Der Futurist: Unsanftes Erwachen

Was wäre, wenn wir Menschen in den Kälteschlaf schicken könnten?

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Was wäre, wenn wir Menschen in den Kälteschlaf schicken könnten?

"Sie müssen mir glauben. Das ist ein Skandal erster Güte“, sagt der Mann auf meinem Display. Sein Bild ist verrauscht, als ob der Kerl irgendeinen illegalen Netzzugang benutzt. Soweit man das sehen kann, scheint es ihm nicht besonders gut zu gehen. Er trägt einen billigen Einweg-Overall, hat tiefe Ringe unter den Augen, um seinen Mund haben sich scharfe Falten eingegraben. Die Verbindung kam über das Tippgeber-Portal unserer Zeitung zustande. Ich soll jetzt prüfen, ob an der Geschichte etwas dran ist.

Wenn es stimmt, was der Mann sagt, ist es wirklich ein dickes Ding: Er behauptet, Vernon Wright zu sein. Aber leider ist Wright seit über 20 Jahren tot. Er war eine große Nummer im Silicon Valley: Studium in Stanford im Fach Computer Science, nebenbei Wirtschaft. Mit 25 hat er sein erstes Unternehmen hochgezogen – Wright Enterprises war führend in Sprachanalyse-Software und stellte Expertensysteme her, die Manager bei Business-Entscheidungen unterstützen sollten. Mit 27 hatte Vernon die erste Million gemacht, 2023, mit 40, war er tot. Angeblich unheilbar krank. Die genauen Umstände sind nie an die Öffentlichkeit gelangt.

Und jetzt, 20 Jahre später, behauptet der Anrufer, er sei Wright. Er habe sich damals ins Cryonics Institute eingekauft und heimlich die Forschung zum Kälteschlaf mit mehreren Millionen Dollar unterstützt. Als die Ärzte ihm sagten, dass seine Krankheit nicht heilbar sei, habe er beschlossen, sich einfrieren zu lassen. Das musste natürlich geheim bleiben, weil klar war, dass er danach nicht mehr leben würde, jedenfalls nicht auf herkömmliche Art.

„Hören Sie“, sagt er jetzt drängend. „Sie müssen mir glauben. Die halten uns hier wie Arbeitssklaven. Das ist illegal.“ Immer wieder schaut er nervös zur Seite. „Ich bin immer noch amerikanischer Staatsbürger.“ Wieder ein rascher Blick zur Seite. „Ich kann hier nicht ewig mit Ihnen reden. Was ist nun?“

Die Geschichte könnte wahr sein. 2025 schaffte es das Cryonics Institute erstmals, eine tiefgefrorene Katze wiederzubeleben. Danach rannten ihnen die Egomanen aus der Silicon-Valley-Elite die Bude ein. Sie wollten über den Tod hinaus weiterexistieren und hofften, in nicht allzu ferner Zukunft wieder zum Leben erweckt werden zu können. Über 1000 Menschen soll Cryonics damals konserviert haben. Mein Problem ist: Ich kann die Fakten nicht wirklich prüfen. Das Cryonics Institute ist seit 2030 pleite, ein Opfer der großen Depression nach dem Ende des Fracking-Booms. Das Gebäude steht mittlerweile völlig leer, alle Maschinen sind verschwunden.

„Den Pass haben sie mir abgenommen“, sagt der Mann. „Sie?“, frage ich zurück. „Die Chinesen!“ Jetzt wird er fast ein bisschen hysterisch. „Die haben die Konkursmasse von Cryonics gekauft. Die Kryotanks haben sie mitgenommen, weil sie die Technologie studieren wollten. Sie haben uns aufgeweckt und die Kranken behandelt. Aber die Kosten müssen wir jetzt abarbeiten, sagen sie.“ Er kramt ein zerknittertes Stück Papier aus dem Overall, das er gegen die Kamera hält. „Das hier habe ich versteckt. Hier, der Vertrag – mit meiner Unterschrift.“

Ein handgeschriebener Krakel. Keine Signatur, keine biometrischen Daten. Was soll ich damit anfangen? Ein zweites Fenster blinkt auf meinem Terminal – mein Chef meldet sich, ein maschineller Entscheider von Wright Enterprises. Er ist sündhaft teuer, deswegen nur in höheren Hierarchie-Ebenen zu finden. „Tut mir leid, Dave“, sagt er freundlich zu mir. „Das können wir nicht tun.“ Er schüttelt den Kopf. „Ich habe dein Gespräch analysiert. Die Story ist zu schwach.“ Der Vernon IIXS klinkt sich wieder aus. Er summt leise vor sich hin. Wäre er ein Mensch, würde ich sagen: Sein Summen klingt zufrieden. (wst)