Musikgeschichte als Big Data betrachtet

Londoner Musik-Informatiker haben 17.000 Songs aus den US-Charts analysiert. Die Musik seit 1960 ist zwar vielfältig, doch richtige Revolutionen gab es nur drei.

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Londoner Musik-Informatiker haben 17.000 Songs aus den US-Charts analysiert. Die Musik seit 1960 ist zwar vielfältig, doch richtige Revolutionen gab es nur drei.

Johnny Cash, der Country-Großmeister. Led Zeppelin, die Heroen des Bluesrock. Diana Ross und The Supremes, die Mütter des Motown. Und die Beatles – definitiv eine Revolution. Oder nicht? Der Musikjournalismus bedient sich gerne an Superlativen. Eigenheiten der Band oder des Künstlers werden herausgegriffen und zur neuen angesagten Spielart erkoren. Doch letztlich sind das alles subjektive Einordnungen. Umso spannender finde ich es, wenn versucht wird, die musikalische Evolutionsgeschichte anhand von Daten zu erklären.

Das haben nun Wissenschaftler der Queen Mary University of London und das Imperial College London in Angriff genommen. Ihr Untersuchungsgegenstand: 17000 Songs aus den US-amerikanischen Billboard Hot 100 aus den Jahren 1960 bis 2010. Mit Hilfe von Big Data-Analysemethoden stellte die Expertengruppe die musikalischen Trends, Stilvielfalt und das Auftreten von Revolutionen heraus. Sie betrachteten damit das Auf und Ab in den Charts als ein Stück lebendige Evolutionsgeschichte.

Um die Eigenschaften von Charts-Stürmern zu ermitteln, nutzen der Informatiker Matthias Mauch und seine Kollegen einzelne Musik-Sequenzen sowie text mining tools. Danach ordnete ihr Big Data-System die Titel in auf Basis von Akkordwechseln, Klangbildern und Lyriks einzelnen Genre-Gruppen zu. Dabei wurden außerdem die Musik-Tags berücksichtigt, die Nutzer der Plattform Last.fm den Liedern zugeordnet hatten.

Die Ergebnisse, die die Musik-Analysten im Magazin „Royal Society Open Science“ veröffentlichten,
sind besonders für die Liverpooler Pilzköpfe ernüchternd. Den Beatles wird 1964 die „british invasion“ in den USA zugeschrieben, die Stunde, als der Rock'n'Roll Amerika geprägt hat. Doch die harten Fakten zeigen, dass sie sowie die Rolling Stones vielmehr einen bereits verbreiteten Trend widerspiegelten. Sie nutzten DUR-Akkorde, stimmten ihre Gitarren aggressiver und rückten ab von heiteren Songtexten.

Erst 1983 ermittelten die Wissenschaftler dann die nächste Musik-Revolution. Hier bestimmten die sogenannten Hair Bands und Stadion Rocker nicht nur das optische Bild in den Charts. Sie stechen mit harten Rhythmus-Instrumenten und ihrem Gesang hervor. Zu den Vertretern zählen die Forscher etwa Mötley Crüe, Van Halen oder auch Queen.

Im Jahr 1991 ließ sich schließlich eine dritte Revolution festmachen: Busta Rhymes, Nas und Snoop Dog traten auf den Plan und bescherten Hip Hop und Rap den Peak. Das Analyse-System stellte immer weniger Akkorde fest, dafür – logischerweise – die Zunahme von Sprechgesang. Und der Charts-Erfolg von Hip Hop-Songs hielt bis circa 2005 an.

Nach den Zeitschritten der Studie zu urteilen, dürfte demnach die nächste musikalische Revolution also nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ich bin gespannt. (jle)