Kilo pro Kilo

Der Rohstoffverbrauch steht immer noch im Schatten der Energiewende. Dabei lohnt sich jedes eingesparte Kilogramm mehrfach.

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Der Rohstoffverbrauch steht immer noch im Schatten der Energiewende. Dabei lohnt sich jedes eingesparte Kilogramm mehrfach.

So unspektakulär die geschlossenen grauen Maschinen aussehen, die in der Halle der Chemnitzer Forschungsfabrik stehen – in ihnen laufen spektakuläre Prozesse ab. Anstatt den metallenen Rohling einer Getriebewelle mit Bohren, Drehen und Fräsen in Form zu bringen und dabei jede Menge Abfallspäne zu hinterlassen, wird der stählerne Zylinder mit Walzen, Rollen und Stempeln umgeformt wie ein Stück Knete: So entsteht aus einem massiven Material ein hohler Rohrabschnitt, der sich in drei verschiedenen Außendurchmessern fertigen lässt.

Die vorläufige Bilanz der neuen Prozesskette: "Wir können 12,5 Prozent des benötigten Materials einsparen, weil durch das Umformen kaum Materialverlust auftritt. Es müssen kaum noch Metallspäne energieaufwendig und umweltbelastend entsorgt werden. Und insgesamt entfallen drei Prozessschritte, das spart Werkzeuge, Zeit und Energie", resümiert Projektleiter Udo Hellfritzsch vom Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU). Gleichzeitig ist es gelungen, die Eigenschaften des Bauteils wie Festigkeit, Verschleiß und Belastbarkeit zu verbessern. Denn für die neuen Fertigungsverfahren kann es funktionaler designt werden.

Im Mai 2014 hat das IWU seine Forschungsfabrik in Betrieb genommen. Der Bund, das Land Sachsen, die EU und die Fraunhofer-Gesellschaft haben insgesamt 20 Millionen Euro investiert. Industriepartner haben sich an der maschinellen Ausstattung beteiligt. Nun steht in Chemnitz die vielleicht futuristischste Fabrik Deutschlands. Forscher zapfen hier die Steuerung der Maschinen an und montieren Sensoren. Diese geben Auskunft über Betriebszustände der Anlagen, Energieverbräuche, Prozesstemperaturen, Qualität der gefertigten Produkte und Verbrauch von Hilfsmitteln wie Schmierstoffe und Druckluft.

Die Leitzentrale in der dritten Etage ist bestückt mit Bildschirmen, auf denen sämtliche Produktionsdaten dargestellt werden können. Das Fenster zur Maschinenhalle ist gleichzeitig ein transparentes Display. Auf der Scheibe werden Informationen über das Innenleben und Zusammenspiel der Maschinen angezeigt: Diagramme demonstrieren den Materialfluss, Tabellen und Balken informieren über den Verbrauch von Energie und Betriebsmitteln. Wenn es bei einem Prozess hakt, blinkt an der kritischen Stelle ein rotes Licht.

Und dennoch ist die futuristische Hightech-Ausstattung gar nicht das eigentlich Besondere an dieser Fabrik. Sondern ein Ansatz, der so schlicht ist, dass es verwundert, warum erst im Jahr 2014 eine Forschungsfabrik dazu entstand: Verbrauch von Energie und Material zusammenzubringen. Wer die Umwelt schonen will, muss nicht nur Kilowattstunden und damit Kohlendioxid-Emissionen senken, sondern auch den Ressourcenverbrauch minimieren. Aber gerade letzterer spielt in der aktuellen Umweltdiskussion eine erstaunlich geringe Rolle.

Seien es die ökologischen Folgen eines Flugs nach Mallorca, der Konsum eines Rumpsteaks oder einer Kilowattstunde Strom – meist werden sie auf einen einzigen Kennwert heruntergebrochen: auf "Tonnen CO2-Äquivalent", also die Umrechnung sämtlicher entstandener Treibhausgase in den Klima-Effekt von Kohlendioxid. Das CO2-Äquivalent ist so etwas wie die weltweite, frei konvertierbare Standardwährung des Umweltbewusstseins geworden. Der Dollar für Nachhaltigkeit. Diesen Dollar hält Friedrich Schmidt-Bleek, Chemiker und Mitgründer des Wuppertal Instituts, für Falschgeld. "Die fast ausschließliche Konzentration aller Umweltschutzbemühungen auf den Klimaschutz stellt eine starke Verengung des Fokus da", schreibt er in seinem 2014 erschienenen Buch "Grüne Lügen". "Es werden nur etwa 20 Prozent unserer derzeitigen Umweltprobleme überhaupt in den Blick genommen!"

Er hält eine andere Maßeinheit für wesentlich aussagekräftiger: die Materialintensität (MIT) in Kilogramm Naturverbrauch pro Kilogramm fertiges Produkt. Darin fließt unter anderem der Verbrauch an Biomasse, Mineralien, fossilen Energieträgern, Wasser und Luft ein sowie der Abraum im Bergbau oder die Bodenerosion bei der Landwirtschaft. Was die Chemnitzer Forschungsfabrik nur für ihre eigene Produktion betrachtet, will Schmidt-Bleek global etablieren. Das Wuppertal Institut hat in den letzten Jahren eine Liste aufgestellt, die die MIT für alle möglichen Produkte verzeichnet.

Ein Kilogramm Kupfer trägt demnach einen "ökologischen Rucksack" aus 179 Kilogramm nicht-biologischen Rohstoffen, 236 Kilogramm Wasser und 1,16 Kilogramm Luft – selbst wenn es zur Hälfte aus Recycling-Material gewonnen wird. Technische Produkte verbrauchen laut Schmidt-Bleek im Schnitt das 30-Fache ihres Eigengewichts an Ressourcen, ein Smartphone sogar das 450-Fache. Nach einer Untersuchung der National Academy of Engineering werden in den USA 93 Prozent der abgebauten Ressourcen niemals in verkäufliche Produkte umgewandelt, sondern bestehen etwa aus Abraum bei der Erzförderung. 80 Prozent aller Produkte werden nach einmaligem Gebrauch weggeworfen und 99 Prozent der in den Produkten enthaltenen Stoffe innerhalb von sechs Wochen nach dem Verkauf zu Abfall.

Eine besonders heikle Diskussion löste Schmidt-Bleek bei den erneuerbaren Energien aus. "Die an sich sinnvolle Solarenergie weist bisher eine insgesamt negative Umweltbilanz auf", sagt er. Für Elektroautos und Windräder gelte wegen ihres hohen Ressourcenverbrauchs ähnliches. Das Argument wurde von Kritikern der Energiewende begierig aufgenommen. "Kaum ein Beitrag hat 2014 so viel Schwung in die oft heuchlerische Debatte der Umweltszene gebracht", schreibt die "Wirtschaftswoche".

Doch stimmen diese Zahlen überhaupt? Unstrittig ist: Windräder etwa benötigen große Mengen Stahl, Kupfer und seltener Erden, deren Gewinnung umweltschädlich ist. Bei der Herstellung von Solarzellen sind unter anderem Säuren, Laugen, Schwermetalle und das Treibhausgas Stickstofftrifluorid (NF3) involviert. Und Elektroautos brauchen Lithium, dessen Abbau in den Förderländern die Natur belastet. All dies lässt sich tatsächlich nicht einfach in Tonnen CO2-Äquivalent umrechnen.

Doch die fossilen Brennstoffe, die durch die Erneuerbaren ersetzt werden, verursachen in der Regel einen noch verheerenderen Naturverbrauch. "Leider sind in dem Buch ein paar wenig konsistente Berechnungen enthalten", meint Stefan Bringezu vom Wuppertal Institut. Richtig sei, dass Photovoltaik auch einen ökologischen Rucksack trage. Doch im Vergleich zum Materialaufwand für den deutschen Strommix läge er für die Photovoltaik "nur bei einem Zehntel", so Bringezu. Die Materialintensität von Windstrom sei selbst bei Offshore-Anlagen nur 1,6 Prozent so hoch wie die von Braunkohle. Und eine Tonne Diesel verursacht etwa elf Tonnen Naturverbrauch, was Schmidt-Bleek bei seiner Verurteilung des Elektroautos schlicht unterschlägt.