Von Nanofingern und -gelenken

Die Drexler'sche Vision des Nanomaschinenbaus gilt als Vision von gestern. Dabei ist sie durch die Hintertür längst in die Forschungslandschaft gekommen, wie drei hübsche neue Konzepte zeigen. Vielleicht erspart sie uns sogar eine unangenehme Frage.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Niels Boeing

Der Nanomaschinenbau gilt ja gemeinhin als Vision von gestern. Es sind Nanoelektronik, Nanomedizin oder die Wirkungen von Nanopartikeln, denen derzeit die besondere Aufmerksamkeit gilt. Umso erstaunlicher, dass doch einige Forschungsgruppen an einem Proto-Nanomaschinenbau arbeiten – und sogar zu ganz hübschen Ergebnissen kommen.

Da ist zum Beispiel eine Anordnung aus zwei Nanoröhren, die gleichermaßen als Gelenk und als Transportband dienen kann. Von einem spanisch-österreichisch-schweizerischen Team ersonnen und gerade in Science vorgestellt, besteht sie aus einer kurzen Nanoröhre, die eine längere umschließt und auf dieser entlang gleiten oder sich drehen kann. Die Bewegung wird von einem thermischen Gradienten, also einem Temperaturunterschied zwischen den Enden der langen Röhre (zwischen 300 und 1300 Kelvin), verursacht, der durch einen Strom von 0,1 Milli-Ampere Stärke entsteht. Interessanterweise spielt die Polung des Stroms für die Bewegungsrichtung keine Rolle. Damit konnten die Forscher ein Goldteilchen, das an dem kurzen äußeren Röhrenstück haftet, drehen oder verschieben. Die Geschwindigkeit ist rund 100 Millionen Mal größer als die von Kinesin, das in Zellen Moleküle mit einer Geschwindigkeit von 1 Mikrometer pro Sekunde transportieren kann.

Einen vierfingrigen Nanomanipulator hat ein Team vom US-Standardisierungsinstitut NIST entwickelt. Es besteht aus vier Arbeitsspitzen auf einem Chip, die in eine Aussparung in der Mitte des Chips hineinragen und dort Materialproben genauer manipulieren sollen, als dies Rastersondenmikroskope mit einer einzigen Spitze können. Gesteuert wird jede Spitze in X- und Y-Richtung jeweils von einem eigenen thermischen Aktoren. In Z-Richtung, also aus der Chipebene hinaus, sollen die Spitzen in der nächsten Version mittels einer Art magnetisch bewegter „Hebebühne“ bewegt werden. Der besondere Clou ist dabei, dass nicht nur vier Spitzen gleichzeitig angesteuert werden, sondern die Vorgänge auf der Arbeitsplattform über ein Rasterelektronenmikroskop in Echtzeit verfolgt werden können.

Drittes Beispiel: eine „nanomechanische“ Recheneinheit, die von einem japanischen Team entwickelt und jetzt in Nature Nanotechnology veröffentlicht worden ist. Es handelt sich dabei um eine miniaturisierte Version des in den fünfziger Jahren entwickelten „Parametrons“, dessen Performance im Vergleich mit dem damals ebenfalls neuen Transistor allerdings zu schlecht war. Im Nano-Parametron wird ein Balken zwischen drei Elektroden mittels des piezoelektrischen Effekts – also einer mechanischen Verformung bei Anlegen einer Spannung – nach unten oder nach oben gebeugt, was für den Bitwert „1“ bzw. „0“ steht (die dritte Elektrode in der Anordnung ist dafür da, diesen Wert als Output weiterzuleiten). Wie die Forscher schreiben, könnten mit diesem Bauelement nicht nur Datendichten von 100 Megabit pro Quadratzentimeter erreicht werden, das Nano-Parametron könnte auch mit einem geringeren Stromverbrauch als herkömmliche Transistoren arbeiten.

Wer Eric Drexlers voluminöses Werk „Nanosystems“ (1992) kennt, staunt dann doch nicht schlecht. Darin hat er recht detailliert Nanomaschinen – so genannte Assembler – beschrieben, deren Teile im Wesentlichen mechanisch und nicht elektronisch funktionieren (sieht man einmal von chemischen Bindungen zwischen Atomen oder Molekülen ab) – den oben beschriebenen Konzepten nicht unähnlich. Drexlers Ansatz einer „Molekularen Nanotechnologie“ flog Ende der Neunziger aus dem finalen Programm der amerikanischen National Nanotechnology Initiative raus, weil er im Ruch der Sciencefiction stand.

In der um elektrotechnische Effekte ergänzten Variante der „nano-elektromechanischen Systeme“ (NEMS) scheinen Drexlers Ideen durch die Hintertür wieder in die Forschungslandschaft hereinzukommen. Jason Gorman von der NIST-Gruppe bezieht sich sogar explizit auf Drexler, auch wenn er den vierfingrigen Nanomanipulator vorsichtig einen „Proto-Prototypen eines Nano-Assemblers“ nennt. Andere Gruppen haben bereits Zahnräder, Teleskopantenennen oder hydraulische Hebevorrichtungen im Nanoformat zumindest als Proof of Principle präsentiert (siehe dazu auch das TR-Interview mit Alex Zettl).

Sind da nur große Jungs am Werk, die im Labor spielen und dabei ordentlich Geld ausgeben? Oder könnten spätere Versionen solcher NEMS-Konzepte irgendwann als Bauteile zum Einsatz kommen oder gar zu komplexeren Nanomaschinen verbunden werden? Das größte Interesse daran dürften derzeit Hardware-Hersteller haben, die bereits nach Wegen suchen, mit denen sich eines Tages molekulare Prozessoren montieren lassen.

Ob der NEMS-Ansatz sich langfristig gegen eine „Nano-Bionik“ behaupten kann, die auf einen biochemischen „Selbstzusammenbau“ von Molekülen setzt (z.B. mittels DNA-Gerüsten), ist noch nicht abzusehen. Zumindest in einer Hinsicht sind NEMS die vielversprechendere Variante: Bei ihnen wird die Grenze zwischen belebter und unbelebter Materie nicht verwischt – im Unterschied zur Nanobionik. Die wird uns nämlich in absehbarer Zeit mit der Frage konfrontieren, welche Folgen das Einreißen dieser Grenze haben könnte. (wst)