Nebelkerzen im grünen Aufbruch

Für den unbefangenen Betrachter riecht der Streit um Ökostrom-Zertifikate nach einem handfesten Skandal. Ist das wirklich so?

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Von
  • Niels Boeing

Für den Ökostrom-Markt hat das neue Jahr schlecht angefangen. „Stromanbieter verkaufen Atomstrom als Ökostrom“, schrieb Spiegel online am 5. Januar, die Tagesschau griff das Thema noch am selben Tag auf, und die taz legte in den vergangenen Tagen – allerdings differenzierter – nach. Für den unbefangenen Betrachter riecht das alles nach einem handfesten Skandal. Ist die neue grüne Welle am Ende nur auf einem Etikettenschwindel aufgebaut, der die Profite sichern soll, jetzt da die öffentliche Meinung in Richtung „öko“ kippt?

Diesem Reflex sollten wir auf keinen Fall nachgeben. Denn das Problem der Ökostrom-Zertifikate ist weder eine schlimme Enthüllungsgeschichte, noch diskreditiert es die Ökostrom-Anbieter per se.

Tatsächlich hat Spiegel online hier nichts Neues aufgedeckt: Die Kollegen von telepolis hatten bereits Ende November darauf hingewiesen, dass mit den RECS-Zertifikaten (RECS steht für Renewable Energy Certificate System) konventionell erzeugter Strom umetikettiert werden kann. Und das GrünerStromLabel hatte schon drei Wochen zuvor klargestellt: „Die RECS-Zertifizierung ist eine preiswerte Methode, Strom grün einzufärben.“

RECS funktioniert so: Ein Stromerzeuger, der Strom aus Erneuerbaren Energiequellen anbietet, kann sich bei dem europäischen System anmelden und für jede Megawattstunde eine handelbares Zertifikat erwerben. Das kann dann an einen Stromanbieter weiterverkauft werden, der seinen Kunden grünen Strom anbieten will, aber diesen nicht ausreichend im Angebot hat. Dabei geht es nicht um real gehandelten oder gelieferten Strom: Der grüne Stromerzeuger und der Stromanbieter können räumlich weit voneinander getrennt operieren, z.B. in Norwegen und in Deutschland. Der grüne Stromerzeuger in Norwegen muss nach dem Deal die Megawattstunde, für die er sein Zertifikat verkauft hat, als konventionellen Strom deklarieren. Der Stromanbieter, an den das Zertifikat gewechselt ist, kann hingegen die konventionelle Megawattstunde, die er irgendwo bezogen hat, nun als grünen Strom verkaufen.

Das klingt absurd, entspricht aber durchaus der Realität des Energiemarktes. Denn natürlich, man kann es nicht oft genug betonen, bekommt der Kunde eines Ökostromanbieters im Ruhrgebiet nicht dieselben Elektronen in seine Leitungen geliefert, die irgendwo in einem Windrad an der Küste entstanden sind. Er zapft nur einen Teil vom großen „Stromsee“ ab, in den an einem anderen Ende auf seine Nachfrage hin Ökostrom aus Windkraft eingespeist werden wurde – und ohne seine Nachfrage möglicherweise gar nicht produziert worden wäre.

Das Problem an RECS ist also nicht das Umetikettieren von physischem Strom. Das ist unvermeidlich und auch bei den vier von der „Atomausstieg selber machen“-Koalition unterstützten Ökostromanbietern so. Problematisch ist, dass mit RECS nur der Statusquo des Energiemixes umverteilt wird, ohne echte Anreize für Investitionen in neue Anlagen zu schaffen (obwohl RECS sich dies ebenfalls auf die Fahnen schreibt). Genau das machen aber beispielsweise die vier Anbieter Greenpeace Energy, Naturstrom AG, Energiewerke Schönau und LichtBlick. Sie sichern ihren derzeit eine halbe Million Kunden vertraglich zu, etwa einen Cent pro Kilowattstundenpreis in solche Anlagen zu investieren. Das ok-power-Label, mit dem ebenfalls Ökostrom zertifiziert wird, verlangt dementsprechend, dass ein Drittel des gelieferten Stroms aus Anlagen stammt, die nicht älter als sechs Jahre sind. Ein weiteres Drittel darf nicht älter als zwölf Jahre sein.

Bei RECS hingegen wird einfach das Kundenportfolio neu sortiert: Wer Ökostrom auf seiner Kilowattstunde stehen haben will, bekommt diese – natürlich gegen Öko-Aufpreis – mit Zertifikat, dem ja tatsächlich irgendwo in Europa produzierter grüner Strom entspricht (der allerdings häufig aus alten Anlagen stammt). Erst wenn mehr Zertifikate nachgefragt würden, als grüner Strom produziert wird, käme das System an seine Grenzen. Und dann würde es in der Tat absurd: Denkbar wäre etwa, dass aufgrund des Öko-Hypes deutsche Anbieter sämtliche norwegischen RECS-Zertifikate aus Erneuerbaren Energien aufkaufen würden. Physisch würden die Norweger zwar nach wie vor ihren eigenen grün erzeugten Strom verbrauchen, auf dem Papier wären sie aber Umweltsünder. Und am gesamten Strommix hätte sich nichts geändert, würde also kein Gramm CO2 eingespart.

Diese Absurdität erinnert verdächtig an die handelbaren CO2-Emissionszertifikate, die eigentlich als segensreiches Instrument des Kioto-Protokolls für den Klimaschutz gepriesen wurden. In der Realität helfen sie aber oft nicht, den CO2-Ausstoß zu verringern, sondern schichten ihn nur geografisch um.

Beim Deutschen Naturschutz-Ring, der die Federführung in der „Atomausstieg selber machen“-Koalition hat, möchte man deshalb am liebsten ganz wegkommen von Zertifikaten als Kriterium für eine wirklich nachhaltige Stromerzeugung. Denn Nebelkerzen wie RECS beeinträchtigen am Ende auch die ernstzunehmenden Label. Den seriösen Ökostrom-Anbietern wird nichts anderes übrig bleiben, als 2008 eine gewaltige Aufklärungskampagne zu starten. Und die Kunden müssen endlich begreifen, dass die Energiewende ihnen nicht mit Zertifikat auf dem Silbertablett serviert wird. Oder frei nach Kant: Nachhaltigkeit ist der Ausgang des Konsumenten aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. (wst)