re:publica 15: Die "Bewilligungskultur" im Netz – "Das Ergebnis ist eine Lose-lose-Situation"

Warum ist das Angebot von Online-Videotheken so eingeschränkt? Eine Antwort darauf hat der Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 137 Kommentare lesen
re:publica 15: Die "Bewilligungskultur" im Netz – "Das Ergebnis ist eine Lose-lose-Situation"

Ruine der Burg Liebenstein im oberen Mittelrheintal

(Bild: C.G. Schütz, 1819)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Stefan Mey

Warum haben Radiosender, aber nicht Streamingdienste Zugriff auf das komplette Musik-Repertoire? Und wieso ist das Angebot von Online-Videotheken so eingeschränkt? Schuld ist die allgegenwärtige "Bewilligungskultur", meint der Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch auf der re:publica 2015. Im Interview mit heise online erklärt er, wieso diese Kultur Entwicklungen lähmt und nur den Großen im Netz hilft.

Was verstehen Sie unter "Bewilligungskultur"?

Leonhard Dobusch

(Bild: 

Dominik Landwehr

)

Dobusch ist Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler mit einer Juniorprofessur für Management an der FU Berlin

Dobusch: In der analogen Welt sind viele Dienste paradoxerweise leichter möglich als in der digitalen Welt. Das liegt oft an einer zersplitterten Rechtesituation. Bewilligungskultur heißt: Ich muss im Internet für jede konkrete Nutzung eine Einzelfallbewilligung einholen, nicht nur bei einer Person, sondern bei mehreren Rechteinhabern.

Wie wirkt sich das aus?

Das führt einerseits dazu, dass vieles nicht passiert, weil die Rechteklärung extrem aufwändig und damit teuer ist. Andererseits passiert viel illegal, was auch bedeutet, dass keiner der Beteiligten damit etwas verdient.

Können Sie Beispiele für das Problem der Bewilligungskultur nennen?

Mein Lieblingsbeispiel ist Spotify. Für Radiobetreiber gibt es pauschale Tarife bei Verwertungsgesellschaften, die dürfen dann das komplette Musikrepertoire der Welt abspielen. Spotify aber gilt als On-Demand-Streaming. Bei der Gema gibt es einen Tarif dafür, jedoch nicht bei der GVL, der Verwertungsgesellschaft für Leistungsschutzrechte, in der die Musik-Labels organisiert sind. Streaming-Dienstleister müssen deshalb für jedes Album und jede Region im Einzelfall mit Labels und Musikverlagen die Rechte einzeln abklären. Ähnlich ist es bei Videos im Netz. Deswegen werde ich eine Onlinevideothek mit vollem Repertoire vergeblich suchen. Auch für Musik-Mashups gibt es keine funktionierenden, pauschalen Lösungen. Das Ergebnis ist in allen Fällen eine Lose-lose-Situation. Viele Angebote oder Produkte entstehen gar nicht erst. Und es gibt weniger kulturelle Vielfalt sowie weniger Einnahmen für alle Beteiligten.

Wie kommt das? Ist das Rechtssystem zu träge für die digitalen Entwicklungen?

Rechts-Strukturen sind immer historisch gewachsen. Es gibt ein Beispiel aus der deutschen Geschichte, das Michael Heller für sein Buch "The Gridlock Economy" vor einigen Jahren ausgegraben hat: Burgen entlang des Rheins. Die stehen da dicht an dicht. Warum? Jeder Burgherr hat damals Zoll kassiert. Auf dem Rhein wurde irgendwann fast nichts mehr transportiert, da alle paar Kilomenter Raubritter der jeweiligen Burgen Zoll verlangten. Die Lösung war die Gründung des Deutschen Zollvereins.

Gibt es schon Modelle, die als Lösung für das Dilemma der Bewilligungskultur funktionieren?

In Norwegen hat man eine Einigung für einen Klassiker der Urheberrechtsproblematik gefunden: Bücher, die kaum noch verwertbar sind, oft schon vergriffen, aber noch urheberrechtlich geschützt. Bis 2017 werden fast alle bis zum Jahr 2000 veröffentlichten Bücher in norwegischer Sprache kostenlos digital über die Nationalbibliothek zugänglich sein. Wir reden hier von insgesamt rund 250.000 Werken. Die Nasjonalbibliotekt zahlt pro digitalisierte Seite eine jährliche Pauschalvergütung an einen Zusammenschluss von norwegischen Verwertungsgesellschaften. Verlage können im Einzelfall ein Opt-out wählen. Bereits jetzt sind über 140.000 Bücher verfügbar, Opt-out passierte nur in 3000 Fällen. Das staatliche Rechtsinstitut, das das ermöglicht, nennt sich Extended Collective Licensing. Eine solche pauschale Einigung bietet für alle Vorteile. Die Bücher sind wieder zugänglich und Urheber und Verlage bekommen Geld für etwas, mit dem sie in der Regel nichts mehr verdienen würden.

Wer profitiert zur Zeit von der aktuellen Rechtslage?

Die einzigen, die die Rechtefrage wirklich effizient geklärt kriegen, sind wenige große Unternehmen, vor allem Google. Weitergedacht heißt das: Manche Sachen kann ich eigentlich nur über die Google-Tochter Youtube auf legale Weise machen. Deutschland ist eine Ausnahme, wegen des Streits zwischen Youtube und der Gema. Die US-Sängerin Taylor Swift hat bekanntermaßen aus Protest über zu niedrige Einnahmen und die angebliche Kostenloskultur ihre Songs aus Spotify abgezogen. Auf Youtube aber sind alle ihre Lieder verfügbar.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Wir brauchen Tarife für neue Nutzungsformen, da sind die Verwertungsgesellschaften gefordert. Eine Lösung für alte Bücher und Filme wäre eine pauschale Lizenzierung nach Vorbild des Extended Collective Licensings in Norwegen. Für Mashups und Remixes bräuchte man einfach einen entsprechenden Gema-Tarif. Für Coverversionen gibt es den schon, warum bietet die Gema keine Remix-Tarife an? Und warum müssten neu entstehende Spotify-Wettbewerber die entsprechenden Rechte aufwändig einzeln klären? Das alles führt zu einer starken Einschränkung des Wettbewerbs. Statt um Nutzungskomfort und Qualität dreht sich der zur Zeit vor allem um die Frage, wo das Repertoire am wenigsten lückenhaft ist. (anw)