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Was war. Was wird. Von Selektoren, Blabla und dem alltäglichen analogen Denken

Der Weg der Disruptierenden zum Ruf nach einem Führer scheint nicht weit. Und der Widerstand? Wenn die Gesellschaft in die Hände digitaler Führer fällt, helfen manchmal nur analoge Gegenmittel , und wenn es Taubenscheiße ist, meint Hal Faber.

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Überwachung, Kamera
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Journalismus ist Bla, war Bla und sollte Bla sein, in allen Spielarten von Bla. Man fülle bei diesem Leersatz die Variable Bla je nach Bedarf mit den großen Worten wie Objektivität, Zeitzeugenschaft, Gewissenhaftigkeit, Qualität oder Lüge, dann kann man sich an den einschlägigen Diskussionen beteiligen. Journalismus zeigt immer nur Ausschnitte, wie Negativ 7A mit dem Reporter, der ungerührt einen Film nachlädt, weil er doch das Leid dokumentieren muss. Das ist mindestens seit Egon Erwin Kisch so, dessen Reportage über das Killen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit Fotomantagen von Viktor Kuron-Gogol ergänzt wurde.

*** Von diesem Vorfall um den Investor Peter Thiel gibt es ein Dutzend Smartphone-Vieos und völlig unterschiedliche Berichte, wie in Kurosawas Rashomon. Da gibt es den "machtvollen Protest gegen die Machenschaften der NSA" – wegen der Verbindungen, die eine von Thiels Firmen mit dem Apparaten des tiefen Staates unterhält. Da ist von der Entrüstung die Rede und der neuen Diskriminierung der Schwarzen und dem Protestruf "Black Lives Matter". Aber auch das Gegenstück ist zu finden, Berichte vom Protest des Publikums, das mit dem Schlachtruf "Peter Thiel Matters" die Protestierenden niederbrüllte. Da war Peter Thiel, beschützt durch seine Bodyguards, freilich längst entschwunden, nicht ohne seinen Ärger über die "typischen Berkeley-Protest-Hipster" ventiliert zu haben. Hipster, das kann man in Thiels Buch "Zero to One" nachlesen, sind durchweg gescheiterte, tragische Figuren, die als Barista hinter einer Kaffeemaschine enden. Immerhin, die ach so geschätzte Disruption wird in diesem Beispiel deutlich wie selten erfahrbar, abseits der wahren Begebenheit. Da kommen Protestierende mit einem gesellschaftlichen Anliegen und die "digitale Gesellschaft" antwortet mit dem Ruf nach ihrem Führer.

*** Wie komme ich auf das Beispiel? In Kürze startet die Großkonferenz "re:publica" in Berlin mit 6000 Besuchern und 400 Vorträgen. Im Vorfeld haben die Organisatoren die lieben Medienpartner mit Fragen zur Selbstdarstellung präsentiert. "Wie stellt Ihr Euch die digitale Gesellschaft der Zukunft vor?" Nur eine Antwort überzeugte mich, von den uraltlinken Pahl-Rugensteinischen "Blättern", seltsamerweis auf Englisch: "There is no such thing as digital society. There is only society." Wer nicht mehr bereit ist, die Gesellschaft als Ganzes zu sehen, für den ist "Peter Thiel Matters" der richtige Schlachtruf, wenn Berlin digital spricht.

*** Bis anhin glaubte ich, dass Sprache analog funktioniert, wie unser Denken, aber man muss ja ständig weiter denken in dieser Gesellschaft, in der in dieser Woche ein Grünbuch auf uns abregnete wie Frösche in Magnolia. "Wie lassen sich Werkzeuge mit Baustellen, Kisten mit Containern, Heizung und Lüftung mit dem Wetter vernetzen?" Arbeit 4.0 ist die Lösung, die Antwort auf bohrende Fragen wie: "Sitzt der LKW-Fahrer von heute auf seiner Route morgen zwar nicht am Steuer, aber als Pilot in seinem Führerhaus und überwacht die elektronischen Instrumente? Hat er übermorgen seinen Platz in einem Logistikzentrum, von wo aus er mehrere selbstfahrende LKW aus der Ferne kontrolliert?" Was Drohnenpiloten schaffen, müssen auch die Asphalt-Cowboys und Cowgirls schaffen, die im richtigen Leben aufschrecken, wenn es überall piepst. Die andächtig vor Bäumen stehen, ehe sie plattgemacht und von ihnen abtransportiert werden.

*** Dank eines Geheimvermerks gibt es bekannt gewordenene "Selektoren", die wiederum zu "Signaturen" führen und damit zum Löschen dieser Signaturen, inklusive dem Killen von Warren Weinstein und Giovanni Lo Porto. Wobei es bei allem Protest unerheblich ist, ob Ramstein beteiligt ist, denn die Satelliten-Links von Intelsat zu den Drohnen sind dreifach redundant ausgelegt. Inmitten der neu anschwellenden Verärgerung über den BND und seine Zusammenarbeit mit der NSA, die nun sogar die Bundesanwaltschaft mobilisieren soll, sei darum dank b's weblog auf die analoge Sprache verwiesen, mit der Ex-Bundeskanzler Schmidt die Arbeit der Geheimen schilderte:

"1969 wurde ich Verteidigungsminister, ich war damit auch zuständig für den Militärischen Abschirmdienst. Mein endgültiges Urteil wurde bestätigt. Deshalb habe ich mir später als Regierungschef niemals einen Bericht des BND vorlegen lassen. Ich wusste, die Einschätzung des Geheimdienstes beruhte zum Teil auf dem Abhören von Telefonen, manchmal auf Indizien und oft auf Eindrücken, die stark gefärbt waren durch die politische Präferenz des Berichtenden. Abgesehen davon: Jedermann weiß, dass die Auslandsgeheimdienste in aller Welt Dinge treiben, die nach dem dort geltenden Gesetz verboten sind. Oder sie tun, was das Gesetz befiehlt, und tun aber auch das, was das Gesetz nicht befiehlt. Deshalb sind Gremien eingerichtet worden, die kontrollieren sollen, was die Geheimdienste tun. In diesen Kontrollkommissionen sitzen Leute, die sich wichtig fühlen, aber kaum etwas ausrichten. Warum sollte ich also diese Berichte lesen? Ich habe das persönliche Gespräch mit Nixon, mit Kissinger, mit Ford und Reagan immer vorgezogen, desgleichen mit Breschnew und mit Honecker."

*** Pikanterweise stammt dieser Kommentar aus einer Zeit, als im Zuge der Snowden-Enthüllungen bekannt wurde, dass Merkels persönliche Gespräche von ihrem privaten Telefon aus von der NSA abgehört wurden. Aber auch so kommt zusammen, was zusammen kommen muss, und all das verdanken wir Edward Snowden, der ein 50 Seiten langes Entwurfspapier über Stellar Wind weitergab. Auf dieser Basis klagten US-Journalisten nach dem Freedom of Information Act und bekamen in dieser Woche ein 750 Seiten starkes Dokument aus der Regierungszeit von George W. Bush, das enthüllt, wie Gesetze gedehnt wurden, um "Assessments" von unamerikanischen Umtrieben erfassen zu können. Das ganze Ausmaß von Stellar Wind, von dem hier lange vor Snowden anno 2009 berichtet wurde, zeigt eine Demokratie-Vernichtungswaffe in Aktion.

Was wird.

Spannend wird es, wenn der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht wird. Denn noch trüben geheime Nebenabreden das Bild, wenn Absprachen nach dem §113 des TKG-Gesetzes eingemischt werden. Doch bis zum Gesetzentwurf ist es ein langer Weg, auf dem die Leitlinien in vielen Punkten geändert werden können. Viele quengeln jetzt schon, dass die bekannten Leitlinien zu eng sind, etwa die kleine Polizeigewerkschaft und selbst der große Koalitionär. Im aktuellen Interview des Spiegels lobt BKA-Chef Holger Münch die Franzosen, die nach dem Attentat auf Charlie Hebdo vieles wussten, was in Deutschland so nicht möglich gewesen wäre. Und jammert zudem über unerfüllte Wünsche und meint, dass die Fristen der Speicherung zu kurz sein könnten: "Auch dass die E-Mail-Adressen nicht gespeichert werden, könnte eine Schwachstelle sein." Doch wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, seit Göte 1.0: Zum Herbst hin soll der neue Bundestrojaner, pardon, die vom BKA selbst entwickelte Software zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung fertig sein, hurra. Diese kleine Wochenschau erscheint am Welttag des geistigen Eigentums und darum ist es recht und billig, den Spiegel-Dialog zu veröffentlichen, der sich entwickelte, nachdem Münch sich beklagte, dass 85 % der Verdächtigen verschlüsselt und dem BKA Teile der Kommunikation durch die Lappen gingen:

"SPIEGEL: Gingen? Sie reden in der Vergangenheitsform?
Münch: Im Moment ist das noch so. Aber wir entwickeln ein Instrument, mit dem wir – nach richterlicher Genehmigung – an den Computer des mutmaßlichen Täters gehen, bevor er seine Kommunikation verschlüsselt hat.
SPIEGEL: Das heißt: Der sogenannte Bundestrojaner steht kurz vor seiner Einführung?
Münch: Wir nennen es lieber Quellen-Telekommunikations-Überwachung. Im Herbst soll sie einsatzbereit sein.
SPIEGEL: Sie haben diese Spähsoftware selbst entwickelt?
Münch: Wir wollten das nicht auf dem freien Markt einkaufen."

Schade. Es wäre lustig gewesen, wenn Holger Münch den Vertrag mit Ingo Münch ausgehandelt hätte. (jk)