Digitale Medien und die User: Von wegen dümmer!

Kritiker warnen, dass digitale Technologien unsere Intelligenz beeinträchtigen. Doch jetzt zeigen Studien, dass die neuen Medien ganz neue Lernformen ermöglichen und unsere kognitiven Fähigkeiten steigern können.

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Von wegen dümmer
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Eva Wolfangel
  • Veronika Szentpetery

Digitale Medien bringen neue Lernformate mit sich. Sie machen Prozesse sichtbar, vereinfachen natürliches Lernen und zeigen, wie sich Inhalte am besten vermitteln lassen, schreibt Technology Review in seine neuen Ausgabe (am Kiosk und im Heise-Shop erhältlich). „Der Mensch lernt dadurch effizienter und kann Vorgänge tiefer verstehen und einordnen“, sagt Ulrike Cress, stellvertretende Direktorin des Leibniz-Instituts für Wissensmedien in Tübingen. Immer mehr Erkenntnisse zeigen: Digitale Medien haben das Potenzial, unsere geistigen Fähigkeiten zu steigern. Cress spricht sogar davon, dass sie uns „klüger“ machen.

Bisher gilt die Digitalisierung im Bildungsland Deutschland mehr als Fluch denn als Segen. Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer etwa malte vor einigen Jahren das Horrorbild der „digitalen Demenz“ an die Wand. Die Digitalisierung verstärke Vergesslichkeit, Verflachung und Vereinsamung. Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, kritisierte letztes Jahr die „totale Computerisierung des Klassenzimmers“. Sie würde die Flüchtigkeit und den Konzentrationsmangel befördern und das Durchhaltevermögen verringern.

Im Gegensatz dazu legen Erhebungen jedoch nahe, dass der IQ in den Industrienationen seit mehr als 20 Jahren steigt. Ein solcher Trend wurde erstmals 1984 vom neuseeländischen Politologen James R. Flynn nachgewiesen und später nach ihm benannt. Wie stark der Flynn-Effekt heute noch wirkt, ist umstritten: Es fehlen eine aussagekräftige Datengrundlage und eindeutige Vergleichsgruppen. Flynn selbst sieht eine weiter steigende Intelligenz, vor allem das logische Denken verbessere sich aktuell. Woran das liegt, ist unter Anhängern der Theorie zwar umstritten. Aber „die meisten Psychologen denken, dass das ein Effekt der Digitalisierung ist“, kommentiert Neurowissenschaftler Torkel Klingberg vom Karolinska Institut in Schweden.

Psychologin Cress beispielsweise hat in vielen Projekten untersucht, wie digitale Medien den Wissenserwerb verbessern. In einem sollten Kinder herausfinden, wieso ein Flugzeug fliegt. Sie teilten ihre Ideen und Recherchen über vernetzte Computer. Sie fragten Eltern, Lehrer, Piloten im Bekanntenkreis, googelten und lasen in Lexika nach. Sie diskutierten beispielsweise in einem Chat, welcher Weg wohl in die richtige Richtung führt, und protokollieren ihre Ergebnisse gemeinsam.

Eine intelligente Software kann diesen Prozess – ergänzend zur Beobachtung der Lehrer – unterstützen. Sie zeigt, wer sich viel und wer sich wenig an der Diskussion beteiligt, sie analysiert, welche Lösungen mehr Feedback bekommen, welche Recherchewege in einer Sackgasse enden. Diese sogenannten „awareness tools“ – zu Deutsch in etwa „Aufmerksamkeits-Werkzeuge“ – erzeugen eine Art Schwarmintelligenz. Der Lehrer bekommt in so einem Prozess eine ganz andere Rolle: Er sagt nicht, was richtig und falsch ist, er gibt keine Lösungen vor. Er moderiert, beantwortet Fragen, hilft vielleicht beim Zusammenfassen. „Digitales Lernen ist flexibler: Es nutzt verschiedene Sinne und erlaubt die Wissenskonstruktion“, sagt Cress.

Mehr dazu in der aktuellen Ausgabe von Technology Review (im Heise-Shop erhältlich):

(vsz)