen für deutsche Verbrechen beschäftigten und Druck aufbauen können. Der AK Distomo, benannt nach einem der zahlreichen deutschen Verbrechensorte in Griechenland, gehört zu den Ausnahmen.

Zu den Ankündigungen, deutsches Eigentum in Griechenland zu beschlagnahmen, wenn Deutschland seine Schulden nicht bezahlt, heißt es in einer Erklärung des Arbeitskreises:

Der AK Distomo sieht in der Ankündigung der Zulassung der Vollstreckung von rechtskräftig bestehenden, individuellen Entschädigungsansprüchen kein Affront gegen Deutschland, sondern einen Akt der Gerechtigkeit und eine Warnung an heutige Kriegstreiber, dass Völkerrechtsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit nicht mit noch so gefälligen Worten erledigt werden können, sondern der Schädiger – so mächtig er inzwischen sein mag – auch finanziell für das angerichtete Unrecht gerade stehen muss und das auch noch nach 70 Jahren.

Der Hamburger Historiker Karl-Heinz Roth macht in einem demnächst erscheinenden Buch mit dem Titel "Die deutsche Reparationsschuld" noch weitere Vorschläge, wie Deutschland seine Schulden an Griechenland bezahlen kann.

Wir schlagen vor, diese Schulden durch den Transfer eines erheblichen Teils der Goldreserven der Deutschen Bundesbank zu begleichen. An die griechische Zentralbank sollten erstens Goldbarren im Wert von sieben Milliarden Euro zur Finanzierung des Not- und Soforthilfeprogramms der griechischen Regierung versandt werden. Eine zweite Goldlieferung im Gegenwert von 28 Milliarden Euro sollte dem Euro-Rettungsschirm zur Verfügung gestellt werden, um den deutschen Anteil an einer 50prozentigen Abschreibung der griechischen Staatsschulden abzudecken. Eine dritte Goldlieferung im Wert von 25 Milliarden sollte an die Europäische Investitionsbank (EIB) transferiert und von dieser als zinsfreies und nicht rückzahlbares Darlehen an eine neu zu gründende griechische Wiederaufbaukreditanstalt weitergeleitet werden, die anschließend ein Jobgarantie- und Wiederaufbauprogramm mit dreijähriger Laufzeit auflegen könnte. Schließlich sollte die Bundesbank weitere Goldbarren im Gegenwert von acht Milliarden Euro verkaufen und den Erlös einem neu zu gründenden griechischen Entschädigungs- und Gedenkfonds zur Verfügung stellen. Aus diesem Fonds könnten dann die Nachkommen der Massaker- und Geiselmordopfer entschädigt, die lokalen Gedenkstätten ausgebaut und ein zentrales Forschungsinstitut zur Geschichte der Okkupation, des Widerstands und des Bürgerkriegs gegründet werden.“

Solche Vorschläge können wohl erst dann Realität werden, wenn die deutsch dominierte EU-Zone in eine grundlegende Krise gerät.