Lecker nano?

Ein neuer Report von Friends of the Earth und BUND bietet erstmals einen wirklich systematischen Überblick über "Nanofood". Vor allem die Lebensmittelindustrie sollte den Ball aufnehmen und den Argwohn der Verbraucher ernst nehmen.

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Von
  • Niels Boeing

Als die Nanorisikodebatte bereits ordentlich hochgekocht war, sagte der in dieser Hinsicht leicht gereizte Nanotech-Pionier Richard Smalley einmal: „After all, we’re not advising that you eat nanotech stuff.“ Da war er allerdings etwas kurzsichtig. „Nanofood“ ist seit längerem ein Thema – eins, dass den Verbrauchern allerdings nicht so recht schmeckt. So gelassen bis positiv sie Nanotechnologien sonst gegenüber stehen, fördern Foren und Umfragen doch immer wieder eine beachtliche Ablehnung von Nano-Lebensmitteln zutage.

Unwissenheit kann man den Verbrauchern hier nicht vorwerfen: Es gibt wohl kaum einen Anwendungsbereich der Nanotechnik, der so diffus und mit Mutmaßungen garniert ist wie „Nanofood“, weil die Lebensmittelhersteller mit konkreten Informationen ziemlich geizen.

Umso besser, dass nun ein sehr systematischer Überblick zum Thema vorliegt: „Aus dem Labor auf den Teller: Die Nutzung der Nanotechnologie im Lebensmittelsektor“ von Friends of the Earth und BUND. In ihrem gestern veröffentlichten Report listen sie bereits 104 Anwendungen auf, von Verpackungsmaterialien bis zu Geschmacksverstärkern, die allesamt mit Webadressen der jeweiligen Hersteller belegt sind.

Die Organisationen beanstanden zu Recht, dass die verwendeten Nanomaterialien bislang durch die Lücken der relevanten Gesetzgebung fallen, weil sie nicht als neue Substanzen gelten, die erst einmal zu überprüfen wären. Der Weißmacher Titandioxid etwa ist bereits als kennzeichnungspflichtiger Lebensmittelzusatz E 171 zugelassen, ebenso Siliziumdioxid als E 551 – allerdings unabhängig von der Partikelgröße. Das müsste eigentlich geändert werden. Denn nanoskaliges Titandioxid könnte toxische Effekte haben, wofür Friends of the Earth einige neuere Studien als Beleg anführen (mit Quellenangaben auf S. 28). Von Entwarnung kann mindestens bei Titandioxid also keine Rede sein, auch wenn in der Industrie immer wieder - unter Berufung auf veraltete Studien – das Gegenteil zu hören ist.

Schon 2004 hatten die britischen Royal Society und Royal Academy of Engineering in einem weithin beachteten Report gefordert, jedes Nanomaterial müsse rechtlich als neue Substanz behandelt und entsprechend auf seine Unbedenklichkeit hin getestet werden. Dem schließen sich Friends of the Earth und BUND an (der BUND hat außerdem kürzlich das Papier „Kriterien zur Kontrolle von Nanotechnologien und Nanomaterialien“ veröffentlicht).

Diese bislang umstrittene Forderung lässt sich auch aus der „Forschungsstrategie Nanotechnologie: Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanomaterialien“ herauslesen, die kürzlich vom BfR, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie dem Umweltbundesamt veröffentlicht worden ist. Darin heißt es:

„Erste Ergebnisse zum Umgang und zur Verwendung von Nanomaterialien liegen vor. Eine systematische Zusammenstellung, die die verschiedenen Substanzen unter Berücksichtigung der morphologischen und chemischen Modifikationen erfasst, ist nicht vorhanden. ... Da gegenwärtig nicht ausgeschlossen werden kann, dass durch Modifikationen nicht nur technische Eigenschaften, sondern auch toxikologische und ökotoxikologische Eigenschaften verändert werden können, ist eine systematische, differenzierende Übersicht erforderlich.“ (S. 21)

Die „Forschungsstrategie“ ist zugleich aber auch ein weiterer Beleg dafür, dass die Nanorisikoabschätzung in Gang gekommen ist. Tatsächlich gibt es Positives zu vermelden: Die OECD hat in der Arbeitsgruppe „Working Party on Safety of Manufactured Nanomaterials“ acht konkrete Projekte angeschoben. Und das von mehreren deutschen Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen betriebene Projekt „NanoCare“ hat inzwischen Standards für Toxizitätstests erarbeitet, die diese vergleichbar machen sollen (nicht nur auf Nano-Lebensmittel bezogen). Dabei muss etwa geklärt sein, wie die zu untersuchenden Nanoteilchen vorbereitet werden, die man in vitro oder in vivo untersucht. „Ab jetzt können relevante Daten produziert werden“, hat der an der EMPA in St. Gallen forschende deutsche Toxikologe Harald Krug angekündigt, der an NanoCare beteiligt ist.

Wie wichtig solche Standards sind, zeigt als Beispiel die bekannte Studie der US-Toxikologin Eva Oberdörster von 2004. Sie hatte Forellenbarsche in einem Aquarium kugelförmigen Fullerenen („Buckyballs“) ausgesetzt. Ihr Befund: Nach 48 Stunden hatten die sich in den Gehirnen der Fische angereichert und Hirnzellen geschädigt. Inzwischen hat sich inzwischen herausgestellt, dass die Lösungsmittelmoleküle die Hirnzellen der Versuchsfische schädigten – und nicht die Buckyballs. „Wir haben in der Schweiz diese Versuche mit Daphnien, also sehr kleinen Krebsen, wiederholt und klar nachgewiesen, dass die Peroxide des Lösungsmittels die Schädigung auslösen“, sagte mir Krug vor kurzem. Allerdings bestätigt er, dass die bisherigen Erkenntnisse der Nanotoxikologie dürftig sind.

Man sollte sich dennoch hüten, Nanomaterialien in der Lebensmittelproduktion per se als Teufelszeug abzutun. Zwar halte ich Geschmacksverstärker und pseudomedizinische Beigaben im Sinne des Functional Food für überflüssig. Aber bei Verpackungen und Produktionsprozessen könnten sie unter Umständen die Lebensmittelqualität verbessern.

Auf ein genaues Bild werden wir allerdings noch warten müssen. Nach dem Forschungsstrategie-Papier dürfte das frühestens 2010 der Fall sein. Umso wichtiger wäre es, für diese Übergangszeit eine vorübergehende Kennzeichnung von „Nanofood“ einzuführen, um den Verbrauchern eine Wahlfreiheit zu geben. Erst recht, wenn anorganische Nanomaterialien eingesetzt werden, über deren Toxizität bislang kein abschließendes Urteil möglich ist (Vitamine in Nanocontainern aus Lipiden scheinen mir hingegen vergleichsweise harmlos zu sein).

Da aus Brüssel oder Berlin hier wohl nichts zu erwarten ist, sollten die Lebensmittelhersteller selbst aktiv werden. Das positive Image, das die Nanotechnik derzeit hat, sollten sie nicht aus Bequemlichkeit aufs Spiel setzen. Der Ball liegt jetzt bei ihnen. (wst)