Bitcoin-Technik: Blockchain als Wunderwaffe der Finanzwirtschaft

Die Technik hinter Kryptowährungen, in anarchistischem Geist geboren, ist mittlerweile zum Experimentierfeld der klassischen Finanzindustrie geworden. Die verspricht sich von der Nutzung der Blockchain einen Innovationssprung.

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Bitcoin

(Bild: dpa, Jens Kalaene/dpa)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Stefan Mey
Inhaltsverzeichnis

Wir schreiben das Jahr 2009. Die ersten Bitcoin-Transaktionen werden abgewickelt und einige Enthusiasten glauben, dass mit dem Bitcoin das letzte Stündlein aller zentralisierten Finanzdienstleister geschlagen hat. Nach dieser Logik müssten Banken die Kryptotechnik eigentlich bekämpfen.

"Die wichtigen Player der Bankbranche springen jetzt auf", sagt Andrei Martchouk vom Krypto-Startup Yacuna

(Bild: Yacuna AG)

Mitte 2015 zeigt sich allerdings eine andere Tendenz. Große Vertreter der Branche phantasieren darüber, wie sie die Technik in die Zukunft katapultieren könnte. Zur Zeit entsteht ein Ökosystem aus alternativen Kryptowährungen und aus Startups, die dabei helfen wollen. "Gegenreaktionen gab es, aber die sind Vergangenheit. Die wichtigen Player der Bankbranche springen jetzt auf den Zug auf und schauen sich die Blockchain an", sagt Andrei Martchouk von Schweizer Krypto-Startup Yacuna. "Die Blockchain ist das Internet fürs Geld. Ab jetzt können wir Geld wie Daten behandeln, das ist das unfassbar neue, was gerade passiert."

Die Blockchain gilt als eigentlicher Geniestreich des unbekannten Bitcoin-Erfinders Satoshi Nakamoto – und der Bitcoin sowie seine Klone wie Litecoin oder Dogecoin nur als eine denkbare Anwendung. Die Blockchain ist eine Art dezentralisiertes, P2P-basiertes Kassenbuch, in dem alle erfolgten Transaktionen protokolliert werden.

Protokollieren lässt sich auf die Art nicht nur der Tausch eines Bitcoins, sondern auch der Besitz verschiedenster, digital darstellbarer Güter: andere kryptographische oder klassische Währungen, aber auch Identitäten oder der Besitzanspruch auf ein Auto oder auf ein Haus. Die Kryptowährung wird dann zur einer Art Brücken- oder Transportwährung. An eine Transaktion wird eine andere Information geheftet, die mitprotokolliert wird.

Offizielle Stellen wie die Bundesbank und die Europäische Zentralbank sind hellhörig, aber immer noch sehr skeptisch, wie sich auf einer Bitcoin-Konferenz der Bundesbank im Januar gezeigt hat. Mitte Mai preschte der europäische Bankenverband EBA überraschend vor und empfahl in einen Papier, sich genauer mit der Blockchain zu beschäftigen. So könnten Transaktionen schneller sowie billiger werden und es könnten innovative Dienste entstehen.

Der EBA unterscheidet dabei zwischen vier Typen: "Currencies" wie Bitcoin oder Litecoin, "Asset Registry" wie Mastercoin oder Counterparty, "Application Stack" wie Ethereum oder Nxt oder "Asset Centric" wie Namecoin oder Ripple. Vor allem die letzte Gruppe sei für die Finanzbranche interessant, und zwar für interne und externe Geschäfte. Als Nutzungsszenarien nennt der Bericht den Devisenhandel, grenzüberschreitende Transaktionen, Echtzeit-Überweisungen und die Abwicklung komplexerer Finanzprodukte.

Mittlerweile ist von einigen großen Geldinstituten bekannt, dass diese mit der Blockchain experimentieren. Im April hat die Schweizer Großbank UBS eine eigene Forschungs-Abteilung zu dem Thema angekündigt – jüngsten Berichten nach erprobt sie eine Art smarter Anleihe auf Blockchain-Basis mit automatisierten Zinszahlungen. Auch die große spanische Banco Santander forscht und die große britische Bank Barclays hat ein Blockchain-Startup in ihrem Accelerator. Die weltgrößte elektronische Börse NASDAQ will für ein Subsegment den Handel per Blockchain protokollieren. ANZ und Westpac, zwei der vier größten australischen Banken sind auch dabei und die Münchener Fidor Bank hat schon 2014 damit angefangen.

Fidor und die zwei australischen Banken greifen auf die Dienste von Ripple zurück, eine der alternativen Kryptowährungen mit Fokus auf die alternative Nutzung der Blockchain. Die Transportwährung Ripple (XRP) rangiert mittlerweile im Ranking nach Marktkapitalisierung auf Platz 2 hinter dem Bitcoin. Hinter Ripple steht das kommerzielle US-Unternehmen Ripple Labs. Das will seinen Geschäftspartnern, vor allem Banken und andere Finanzinstitutionen, sichere und schnelle Transaktionen über Grenzen hinweg ermöglichen. Die können so beispielsweise sehr viel schnellere Zahlungen in Euro oder Dollar abwickeln.

Die Europäische Bankenaufsicht EBA glaubt, dass die Blockchain die Finanzbranche in die Zukunft führen kann. Ein aktuelles Papier der Banco Santander geht davon aus, dass Banken mit der Technik jährlich bis zu 20 Milliarden US-Dollar an Infrastrukturkosten sparen könnten. Wird das einstmals kryptoanarchistische Projekt also bald zum Standardinventar der Finanz-IT?

Andrei Martchouk von Yacuna erzählt, dass er vor einigen Wochen auf einer Finanzkonferenz in Zürich gewesen sei, mit mehreren hunderten Bankern. Und in jedem zweiten Vortrag sei das Wort "Blockchain“ gefallen. "Die wissen mittlerweile, wo die Reise hingeht.“ (axk)