China: Globalisierung 2.0

Die Volksrepublik steigt in den Kreis der großen Kapitalexporteure auf

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Die Investitionen chinesischer Unternehmen und Anleger in Westeuropa würden "in die Höhe schießen", stellte kürzlich der EU Observer fest. Die Europäische Union sei für das Land der Mitte inzwischen noch vor den USA der wichtigste Technologiepartner und die Beziehungen seien nicht länger einseitig von den Aktivitäten europäischer Konzerne in China geprägt. Investitionen fließen inzwischen auch in die andere Richtung reichlich. Im vergangenen Jahr hätten chinesische Unternehmen umgerechnet 18 Milliarden US-Dollar in den 28 EU-Mitgliedsländern investiert – eine Rekordsumme und eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr.

Man mag dabei spontan an den schwächelnde Euro denken, doch dessen Kursverfall begann erst Mitte letzten Jahres. Seitdem hat er gegenüber dem chinesischen Yuan fast 25 Prozent verloren, was den chinesischen Appetit sicherlich vergrößern wird. Allerdings steigen die chinesischen Investitionen schon seit längerem. Insbesondere seit dem Beginn der Finanzkrise 2008 haben sie einen regelrechten Satz nach oben gemacht.

Andernorts bietet sich ein ähnliches Bild. In Russland nehmen die chinesischen Investitionen ebenfalls zu, berichtet der US-amerikanische Wirtschaftsnachrichtenndienst CNBC. 5,2 Milliarden US-Dollar will die Volksrepublik zum Beispiel in den Ausbau einer Hochgeschwindigkeitseisenbahn zwischen Moskau und Kasan stecken. Derweil ist die Volksrepublik in Afrika längst die Nummer Eins unter den ausländischen Investoren und in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft sowieso: In Südkorea schießen Chinas Investitionen in die Höhe, titelt die in Hongkong erscheinende South China Morning Post.

Neben dem raschen Anwachsen des chinesischen Kapitalexports ist auch die Richtung interessant, in die dieser verstärkt fließt. Das Wall Street Journal schreibt dieser Tage, dass Chinas Staatsfonds CIC (China Investment Corporation) sein Engagement mehr in die Schwellenländer verlagern will. Devisen im Wert von 653 Milliarden US-Dollar werden vom CIC verwaltet. Dazu passt, dass China seit 2010 für die Entwicklungsländer ein größerer Kreditgeber als die Weltbank ist.

Im vergangenen Jahr hat die Volksrepublik 102 Milliarden US-Dollar in anderen Ländern investiert. Das World Resource Institute zitiert Regierungsstatistiken, wonach 13 Prozent davon nach Lateinamerika, acht Prozent nach Europa und je vier Prozent nach Nordamerika und Afrika flossen. Der Löwenanteil von 68 Prozent sei hingegen in Asien angelegt worden und zwar zu einem großen Teil in Hongkong. Das ist allerdings irreführend, wie das WRI anmerkt, denn nicht selten spielt der zur Volksrepublik gehörende autonome Stadtstaat nur die Rolle des Vermittlers. Das Kapital werde über Hongkonger Firmen im Ausland investiert. Ein Vergleich mit den oben zitierten Zahlen für die EU zeigt, dass deren Anteil am Kuchen eher 18 statt acht Prozent betragen haben muss. Mit anderen Worten: Die offiziellen chinesischen Statistiken sind nicht besonders aussagekräftig in Hinblick auf die Zielländer.

Wie dem auch sei, die Taschen chinesischer Unternehmen, staatlicher wie privater, sind nach Jahren schnellen Wachstums prall gefüllt, und der Kapitalexport nimmt rasch an Umfang und Bedeutung zu. Ein Umstand, dessen sich die Regierung in Beijing bewusst ist und den sie offensichtlich zu nutzen und zu steuern gedenkt.

Die Nachrichtenagentur Xinhua berichtete Ende letzter Woche von einem hochrangigen Symposium, an dem diverse Minister und die Führungen wichtiger staatlicher Betriebe teilnahmen. Demnach gab Ministerpräsident Li Keqiang dort bekannt, dass künftig in vielen Bereichen Auslandsinvestitionen nicht mehr genehmigungs-, sondern nur noch anmeldepflichtig sind. Chinesische Banken sollen des weiteren ermuntert werden, im Ausland Niederlassungen zu eröffnen. Außerdem können Schlüsselprojekte mit finanzieller Unterstützung der Regierung rechnen, die auf diesem Wege ihren Devisenschatz von umgerechnet über vier Billionen US-Dollar besser streuen will.

Li betonte vor allem den Aufbau von Infrastruktur. Viele sich industrialisierende Länder hätten auf diesem Gebiet großen Bedarf, zugleich habe China hier erhebliche Kapazitäten aufgebaut. Für diese sucht Beijings Nummer Zwei offensichtlich neue Betätigungsmöglichkeiten. Nach Jahrzehnten des Booms entwickelt sich Chinas Wirtschaft nämlich inzwischen etwas weniger stürmisch. Die Regierung strebt, wie berichtet, "nur" noch Wachstumsraten von um die sieben Prozent an. Das hat jedoch zur Folge, dass insbesondere in der Schwerindustrie in einem guten Drittel der Betriebe die Kapazitäten nur noch sehr unzureichend ausgelastet sind. Kapitalexport könnte da Abhilfe schaffen, sofern er zur Nachfrage im Inland führt. Zugleich fördert er wie auch der in Asien und rund um den indischen Ozean unter dem Label Seidenstraße angestrebte Ausbau der Handelswege die Integration der chinesischen Ökonomie in die Weltwirtschaft und könnte damit die Globalisierung auf ein neues Niveau heben.