Diktat an Griechenland jetzt direkt aus dem Kanzleramt?

Wieder soll ein Countdown begonnen haben

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"The Final Coutdown - jetzt aber wirklich" ist seit Tagen eine Kolumne im Wirtschaftsteil der Taz überschrieben. Heute sind sie beim "3. Tag bis zur Griechenlandpleite angelangt", heißt es am 2. Juni. Mit den Texten soll durchaus ironisch darauf hingewiesen werden, dass seit Monaten die endgültige Griechenland-Pleite, der Grexit oder ähnliches, herbei geschrieben wird. Am Ende sind diese Prognosen bislang nie eingetreten.

Nun ist es wieder einmal so weit. Spätestens als am 1. Juni ein Treffen für die G7-Vorbereitung zu einem Griechenlandgipfel im Berliner Kanzleramt stattfand, wird verstärkt vom allerletzten Angebot an Tsipras berichtet.

Natürlich wird hier wieder einmal eine Drohkulisse aufgebaut, die die griechische Regierung nun endgültig dazu bringen soll, sich von ihren Wahlversprechen zu verabschieden und sich den Vorgaben der Institutionen zu unterwerfen. Das zeigt sich schon daran, dass das Angebot direkt an Tsipras adressiert ist und nicht an die griechische Regierung. Ihm soll zugemutet werden, notfalls den linken Parteiflügel fallen zu lassen, um sich dem Druck zu beugen

Schließlich hat sich erst vor einigen Tagen auf einer Sitzung des Syriza-Zentralkomitees gezeigt, dass eine starke Minderheit bereit ist, notfalls mit den Institutionen zu brechen, die Banken zu verstaatlichen und einen neuen Weg jenseits des Euro zu gehen. Politische Beobachter stellen nun fest, dass diese Position parteiintern an Zustimmung gewonnen hat, je mehr Menschen registrieren, dass die Institutionen die Ergebnisse der demokratischen Wahlen ignorieren.

Viele Syriza-Politiker waren der Überzeugung, dass sie sich mit der EU und dem IWF zumindest auf ein Schuldenmoratorium verständigen können, weil eine solche Politik schließlich auch von vielen Ökonomen als rational bezeichnet wird. Letztendlich müsse allen klar sein, dass Griechenland die Schulden gar nicht zurückzahlen kann.

Die harte Politik ist denn auch nicht ökonomischen Erwägungen geschuldet, sondern an Griechenland soll ein Exempel statuiert werden, damit andere Regierungen gar nicht erst auf die Idee kommen, die von Deutschland gezimmerte Architektur in Frage zu stellen. Potentielle Wähler sollen gar nicht erst auf die Idee kommen, Parteien zu wählen, die die Lebensbedingungen der Bevölkerung, statt die Befriedigung von Banken, Märkten und Institutionen in den Mittelpunkt stellen.

Griechische Regierungsmitglieder gegen Erpressung und Ultimatum

Die Drohkulisse, die im Berliner Kanzleramt aufgebaut wurde, weist keine Elemente auf, mit denen sich die Kritiker der Institutionen besänftigen ließen. Bestätigt wird dies auch dadurch, dass der Gipfel ausgerechnet im Berliner Kanzleramt abgehalten wurde.

Seit Jahren gibt es in Athen die Kritik an dem deutschen Diktat, Merkel wird in verschiedenen unvorteilhaften Rollen dargestellt. Selbst Kritiker der Austeritätspolitik warnten vor einer Überschätzung der Rolle Deutschlands. Wenn aber nun ein Griechenlandgipfel im Berliner Kanzleramt ohne einen Vertreter der griechischen Regierung abgehandelt wird, um dem griechischen Ministerpräsidenten ein letztes Angebot zu unterbreiten, dann kann das nur als maximale Bestätigung der Kritiker verstanden werden.

Wenn dann noch IWF-Chefin Christine Lagarde, EZB-Präsident Mario Draghi, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie Frankreichs Staatschef François Hollande bei dem Gipfel dabei sind, wird sich nur das Bild der Dominanz Deutschlands verfestigen. Sie alle beratschlagten als Gäste der deutschen Regierung über die Politik eines Landes, das nicht anwesend war.

So wusste die griechische Regierung selbst am Tag nach dem Gipfel noch nicht einmal, welche Inhalte das letzte Angebot aus Berlin überhaupt hat. Führende Syriza-Politiker betonten auch, dass sie weiterhin kein Diktat und keine Erpressung akzeptieren würden.Premierminister Tsipras legte ein neues Reformprogramm vor, das wiederum von den Institutionen unterschiedlich kommentiert wurde.

Was in den meisten Medien als Chaos im griechischen Regierungslager interpretiert wird, kann durchaus als durchdachte Strategie verstanden werden. Die griechische Regierung will das Heft in der Hand behalten, wehrt sich gegen die Drohungen aus Berlin und zeigt mit ihrem Reformprogramm, dass sie eben nicht einfach übergangen werden kann. Zumal sie auch drauf setzen mag, dass die Einigkeit zwischen Troika-Institutionen und einigen EU-Regierungen, die im Berliner Kanzleramt zur Schau gestellt werden sollte, durchaus an manchen Punkten aufgebrochen werden kann. Es zeigte sich auch schon in der Vergangenheit, dass besonders die deutsche Regierung konkrete Vorschläge aus Athen seit der Regierungsübernahme von Syriza besonders ablehnend gegenübersteht.

Ist die griechische Regierung notfalls zu einem Bruch bereit?

Die griechische Regierung steht trotz des Drucks aus Berlin durchaus nicht so mit dem Rücken an der Wand, wie es manche Politiker und Medien hierzulande erhoffen. So musste selbst der Syriza kritische Deutschlandfunk einräumen, dass viele Menschen in Griechenland, selbst die die Angst vor einen Euro-Austritt haben, weiterhin die Partei unterstützen, weil sie sich gegen das Diktat der Institutionen wehrt, während die konservative Oppositionspartei auf die die Institutionen gesetzt haben, in die Bedeutungslosigkeit zu rutschen droht.

Wenn nun ausgerechnet ein griechischer Bankpräsident in London erklärt, die griechische Bevölkerung sei zu weiteren Opfern bereit, um im Euro zu bleiben, so werden die Institutionen eine solche Kunde gerne hören. Sie muss allerdings nicht besonders glaubwürdig sein. Schließlich hat ein großer Teil der griechischen Bevölkerung erfahren, dass er immer stärker verarmt und die Ökonomie des Landes gleichzeitig immer schwächer wird. Die Frage, ob trotz einer großen Angst vor einem Euroaustritt auch ein Großteil der Bevölkerung bereit wäre, einen Bruch mit diesem System einzugehen, wenn damit weitere Erpressungen und Diktate verhindert werden, müsste gestellt werden. Doch gibt es bei Syriza überhaupt einen solchen Plan B?

Die Partei hat in den Wahlen für ein Verbleiben im Euroraum unter sozialeren Bedingungen plädiert. Wenn sie nun erfahren muss, dass es diese sozialeren Bedingungen im EU-Raum nicht gibt, weil Deutschland die Austeritätspolitik mit allen Mitteln verteidigt, müsste eine verantwortungsbewusste linke Regierung nach Wegen aus dem Euro suchen und die Bevölkerung davon überzeugen. Zurzeit kursieren im Internet verschiedene Szenarien, wie sich ein Euroaustritt aufhalten ließe, ohne dass die griechische Regierung kapituliert. Solche Möglichkeiten sollten besser auf ihre Realitätstauglichkeit geprüft werden, statt ständig neue Griechenlandpleiten vorauszusagen.